Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 24 September 2015 (België). RG 124/2015

Date :
24-09-2015
Language :
German French Dutch
Size :
4 pages
Section :
Case law
Source :
Justel D-20150924-2
Role number :
124/2015

Summary :

Der Gerichtshof erkennt für Recht: Die Vorabentscheidungsfrage bedarf keiner Antwort.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten A. Alen und J. Spreutels, und den Richtern E. De Groot, L. Lavrysen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût, T. Giet und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten A. Alen,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren

In seinem Entscheid vom 17. Juni 2014 in Sachen der Flämischen Region gegen Jean-Marie Verschelden in dessen Eigenschaft als Konkursverwalter der « Sublima » AG, dessen Ausfertigung am 27. Juni 2014 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:

« Verstößt Artikel 72 Absatz 3 des Konkursgesetzes gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, insofern diese Gesetzesbestimmung dazu führt, dass Gläubiger einer Steuerforderung, die gemäß den steuerrechtlichen Vorschriften rechtzeitig zur Festlegung der Steuer übergegangen sind, wobei aber die Steuer nach Ablauf der Frist von einem Jahr nach dem Datum der Konkurseröffnung festgelegt wurde, die im Falle eines Konkurses zur rechtzeitigen Anmeldung der Schuldforderung vorgesehen ist, für die Schulden in der Masse - im Gegensatz zu anderen Gläubigern, die für ihre Schulden in der Masse rechtzeitig eine annehmbare Klage auf Aufnahme in die Passiva einreichen können - keine annehmbare Klage auf Aufnahme in die Passiva des Konkursschuldners mehr einreichen können? ».

(...)

III. Rechtliche Würdigung

(...)

B.1.1. Der vorlegende Richter befragt den Gerichtshof zur Vereinbarkeit von Artikel 72 Absatz 3 des Konkursgesetzes vom 8. August 1997 mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass Gläubiger einer Steuerforderung, die « rechtzeitig zur Festlegung der Steuer übergegangen sind, wobei aber die Steuer nach Ablauf der Frist von einem Jahr nach dem Datum der Konkurseröffnung festgelegt wurde, die im Falle eines Konkurses zur rechtzeitigen Anmeldung der Schuldforderung vorgesehen ist, für die Schulden in der Masse - im Gegensatz zu anderen Gläubigern, die für ihre Schulden in der Masse rechtzeitig eine annehmbare Klage auf Aufnahme in die Passiva einreichen können - keine annehmbare Klage auf Aufnahme in die Passiva des Konkursschuldners mehr einreichen können ».

Gemäß der Auslegung durch den vorlegenden Richter ist es der Flämischen Region als Gläubiger einer Nichtbenutzungsforderung in Bezug auf Betriebsgebäude nicht mehr möglich, obwohl die Nichtbenutzungsabgabe innerhalb der in den Dekretsbestimmungen vorgesehenen Frist festgesetzt wurde, einen zulässigen Antrag in den Konkurs aufnehmen zu lassen. Daher stellt der vorlegende Richter sich Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des Behandlungsunterschieds zwischen den verschiedenen Gläubigern von Schulden in der Masse eines Konkurses angesichts der durch Artikel 72 Absatz 3 des Konkursgesetzes festgelegten Verjährungsfrist, wobei gewisse Gläubiger innerhalb dieser Frist einen Antrag auf Aufnahme in die Passiva stellen könnten und andere Gläubiger nicht.

B.1.2. Die Steuerforderung betrifft in diesem Fall eine regionale Nichtbenutzungsabgabe für Betriebsgelände, so wie sie durch das Dekret vom 19. April 1995 zur Festlegung von Maßnahmen zur Bekämpfung und Verhütung von Nichtbenutzung und Verwahrlosung von Gewerbebetriebsgeländen eingeführt wurde (nachstehend: Nichtbenutzungsdekret in Bezug auf Gewerbebetriebsgelände).

B.2.1. Artikel 72 Absatz 3 des Konkursgesetzes bestimmt:

« Das Recht, auf Aufnahme zu klagen, verjährt in einem Jahr ab dem Konkurseröffnungsurteil, außer für Schuldforderungen, die im Rahmen einer während der Liquidation fortgesetzten oder erhobenen Interventions- oder Gewährleistungsklage festgestellt werden ».

