Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 28 Juni 2012 (België). RG 82/2012
- Sectie :
- Rechtspraak
- Bron :
- Justel D-20120628-3
- Rolnummer :
- 82/2012
Samenvatting :
Der Gerichtshof weist die Klagen zurück.
Arrest :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten R. Henneuse und M. Bossuyt, und den Richtern E. De Groot, L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, J. Spreutels, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul und F. Daoût, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten R. Henneuse,
verkündet nach Beratung folgenden Entscheid :
I. Gegenstand der Klagen und Verfahren
a. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 27. Juni 2011 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 28. Juni 2011 in der Kanzlei eingegangen ist, erhob Cécile Mayembe Kafutshi, wohnhaft in 1090 Brüssel, rue de la Loyauté 1A, Klage auf völlige oder teilweise (Paragraph 1 Absatz 5) Nichtigerklärung von Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern, ersetzt durch Artikel 187 des Gesetzes vom 29. Dezember 2010 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I), veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 31. Dezember 2010, dritte Ausgabe.
b. Mit Klageschriften, die dem Gerichtshof mit am 29. Juni 2011 bei der Post aufgegebenen Einschreibebriefen zugesandt wurden und am 30. Juni 2011 in der Kanzlei eingegangen sind, erhoben Sammy Mukuna Bambili, wohnhaft in 9600 Ronse, Kruisstraat 36/201, und Mako Hassan Mousse, wohnhaft in 1080 Brüssel, rue du Cinéma 1/A, Klage auf völlige oder teilweise (Paragraph 1 Absätze 4 und 5 und Paragraph 3 Absatz 1 Nr. 3) Nichtigerklärung des vorerwähnten Artikels 9ter.
c. Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 30. Juni 2011 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 1. Juli 2011 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben die VoG « Vluchtelingenwerk Vlaanderen », mit Vereinigungssitz in 1030 Brüssel, rue Gaucheret 164, die VoG « Association pour le droit des Etrangers », mit Vereinigungssitz in 1000 Brüssel, rue du Boulet 22, die VoG « Coordination et Initiatives pour et avec les Réfugiés et les Etrangers », mit Vereinigungssitz in 1050 Brüssel, rue du Vivier 80-82, und die VoG « Ligue des Droits de l'Homme », mit Vereinigungssitz in 1000 Brüssel, rue du Boulet 22, Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 187 des vorerwähnten Gesetzes vom 29. Dezember 2010, insofern diese Bestimmung einen Artikel 9ter § 2 und § 3 Absatz 1 Nrn. 2 und 3 in das vorerwähnte Gesetz vom 15. Dezember 1980 einfügt.
d. Mit Klageschriften, die dem Gerichtshof mit am 30. Juni 2011 bei der Post aufgegebenen Einschreibebriefen zugesandt wurden und am 1. Juli 2011 in der Kanzlei eingegangen sind, erhoben Patricia Deya Dimbu, wohnhaft in 1130 Rixensart, rue du Plagniau 1, und Diogo Barry, wohnhaft in 1020 Brüssel, rue Meyers-Hennau 4, Klage auf völlige oder teilweise (Paragraph 1 Absätze 4 und 5 und Paragraph 3 Absatz 1 Nr. 3 oder Paragraph 1 Absatz 5) Nichtigerklärung des vorerwähnten Artikels 9ter.
Diese unter den Nummern 5166, 5170, 5171, 5174, 5176 und 5177 ins Geschäftsverzeichnis des Gerichtshofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.
(...)
II. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1. Die klagenden Parteien in den Rechtssachen Nrn. 5166, 5170, 5171, 5176 und 5177 beantragen hauptsächlich die Nichtigerklärung von Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern, ersetzt durch Artikel 187 des Gesetzes vom 29. Dezember 2010 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I).
Hilfsweise beantragen die klagenden Parteien in den Rechtssachen Nrn. 5166 und 5177 die Nichtigerklärung von Paragraph 1 Absatz 5 der vorerwähnten Bestimmung.
