Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 16 Juni 2011 (België). RG 107/2011
- Sectie :
- Rechtspraak
- Bron :
- Justel D-20110616-5
- Rolnummer :
- 107/2011
Samenvatting :
Der Hof erkennt für Recht: Artikel 53 § 2 Absätze 2 und 3 des am 22. Oktober 1996 koordinierten Dekrets der Flämischen Region über die Raumordnung, abgeändert durch Artikel 67 Nr. 2 des Dekrets vom 21. November 2003, verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention.
Arrest :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Vorsitzenden M. Bossuyt und R. Henneuse, und den Richtern E. De Groot, L. Lavrysen, J.-P. Moerman, E. Derycke, J. Spreutels, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul und F. Daoût, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden M. Bossuyt,
verkündet nach Beratung folgendes Urteil:
I. Gegenstand der präjudiziellen Frage und Verfahren
In seinem Urteil Nr. 205.505 vom 21. Juni 2010 in Sachen Claude Fievez gegen die Flämische Region, dessen Ausfertigung am 30. Juni 2010 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat der Staatsrat folgende präjudizielle Frage gestellt:
« Verstösst Artikel 53 § 2 Absätze 2 und 3 des am 22. Oktober 1996 koordinierten Dekrets über die Raumordnung, dahingehend ausgelegt, dass die darin enthaltene neue Regelung in Bezug auf die Formvorschriften für die Einreichung einer administrativen Beschwerde durch den beauftragten Beamten und das Bürgermeister- und Schöffenkollegium auch Anwendung findet auf administrative Beschwerden, über die nach einem Nichtigkeitsurteil des Staatsrats, das nach dem Inkrafttreten dieser neuen Regelung ergangen ist und in dem ein Verstoss gegen die vorher geltenden Formvorschriften für die Einreichung einer administrativen Beschwerde festgestellt wurde, erneut befunden wird, gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, mit Artikel 6 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention, indem zwischen denjenigen, die den Vorteil einer solchen gerichtlichen Entscheidung infolge dieser Regelung nicht geltend machen können, und denjenigen, die den Vorteil einer anderen gerichtlichen Entscheidung geltend machen können, unterschieden wird? ».
(...)
III. In rechtlicher Beziehung
(...)
B.1.1. Artikel 53 § 2 Absätze 1, 2 und 3 des am 22. Oktober 1996 koordinierten Dekrets der Flämischen Region über die Raumordnung bestimmt:
« Das Bürgermeister- und Schöffenkollegium sowie der beauftragte Beamte können innerhalb dreissig Tagen nach Empfang des Beschlusses des ständigen Ausschusses über die Erteilung einer Genehmigung Beschwerde vor der Flämischen Regierung einlegen. Diese Beschwerde sowie die Frist zur Einlegung der Beschwerde haben aussetzende Wirkung. Sie wird zugleich dem Antragsteller und der Flämischen Regierung zur Kenntnis gebracht. Wird die Beschwerde durch den beauftragten Beamten eingelegt, so setzt dieser auch das Kollegium davon in Kenntnis.
Die Notifizierung an den Antragsteller enthält mindestens:
1. bei Strafe der Nichtigkeit eine Abschrift der Beschwerdeschrift, aus der hervorgeht, an welchem Datum die Beschwerde eingereicht wurde und auf welchen Gründen die Beschwerde sich stützt, mit etwaigen Anlagen, die zur Untermauerung dieser Beschwerde verfasst wurden und ein integrierender Bestandteil davon sind;
2. eine Aufstellung der anderen Belege, die der Flämischen Regierung, jedoch nicht dem Antragsteller zugesandt werden;
3. die Angabe der Instanz, die bei der Flämischen Regierung die Beschwerde vorbereitend prüft, dass er an der Adresse dieser Instanz beantragen kann, durch die Flämische Regierung oder deren Beauftragten angehört zu werden, die Akte einzusehen und Abschriften daraus zu erhalten. Wenn der Antragsteller, die Flämische Regierung oder die Instanz, die bei der Flämischen Regierung die Beschwerde vorbereitend prüft, feststellt, dass die Verpflichtung nach Absatz 1 [zu lesen ist: Absatz 2] Nrn. 2 und 3 nicht erfüllt ist, kann dies noch berichtigt werden.