B.2.2. Gemäß Artikel 11 des Konkursgesetzes ordnet das Konkurseröffnungsurteil den Konkursgläubigern an, ihre Schuldforderungen binnen einer Frist von höchstens dreißig Tagen ab dem Konkurseröffnungsurteil bei der Kanzlei des Handelsgerichts anzumelden. Im selben Urteil wird ebenfalls das Datum für die Hinterlegung des ersten Protokolls über die Prüfung der Schuldforderungen bei der Kanzlei bestimmt. Dieser Zeitpunkt wird so gewählt, dass mindestens fünf und höchstens dreißig Tage zwischen Ablauf der für die Anmeldung der Schuldforderungen gewährten Frist und Hinterlegung des ersten Protokolls über die Prüfung liegen.

Das Konkurseröffnungsurteil und das spätere Urteil zur Festlegung der Zahlungseinstellung werden auf Betreiben des Greffiers binnen fünf Tagen nach ihrem Datum auszugsweise im Belgischen Staatsblatt und auf Betreiben der Konkursverwalter binnen derselben Frist in mindestens zwei auf regionaler Ebene vertriebenen Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlicht (Artikel 38 desselben Gesetzes).

Um bei einer Verteilung berücksichtigt zu werden und um irgendein Vorrecht ausüben zu können, müssen gemäß Artikel 62 desselben Gesetzes alle Konkursgläubiger ihre Schuldforderung spätestens innerhalb der durch das Konkurseröffnungsurteil festgelegten Frist bei der Kanzlei des Handelsgerichts anmelden. Diese Verpflichtung gilt auch für Hypothekengläubiger, für bevorrechtigte Gläubiger sowie für Pfandgläubiger (Parl. Dok., Kammer, 1991-1992, Nr. 631/1, S. 29). Sowohl die bekannten als auch die unbekannten Gläubiger, die es versäumt haben, ihre Schuldforderungen anzumelden oder zu bestätigen, werden grundsätzlich bei den Verteilungen nicht berücksichtigt (Artikel 72 Absatz 1).

Obgleich diese Anmeldung laut Absatz 1 von Artikel 72 des Konkursgesetzes im Prinzip innerhalb der im Konkurseröffnungsurteil festgelegten Frist erfolgen muss, wird den Gläubigern in Absatz 2 dieser Bestimmung die Klage auf Aufnahme ermöglicht bis zur Einberufung zu der in Artikel 79 desselben Gesetzes vorgesehenen abschließenden Versammlung, bei der die Konkursverwalter, die Gläubiger und der Konkursschuldner die Konkursrechnung besprechen und abschließen und bei der die Gläubiger sich über die Entschuldbarkeit der in Konkurs geratenen natürlichen Person äußern. Das Recht, auf Aufnahme zu klagen, verjährt in jedem Fall nach Ablauf von einem Jahr ab dem Konkurseröffnungsurteil, außer für die Schuldforderung, die im Rahmen eines während der Liquidation fortgesetzten oder eingeleiteten Interventions- oder Gewährleistungsverfahrens festgestellt wird (Artikel 72 Absatz 3). Die Klage der säumigen Gläubiger auf Aufnahme kann jedoch nicht zur Aussetzung der bereits angeordneten Verteilungen führen. Die säumigen Gläubiger haben außerdem nur Anspruch auf eine Dividende auf die noch nicht verteilten Aktiva und tragen selbst die Kosten und Ausgaben, die durch Prüfung und Aufnahme ihrer Schuldforderungen entstehen (Artikel 72 Absatz 2).