Die klagenden Parteien in den Rechtssachen Nrn. 5170, 5171 und 5176 beantragen ihrerseits hilfsweise die Nichtigerklärung von Paragraph 1 Absätze 4 und 5 sowie von Paragraph 3 Absatz 1 Nr. 3 der vorerwähnten Bestimmung.
Die in der Rechtssache Nr. 5174 eingereichte Klage bezweckt die Nichtigerklärung von Artikel 187 des Gesetzes vom 29. Dezember 2010, insofern er Artikel 9ter § 2, Artikel 9ter § 3 Nr. 2 und Artikel 9ter § 3 Nr. 3 in das Gesetz vom 15. Dezember 1980 einfügt.
In Bezug auf die angefochtene Bestimmung
B.2. Artikel 187 des Gesetzes vom 29. Dezember 2010 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I) lautet :
« 1. Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern, eingefügt durch das Gesetz vom 15. September 2006 und abgeändert durch die Gesetze vom 6. Mai 2009 und 7. Juni 2009, wird wie folgt ersetzt :
'Art. 9ter. § 1. Ein Ausländer, der sich in Belgien aufhält, seine Identität gemäss § 2 nachweist und so sehr an einer Krankheit leidet, dass sie eine tatsächliche Gefahr für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit oder eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darstellt, wenn in seinem Herkunftsland oder dem Land, in dem er sich aufhält, keine angemessene Behandlung vorhanden ist, kann beim Minister beziehungsweise seinem Beauftragten beantragen, dass ihm der Aufenthalt im Königreich erlaubt wird.
Der Antrag muss per Einschreiben beim Minister beziehungsweise seinem Beauftragten eingereicht werden und die Adresse des tatsächlichen Wohnortes des Ausländers in Belgien enthalten.
Mit dem Antrag übermittelt der Ausländer alle nützlichen Auskünfte zu seiner Krankheit sowie zu den Möglichkeiten und der Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung in seinem Herkunftsland oder in dem Land, in dem er sich aufhält.
Er übermittelt ein vom König in einem im Ministerrat beratenen Erlass vorgesehenes ärztliches Standardattest. Dieses ärztliche Attest gibt Auskunft über die Krankheit, ihren Schweregrad und die als notwendig erachtete Behandlung.
Die Beurteilung der in Absatz 1 erwähnten Gefahr, der Behandlungsmöglichkeiten, ihrer Zugänglichkeit in seinem Herkunftsland oder dem Land, in dem er sich aufhält, und der Krankheit, ihrem Schweregrad und der als notwendig erachteten Behandlung, die im ärztlichen Attest angegeben werden, wird von einem beamteten Arzt oder von einem vom Minister beziehungsweise von seinem Beauftragten bestimmten Arzt vorgenommen, der diesbezüglich ein Gutachten abgibt. Er kann falls erforderlich den Ausländer untersuchen und bei Gutachtern ein zusätzliches Gutachten einholen.
§ 2. Bei Einreichung des Antrags weist der Ausländer seine Identität, wie in § 1 Absatz 1 erwähnt, durch ein Identitätsdokument oder Belege nach, die folgenden Bedingungen entsprechen :
1. Sie enthalten den vollständigen Namen, den Geburtsort, das Geburtsdatum und die Staatsangehörigkeit des Betreffenden.
2. Sie sind von der zuständigen Behörde gemäss dem Gesetz vom 16. Juli 2004 zur Einführung des Gesetzbuches über das internationale Privatrecht oder den internationalen Abkommen in derselben Angelegenheit ausgestellt worden.
3. Sie erlauben die Feststellung einer physischen Verbindung zwischen dem Inhaber und dem Betreffenden.
4. Sie sind nicht auf der Grundlage einfacher Erklärungen des betreffenden Ausländers aufgesetzt worden.
Der Ausländer kann seine Identität auch durch mehrere Belege nachweisen, die zusammengefasst die Bestandteile der Identität, wie in Absatz 1 Nr. 1 vorgesehen, vereinen, sofern jeder Beleg mindestens den in Absatz 1 Nr. 2 und 4 erwähnten Anforderungen entspricht und mindestens ein Beleg der in Absatz 1 Nr. 3 erwähnten Anforderung entspricht.