Unbeschadet der endgültigen gerichtlichen Entscheidungen, in denen die Verletzung von Formvorschriften festgestellt wurde, findet der vorstehende Absatz ebenfalls Anwendung auf Beschwerden, die vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung eingereicht wurden, sowie auf die Beschwerden, über die nach einem Nichtigkeitsurteil des Staatsrates erneut entschieden wird ».
B.1.2. Die präjudizielle Frage bezieht sich auf die Absätze 2 und 3 des vorerwähnten Artikels 53 § 2, die durch Artikel 67 Nr. 2 des Dekrets vom 21. November 2003 eingefügt wurden.
Gemäss Artikel 70 des genannten Dekrets sind die Bestimmungen am 8. Februar 2004 in Kraft getreten.
B.2.1. Der Hof wird zur Vereinbarkeit dieser Bestimmungen mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention befragt, insofern der vorerwähnte Artikel 53 § 2 Absätze 2 und 3 in dem Sinne ausgelegt wird, dass die darin enthaltene neue Regelung bezüglich der Formvorschriften für das Einreichen einer administrativen Beschwerde durch den beauftragten Beamten und das Bürgermeister- und Schöffenkollegium auch auf administrative Beschwerden Anwendung finde, über die erneut geurteilt werde nach einem Nichtigkeitsurteil des Staatsrates, das nach dem Inkrafttreten der neuen Regelung gefällt worden sei und in dem ein Verstoss gegen die zuvor geltenden Formvorschriften für das Einreichen einer administrativen Beschwerde festgestellt worden sei. Somit sei ein Behandlungsunterschied eingeführt worden zwischen denjenigen, die sich infolge dieser Regelung nicht auf den Vorteil einer solchen gerichtlichen Entscheidung berufen könnten, und denjenigen, die sich auf den Vorteil einer anderen gerichtlichen Entscheidung berufen könnten.
B.2.2. Der Hof beantwortet die präjudizielle Frage in der Auslegung, die den fraglichen Bestimmungen durch den vorlegenden Richter verliehen wird.
B.3. In den Vorarbeiten zu den fraglichen Bestimmungen heisst es:
« Zwei Absätze werden nach Artikel 53 § 2 Absatz 1 hinzugefügt.
Diese beiden Absätze wurden infolge der Rechtsprechung des Staatsrates im Urteil Nr. 47.820 vom 9. Juni 1994 in der Rechtssache Beauprez hinzugefügt.
In diesem Urteil wurden die Formalitäten, die der beauftragte Beamte oder das Bürgermeister- und Schöffenkollegium einhalten müssen, wie folgt festgelegt: ' Aufgrund von Artikel 55 § 2 Absatz 1 des Grundlagengesetzes über die Raumordnung und den Städtebau ist der beauftragte Beamte verpflichtet, selbst dem Antragsteller die Beschwerdeschrift zu notifizieren. Lediglich aufgrund der Notifizierung der Beschwerdeschrift kann der Antragsteller prüfen, ob die Beschwerde des beauftragten Beamten ordnungsmässig eingereicht wurde. Durch die Notifizierung der Beschwerdeschrift wird der Antragsteller über das Datum, an dem die Beschwerde eingereicht wurde, die Instanz, bei der diese Beschwerde eingereicht wurde, sowie die Begründung, auf der diese beruht, informiert '.
Da die Rechtsprechung sich nicht nur auf die im Urteil Beauprez angeführten Formalitäten bezogen hat, werden gewisse Schwächen behoben; es wurde in der Tat als notwendig erachtet, erneut die Formalitäten zu definieren und zu präzisieren, die die Rechtsprechung mit § 2 verbindet. Hierbei werden gewisse Entwicklungen in der Rechtsprechung des Staatsrates berücksichtigt.