B.3.1. Aus den Vorarbeiten zum Konkursgesetz vom 8. August 1997 wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber dadurch, dass er ganz allgemein alle Gläubiger verpflichtete, ihre Schuldforderung anzumelden, allen bei der Liquidation betroffenen Parteien, nämlich dem Konkursverwalter, dem Konkursschuldner, den Gläubigern und allen interessierten Drittpersonen die Möglichkeit geben wollte, sich schnell ein möglichst vollständiges Bild von der Lage des Konkurses zu machen (Parl. Dok., Kammer, 1991-1992, Nr. 631/1, S. 29). Mit dem neuen Konkursgesetz zielte der Gesetzgeber nämlich ganz allgemein auf eine schnelle und zügige Abwicklung des Konkursverfahrens ab, um den normalen Marktmechanismus möglichst wenig zu unterbrechen und so rasch wie möglich Klarheit in die Lage aller Betroffenen, vor allem der Gläubiger, zu bringen (ebenda, S. 28).

B.3.2. Die Abänderung des Konkursgesetzes durch das Gesetz vom 6. Dezember 2005 zur Abänderung des Konkursgesetzes vom 8. August 1997 in Bezug auf das Verfahren zur Prüfung von Schuldforderungen beruhte auf dem Willen des Gesetzgebers, den Arbeitsaufwand der Handelsgerichte zu verringern:

« Mit diesem Gesetzesvorschlag wird dieses umständliche System durch aufeinander folgende Überprüfungsprotokolle ersetzt, die alle drei [nunmehr: vier] Monate in der Konkursakte hinterlegt werden und in der alle Gläubiger sehr detailliert die Entwicklung des Überprüfungsvorgangs verfolgen können. Nur die Anfechtungen, bei denen zur Sache selbst die gegenseitigen Rechte und Pflichten von Parteien erörtert werden, werden noch durch das Gericht behandelt, zumindest wenn keine Einigung mit dem Konkursverwalter zustande kommt » (Parl. Dok., Kammer, 2003, DOC 51-0169/001, S. 4).

B.3.3. Auch in dem fraglichen Artikel 72 wurden Änderungen durch das Gesetz vom 6. Dezember 2005 vorgenommen, durch die unter anderem die Frist für das Einreichen von Schuldforderungen von drei Jahren auf ein Jahr verkürzt wurde.

« Die Verkürzung der Frist [...] ist vollständig gerechtfertigt in der Philosophie der schnellen Behandlung von Konkursen. Man darf mehr als vernünftigerweise annehmen, dass Gläubiger ihre Anmeldung innerhalb eines Jahres nach dem Datum des Konkurseröffnungsurteils einreichen müssen. Die Ausnahmen, die in Artikel 72 Absätze 3 und 4 vorgesehen waren, bleiben nämlich bestehen » (Parl. Dok., Kammer, 2004-2005, DOC 51-0169/002, S. 8).

B.3.4. Die beanstandete Bestimmung steht in Übereinstimmung mit der Zielsetzung des Gesetzgebers; indem er die Gläubiger veranlasst, ihre Anmeldung rechtzeitig vorzunehmen, und indem er das Recht, auf Aufnahme ihrer Schuldforderung zu klagen, auf einen Zeitraum von höchstens einem Jahr ab dem Konkurseröffnungsurteil beschränkt, will der Gesetzgeber in der Hoffnung, eine schnellere Abwicklung der Konkurse zu organisieren, die Gläubiger zu mehr Wachsamkeit anspornen.

B.4.1. Die fragliche Steuerforderung betriff die regionale Nichtbenutzungsabgabe in Bezug auf Betriebsgebäude, so wie sie durch das Nichtbenutzungsdekret in Bezug auf Gewerbebetriebsgelände eingeführt wurde.

Mit dem Nichtbenutzungsdekret in Bezug auf Gewerbebetriebsgelände wollte der Dekretgeber hauptsächlich « die Eigentümer von nichtbenutzten und/oder verwahrlosten Gewerbebetriebsgeländen dazu veranlassen, diese Gebäude wieder zu nutzen oder sie erneut auf den Markt zu bringen unter Einhaltung der Raumordnung des Gebiets » (Parl. Dok., Flämischer Rat, 1993-1994, Nr. 591-1, S. 2).