Die Verpflichtung, seine Identität nachzuweisen, gilt nicht für Asylsuchende, in Bezug auf deren Asylantrag kein definitiver Beschluss gefasst worden ist oder die gegen diesen Beschluss eine gemäss Artikel 20 der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze über den Staatsrat für annehmbar erklärte Kassationsbeschwerde eingereicht haben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Ablehnungsentscheid in Bezug auf die für annehmbar erklärte Beschwerde ausgesprochen wird. Ausländer, für die diese Befreiung gilt, müssen dies in ihrem Antrag ausdrücklich nachweisen.
§ 3. Der Beauftragte des Ministers erklärt den Antrag für unzulässig :
1. wenn der Ausländer seinen Antrag nicht per Einschreiben beim Minister beziehungsweise seinem Beauftragten einreicht oder wenn der Antrag die Adresse seines tatsächlichen Wohnortes in Belgien nicht enthält,
2. wenn der Ausländer im Antrag seine Identität nicht gemäss den in § 2 erwähnten Modalitäten nachweist oder wenn der Antrag den Nachweis, der in § 2 Absatz 3 vorgesehen ist, nicht enthält,
3. wenn das ärztliche Standardattest nicht mit dem Antrag vorgelegt wird oder wenn das ärztliche Standardattest die in § 1 Absatz 4 vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt,
4. in den in Artikel 9bis § 2 Nr. 1 bis 3 erwähnten Fällen oder wenn die angeführten Sachverhalte zur Unterstützung des Antrags auf Erlaubnis, sich im Königreich aufzuhalten, bereits im Rahmen eines vorherigen Antrags auf Aufenthaltserlaubnis aufgrund der vorliegenden Bestimmung angeführt wurden.
§ 4. Ausländer werden von vorliegender Bestimmung ausgeschlossen, wenn der Minister beziehungsweise sein Beauftragter der Meinung ist, dass schwerwiegende Gründe zu der Annahme vorliegen, dass sie in Artikel 55/4 erwähnte Handlungen begangen haben.
§ 5. Die in § 1 Absatz 5 erwähnten Gutachter werden vom König durch einen im Ministerrat beratenen Erlass bestellt.
Der König legt durch einen im Ministerrat beratenen Erlass die Verfahrensregeln fest und bestimmt ebenfalls, wie die in Absatz 1 erwähnten Gutachter vergütet werden.
§ 6. Artikel 458 des Strafgesetzbuches ist auf den Beauftragten des Ministers und auf die Mitglieder seines Dienstes anwendbar, was medizinische Auskünfte betrifft, von denen sie in Ausübung ihres Amtes Kenntnis erhalten. '
2. In Artikel 12bis § 4 Absatz 2 desselben Gesetzes werden die Wörter 'gemäss Artikel 9ter § 2' durch die Wörter 'gemäss Artikel 9ter § 5' ersetzt ».
In Bezug auf das Interesse der klagenden Parteien
B.3.1. In den Rechtssachen Nrn. 5166, 5170, 5171, 5176 und 5177 führt der Ministerrat an, die Klage sei nicht zulässig, da die klagenden Parteien kein Interesse an der Klageerhebung hätten. Sie wiesen nämlich nicht nach, dass die Bestimmung, deren Nichtigerklärung sie beantragten, sich mit Sicherheit, direkt und persönlich auf sie nachteilig auswirken könne.
B.3.2. Die Verfassung und das Sondergesetz vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof erfordern, dass jede natürliche oder juristische Person, die eine Nichtigkeitsklage erhebt, ein Interesse nachweist. Das erforderliche Interesse liegt nur bei jenen Personen vor, deren Situation durch die angefochtene Rechtsnorm unmittelbar und ungünstig beeinflusst werden könnte.
B.3.3. Alle klagenden Parteien in den Rechtssachen Nrn. 5166, 5170, 5171 und 5177 haben bei den belgischen Behörden aufgrund von Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 beantragt, dass ihnen der Aufenthalt im Königreich aus medizinischen Gründen erlaubt wird. In den in ihrer Klageschrift dargelegten Klagegründen erläutern sie, dass ihre Anträge in Anwendung der angefochtenen Bestimmung abgewiesen worden seien, die ihres Erachtens nicht mit den von ihnen geltend gemachten subjektiven Rechten vereinbar sei. Sie weisen folglich in ausreichendem Masse ihr Interesse an der Beantragung der Nichtigerklärung des angefochtenen Artikels 9ter nach.