Im Urteil Nr. 33.645 vom 19. Dezember 1989 in der Rechtssache Scheers hat der Staatsrat erkannt, dass aus den Vorarbeiten zum Gesetz vom 22. Dezember 1970, mit dem unter anderem Artikel 55 des Gesetzes vom 29. März 1962 tiefgreifend geändert wurde, hervorgeht, dass die Anhörung des Beantragers der Genehmigung, des Bürgermeister- und Schöffenkollegiums, das die ursprüngliche Entscheidung getroffen hat, und des territorial zuständigen beauftragten Beamten als ein Mittel gelten kann, den Antrag auf kontradiktorische Weise und auf einer doppelten Rechtsprechungsebene zu prüfen, wobei die Parteien auf gleichen Fuss gesetzt werden.
Daher muss der Antragsteller nach Auffassung des Staatsrates über die gleichen Informationen verfügen wie die beiden anderen Parteien in der Rechtssache.
Gemäss dieser Rechtsprechung führt das Recht auf Anhörung für den Antragsteller dazu, dass er das Recht hat, die Aktenstücke einzusehen, die zu berücksichtigen sind bei der Prüfung des Antrags sowie bei der Entscheidung, die sich aus dieser Prüfung ergibt, und in jedem Fall diejenigen, in denen Argumente gegen die Erteilung der beantragten Genehmigung dargelegt werden, damit er sein Recht auf Verteidigung seiner Interessen vor dem Minister oder dessen Beauftragtem gemäss Artikel 55 des Gesetzes vom 29. März 1962 ordnungsmässig geltend machen kann.
Damit den im Urteil Scheers angeführten Bedingungen entsprochen wird, teilt die Instanz, die die Beschwerde einreicht, dem Antragsteller eine gewisse Anzahl zusätzlicher Angaben mit:
' 2. eine Aufstellung der anderen Belege, die der Flämischen Regierung, jedoch nicht dem Antragsteller zugesandt werden;
3. die Angabe der Instanz, die bei der Flämischen Regierung die Beschwerde vorbereitend prüft, dass er an der Adresse dieser Instanz beantragen kann, durch die Flämische Regierung oder deren Beauftragten angehört zu werden, die Akte einzusehen und Abschriften daraus zu erhalten '.
Aufgrund dieser zusätzlichen Angaben kann sich der Antragsteller bei seiner Anhörung in voller Kenntnis der Sachlage verteidigen.
Bisher wurde in der Rechtsprechung nicht angenommen, dass Mängel in Verfahren der kontradiktorischen Prüfung von Anträgen auf Städtebau- oder Parzellierungsgenehmigungen durch die Verwaltung berichtigt werden können (Staatsrat, Nr. 50.555 vom 1. Dezember 1994, in Sachen Vandecasteele).
Da die Rechtsprechung des Staatsrates keinerlei Grundlage für solche Berichtigungen bietet, muss diese Möglichkeit durch eine Dekretsbestimmung vorgesehen werden.
Diese Möglichkeit wird also in Absatz 3 vorgesehen. Es wird ebenfalls angeführt, dass sie auch für bereits anhängige Beschwerden gilt, über die noch nicht entschieden wurde, sowie für Beschwerden, über die nach einem Nichtigkeitsurteil des Staatsrates erneut entschieden wird » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2002-2003, Nr. 1800/1, S. 25).
B.4. Aufgrund der fraglichen Bestimmungen können gewisse Mängel bei der Notifizierung der Beschwerdeschrift an den Antragsteller behoben werden. Aus den vorerwähnten Vorarbeiten ergibt sich, dass diese Bestimmungen im Anschluss an die Rechtsprechung des Staatsrates angenommen wurden, wonach bestimmte Formfehler nicht durch die Behörden berichtigt werden können.
Diese Fehler werden erschöpfend aufgezählt: keine Aufstellung der anderen Belege, die der Flämischen Regierung, jedoch nicht dem Antragsteller zugesandt werden; keine Mitteilung der Instanz, die bei der Flämischen Regierung die Beschwerde vorbereitend prüft; keine Mitteilung, dass der Antragsteller an der Adresse dieser Instanz beantragen kann, angehört zu werden, die Akte einzusehen und Abschriften daraus zu erhalten (Artikel 53 § 2 Absatz 2 Nrn. 2 und 3).