Die mit der Einführung der Nichtbenutzungsabgabe angestrebten Ziele wurden in den Vorarbeiten wie folgt beschrieben:

« Die Abgabe ist nicht als ein neuer allgemeiner Steuerdruck zu betrachten, sondern als eine Sanktion, die in erster Linie gegen diejenigen gerichtet ist, die ihre Immobilien nicht vor weiterem Verfall schützen. Außerdem richtet sich die Abgabe auch gegen Spekulation und die Aufrechterhaltung von Überkapazitäten, was für eine gute Raumordnung nachteilig ist. Außerdem soll sie das Anbieten der betreffenden Immobilien auf dem Markt stimulieren, so dass der Marktpreismechanismus wieder auf normale Weise funktionieren kann, was nun aus spekulativen Gründen gehemmt wird durch einen künstlich geschaffenen Mangel. Gleichzeitig ist diese Abgabe ausdrücklich mit der Renovierung zu verbinden » (ebenda, S. 4).

Es bezweckt somit, nichtbenutzte und/oder verwahrloste Betriebsgelände wieder zu annehmbaren Marktbedingungen anzubieten, indem sie durch Sanierung wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt werden oder durch Instandsetzung eine andere Nutzung erhalten und wieder in das städtebauliche Gefüge aufgenommen werden (Parl. Dok., Flämischer Rat, 1993-1994, Nr. 591-1, S. 2).

B.4.2. Gemäß Artikel 15 § 2 des Nichtbenutzungsdekrets in Bezug auf Gewerbebetriebsgelände (nunmehr Artikel 2.6.2.0.1 des Flämischen Steuerkodex) wird diese Abgabe zu Lasten derjenigen erhoben, die am 1. Januar des Veranlagungsjahres Eigentümer der unbeweglichen Güter sind, die der Abgabe unterliegen. Durch Artikel 15 § 1 des Nichtbenutzungsdekrets in Bezug auf Gewerbebetriebsgelände (nunmehr die Artikel 2.6.1.0.1 und 2.6.7.0.1 des Flämischen Steuerkodex) wird eine jährliche Abgabe zugunsten des Erneuerungsfonds auf die unbeweglichen Güter, die in das Inventar aufgenommen wurden, erhoben; die Abgabe wird ab dem Kalenderjahr geschuldet, das auf die zweite (nunmehr dritte) aufeinander folgende Registrierung im Inventar für vollständig oder teilweise verlassene oder verwahrloste Betriebsgelände folgt, das heißt das Veranlagungsjahr. Die Abgabe bezieht sich auf das Kalenderjahr, das dem Jahr vorangeht, in dem die Abgabe notifiziert wurde, das heißt das Erhebungsjahr.

Obwohl die Abgabe erst festgelegt werden kann und daher erst entsteht zu dem Zeitpunkt, an dem alle Bedingungen erfüllt sind, nämlich am 1. Januar des Kalenderjahres, das auf die zweite (nunmehr dritte) aufeinander folgende Registrierung folgt, wird die Abgabe erst einforderbar, nachdem der Steuerpflichtige über den geschuldeten Betrag in Kenntnis gesetzt wurde. Diese Mitteilung erfolgt nach der Eintragung der Steuerschuld in die Heberolle. Der Steuerpflichtige wird über das Bestehen der Steuerschuld informiert durch Zusendung des Steuerbescheids, das heißt einer Abschrift der Heberolle. Der Steuergläubiger muss für die regionale Nichtbenutzungsabgabe auf Betriebsgelände vor dem 31. Dezember des Veranlagungsjahres deren Erhebung vornehmen.

B.5. Folglich bestand die Steuerschuld noch nicht zum Zeitpunkt des Konkurses, so dass der fragliche Artikel 72 Absatz 3 des Konkursgesetzes nicht auf die betreffende Nichtbenutzungsabgabe anwendbar ist. Diese Bestimmung findet nämlich nur Anwendung auf Schulden, die zum Zeitpunkt des Konkurses bereits bestanden.

B.6. Die Antwort auf die Vorabentscheidungsfrage kann der Lösung der Streitsache vor dem vorlegenden Richter folglich nicht dienlich sein.

Aus diesen Gründen:

Der Gerichtshof

erkennt für Recht:

Die Vorabentscheidungsfrage bedarf keiner Antwort.

Erlassen in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 24. September 2015.

Der Kanzler,

(gez.) P.-Y. Dutilleux

Der Präsident,

(gez.) A. Alen