Unbeschadet der endgültigen gerichtlichen Entscheidungen findet diese Regelung nicht nur Anwendung auf administrative Beschwerden, die ab dem 8. Februar 2004 eingereicht werden, sondern auch auf zuvor eingereichte Beschwerden, über die der zuständige Minister noch entscheiden muss, sowie auf zuvor eingereichte Beschwerden, die zu einer Entscheidung geführt haben, die anschliessend durch den Staatsrat für nichtig erklärt wurde und über die der zuständige Minister erneut entscheiden muss (Artikel 53 § 2 Absatz 3). Die präjudizielle Frage bezieht sich auf den letztgenannten Fall.
B.5. Die klagende Partei in dem Ausgangsverfahren führt hauptsächlich an, dass die fraglichen Bestimmungen, die Rückwirkung hätten, in gerichtliche Entscheidungen eingriffen, die rechtskräftig geworden seien. Hilfsweise ist sie der Auffassung, dass diese rückwirkenden Bestimmungen es erlaubten, in anhängige Gerichtsverfahren einzugreifen, obwohl keine aussergewöhnlichen Umstände oder zwingende Gründe des Allgemeininteresses bestünden, die ein solches Eingreifen rechtfertigen könnten.
In Bezug auf die zeitliche Wirkung der fraglichen Bestimmungen
B.6.1. Die fraglichen Bestimmungen sind am 8. Februar 2004, zehn Tage nach der Veröffentlichung des Dekrets vom 21. November 2003 im Belgischen Staatsblatt vom 29. Januar 2004, in Kraft getreten. Sie enthalten keine Ubergangsmassnahmen bezüglich der bereits vor ihrem Inkrafttreten eingereichten und noch anhängigen Beschwerden und finden daher gemäss den allgemeinen Grundsätzen, die für die zeitliche Wirkung von Rechtsnormen gelten, unmittelbar Anwendung.
Eine Regel kann nur dann als rückwirkend eingestuft werden, wenn sie auf Fakten, Handlungen und Situationen Anwendung findet, die zu dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens endgültig vollzogen waren.
B.6.2. Die fraglichen Bestimmungen führen in Anbetracht des Zeitpunktes, zu dem sie wirksam werden - im vorliegenden Fall am 8. Februar 2004 -, einen Unterschied ein zwischen Personen, die von der Rechtslage unter Anwendung der früheren Regelung betroffen sind, und Personen, die von der Rechtslage unter Anwendung der neuen Regelung betroffen sind. Ein solcher Unterschied stellt keinen Verstoss gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung dar. Jede Gesetzesänderung würde unmöglich, wenn man davon ausgehen würde, dass eine neue Bestimmung aus dem blossen Grund, dass sie die Anwendungsbedingungen der früheren Gesetzgebung ändert, gegen diese Verfassungsartikel verstossen würde, nur weil sie die Berechnungen derjenigen stören würde, die von der früheren Situation ausgegangen sind, oder nur weil sie die Erwartungen einer Partei in einem Gerichtsverfahren durchkreuzen würde.
B.6.3. Wenn der Dekretgeber eine Änderung der Politik für notwendig hält, kann er beschliessen, ihr eine sofortige Wirkung zu verleihen, und ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Ubergangsregelung vorzusehen. Gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung wird nur verstossen, wenn die Ubergangsregelung oder ihr Fehlen einen nicht vernünftig zu rechtfertigenden Behandlungsunterschied zur Folge hat oder wenn der Grundsatz des legitimen Vertrauens übermässig verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn die rechtmässigen Erwartungen einer bestimmten Kategorie von Rechtsunterworfenen verletzt werden, ohne dass das Fehlen einer Ubergangsregelung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses zu rechtfertigen ist.
B.6.4. Indem vorgesehen ist, dass bestimmte Mängel in der Notifizierung der Beschwerdeschrift an den Beantrager einer Städtebaugenehmigung behoben werden können, beeinträchtigen die fraglichen Bestimmungen nicht die rechtmässigen Erwartungen, die gegen die Zielsetzung des Dekretgebers, eine effiziente Raumordnungspolitik zu führen, aufwiegen würden.
Ausserdem bezieht sich der Dekretgeber nur auf die erschöpfend aufgezählten Formfehler und lässt die Sanktion der Nichtigkeit uneingeschränkt bestehen, wenn die Notifizierung an den Antragsteller keine Abschrift der Beschwerdeschrift enthält, aus der hervorgeht, an welchem Datum die Beschwerde eingereicht wurde und auf welchen Gründen die Beschwerde beruht, mit etwaigen Anlagen, die zur Untermauerung dieser Beschwerde verfasst wurden und ein integrierender Bestandteil davon sind (Artikel 53 § 2 Absatz 2 Nr. 1).
B.6.5. Aus dem Vorstehenden geht hervor, dass die fraglichen Bestimmungen dadurch, dass sie unmittelbar anwendbar sind, nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit verstossen.
In Bezug auf die Auswirkungen der fraglichen Bestimmungen auf rechtskräftig gewordene gerichtliche Entscheidungen
B.7.1. Gemäss einem fundamentalen Grundsatz unserer Rechtsordnung können gerichtliche Entscheidungen nicht abgeändert werden, ausser durch die Anwendung von Rechtsmitteln. Die fraglichen Bestimmungen dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass rechtskräftig gewordene gerichtliche Entscheidungen in Frage gestellt werden. Sollten sie diesen Zweck haben, so würden sie gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung verstossen, indem sie einer Kategorie von Personen den Vorteil von endgültig gewordenen gerichtlichen Entscheidungen vorenthielten, was durch keinerlei Umstände gerechtfertigt werden könnte. Dies betrifft nämlich einen der wesentlichen Grundsätze des Rechtsstaats.
B.7.2. Aus dem einleitenden Satz von Artikel 53 § 2 Absatz 3 - « Unbeschadet der endgültigen gerichtlichen Entscheidungen, in denen die Verletzung von Formvorschriften festgestellt wurde » - geht hervor, dass die fragliche Massnahme nicht auf rechtskräftig gewordene gerichtliche Entscheidungen angewandt werden kann. Dies wird bestätigt durch die in B.3 erwähnten Vorarbeiten zu dieser Bestimmung; die Massnahme gilt « für bereits anhängige Beschwerden, über die noch nicht entschieden wurde » sowie für « Beschwerden, über die nach einem Nichtigkeitsurteil des Staatsrates erneut entschieden wird ».
B.7.3. Der Dekretgeber hat also deutlich angegeben, dass die Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidungen, die insbesondere durch den Staatsrat gefällt wurden, nicht wieder in Frage gestellt werden kann. Diese Rechtskraft erstreckt sich auch auf die Begründung, die die notwendige Untermauerung des Urteilstenors darstellt. Sie verbietet es den Behörden, deren Akt für nichtig erklärt wurde, denselben Akt erneut anzunehmen, ohne die sanktionierte Regelwidrigkeit zu beheben.
Indem er nicht zur Folge hat, das Dekret auf die Rechtssachen anzuwenden, die mit einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung abgeschlossen wurden, und ebenfalls nicht, einen Verfahrensfehler zu decken, der zu einer Nichtigerklärung durch den Staatsrat geführt hat, hat Artikel 53 § 2 Absatz 3 keine Rückwirkung und beeinträchtigt er nicht die Rechtskraft von Urteilen des Staatsrates, die vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung gefällt wurden und mit denen ein ablehnender Verwaltungsbeschluss über einen Antrag auf Städtebaugenehmigung für nichtig erklärt wurde.
B.7.4. Die Prüfung anhand der Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention führt nicht zu einer anderen Schlussfolgerung.
In Bezug auf die Auswirkungen der fraglichen Bestimmungen auf anhängige Gerichtsverfahren
B.8.1. Wie der Hof bereits mehrfach geurteilt hat, kann die Nichtigerklärung eines Beschlusses durch ein Rechtsprechungsorgan wegen der Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift bei seiner Annahme nicht zur Folge haben, dass es dem Gesetzgeber unmöglich wäre, die hierdurch entstandene Rechtsunsicherheit zu beseitigen (siehe u.a. Urteil Nr. 64/2008 vom 17. April 2008, B.29.4 und B.47.4).
Das blosse Bestehen einer Klage vor dem Staatsrat verhindert nicht, dass die Regelwidrigkeiten, mit denen der angefochtene Akt gegebenenfalls behaftet sein könnte, behoben werden könnten, selbst vor dem Urteil über diese Klage (siehe u.a. Urteil Nr. 166/2008, B.13).
B.8.2. Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention bestimmt:
« Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise [...] gehört wird, und zwar von einem [...] Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen [...] zu entscheiden hat. [...] ».
Diese Regel steht der Einmischung der gesetzgebenden Gewalt in die Rechtspflege mit dem Ziel, den Ausgang eines anhängigen Gerichtsverfahrens zu beeinflussen, ausser aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, im Wege (EuGHMR, Grosse Kammer, 28. Oktober 1999, Zielinski und Pradal und Gonzalez und andere gegen Frankreich, § 57; EuGHMR, 27. April 2004, Gorraiz Lizarraga und andere gegen Spanien, § 64; EuGHMR, Grosse Kammer, 29. März 2006, Scordino gegen Italien, § 126; EuGHMR, 21. Juni 2007, SCM Scanner de l'Ouest Lyonnais und andere gegen Frankreich, § 28; EuGHMR, 17. Juli 2008, Sarnelli gegen Italien, § 34).
Die Folgen, die Methode und der Zeitpunkt der Einmischung der gesetzgebenden Gewalt bringen ihren Zweck ans Licht (EuGHMR, Grosse Kammer, 28. Oktober 1999, Zielinski und Pradal und Gonzalez und andere gegen Frankreich, § 58; EuGHMR, 28. Juni 2001, Agoudimos und Cefallonian Sky Shipping Co. gegen Griechenland, § 31).
B.8.3. Wie bereits zuvor festgestellt wurde, sind die fraglichen Bestimmungen nicht rückwirkend, jedoch unmittelbar anwendbar auf die noch anhängigen Beschwerden, einschliesslich derjenigen, über die die Verwaltungsbehörde nach einer Nichtigerklärung durch den Staatsrat erneut entscheiden muss. Der Dekretgeber hat somit nicht die rechtmässigen Erwartungen der an einem Gerichtsverfahren beteiligten Parteien verletzt.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Auftreten des Dekretgebers lediglich dazu dient, den Verlauf anhängiger Gerichtsverfahren zu beeinflussen, denn aus den in B.3 erwähnten Vorarbeiten geht hervor, dass dieses gesetzgeberische Auftreten sich aus dem Bemühen ergab, infolge der Rechtsprechung des Staatsrates ein Gleichgewicht zwischen einerseits den Rechten der Privatpersonen und andererseits dem Auftrag der Behörden, über Beschwerden bezüglich der Raumordnung zu entscheiden, zu schaffen.
Ausserdem zeigt das blosse Bestehen der Nichtigkeitsklage, die durch die klagende Partei beim Staatsrat eingereicht wurde, sowie des heutigen Verfahrens vor dem Hof, dass dieser Partei nicht ihr Recht auf eine gerichtliche Beschwerde entzogen wurde.
B.8.4. Die Prüfung anhand der Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention führt nicht zu einer anderen Schlussfolgerung.
B.9. Die präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Hof
erkennt für Recht:
Artikel 53 § 2 Absätze 2 und 3 des am 22. Oktober 1996 koordinierten Dekrets der Flämischen Region über die Raumordnung, abgeändert durch Artikel 67 Nr. 2 des Dekrets vom 21. November 2003, verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention.
Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 16. Juni 2011.
Der Kanzler,
P.-Y. Dutilleux.
Der Vorsitzende,
M. Bossuyt.