B.3.4. Die klagende Partei in der Rechtssache Nr. 5176 hat dem Gerichtshof mit einem Brief, der am 20. Oktober 2011 in der Kanzlei eingegangen ist, mitgeteilt, dass sie durch eine Entscheidung des Generalkommissars vom 20. Juli 2011 als Flüchtling anerkannt worden sei.
Unter Berücksichtigung dessen, dass der vorerwähnten klagenden Partei in ihrer Eigenschaft als Flüchtling der Aufenthalt auf dem belgischen Staatsgebiet erlaubt worden ist, besitzt sie kein Interesse mehr daran, eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen - im vorliegenden Fall medizinischen - Gründen zu beantragen. Sie verliert folglich ihr Interesse an der Klageerhebung.
B.4.1. In der Rechtssache Nr. 5174 stellt der Ministerrat die Zulässigkeit der Klage der ersten und der dritten klagenden Partei in Abrede. Seines Erachtens gehe aus den Aktenstücken nicht hervor, dass der Verwaltungsrat der vorerwähnten klagenden Parteien ordnungsmässig zusammengesetzt gewesen sei, um den Klageerhebungsbeschluss zu fassen. In Bezug auf die erste klagende Partei werde ebenfalls nicht nachgewiesen, dass der Klageerhebungsbeschluss mit Stimmenmehrheit gefasst worden sei.
B.4.2. Die Nichtigkeitsklage in der Rechtssache Nr. 5174 wurde durch vier Vereinigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht eingereicht, nämlich die VoG « Vluchtelingenwerk Vlaanderen », die VoG « Association pour le droit des Etrangers », die VoG « Coordination et Initiatives pour et avec les Réfugiés et les Etrangers » und die VoG « Ligue des Droits de l'Homme ».
Gemäss Artikel 2 ihrer Satzung besteht der Vereinigungszweck der zweiten klagenden Partei, der VoG « Association pour le droit des Etrangers », unter anderem darin, Ausländern, und insbesondere Studenten, Flüchtlingen und Gastarbeitern, Hilfe und Rechtsbeistand zu gewähren.
Gemäss ihrer Satzung bezweckt die vierte klagende Partei, VoG « Ligue des Droits de l'Homme », « die Ungerechtigkeit und jegliche willkürliche Beeinträchtigung der Rechte eines Einzelnen oder einer Gemeinschaft zu bekämpfen. Sie verteidigt die Grundsätze der Gleichheit, der Freiheit, der Solidarität und des Humanismus, auf denen die demokratischen Gesellschaften beruhen und die unter anderem durch die belgische Verfassung die Europäische Menschenrechtskonvention [...] verkündet werde ».
B.4.3. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Massnahme, die die Bedingungen festlegt, unter denen Ausländern der Aufenthalt auf dem belgischen Staatsgebiet aus medizinischen Gründen erlaubt werden kann, geeignet ist, den Vereinigungszweck der klagenden Vereinigungen in ungünstigem Sinne zu betreffen.
B.4.4. Da die zweite und die vierte klagende Partei ein Interesse an der Klageerhebung nachweisen und ihre Klage zulässig ist, muss der Gerichtshof nicht prüfen, ob dies auch für die erste und die dritte klagende Partei der Fall ist.
Zur Hauptsache
In Bezug auf die Rechtssachen Nrn. 5166, 5170, 5171 und 5177
B.5. Die klagenden Parteien in den Rechtssachen Nrn. 5166 und 5170 führen zur Untermauerung ihrer Klageschrift einen einzigen Klagegrund an, der sechs Beschwerden umfasst und mit dem ersten Klagegrund in den Rechtssachen Nrn. 5171 und 5177 identisch ist. Dieser Klagegrund ist abgeleitet aus einem Verstoss von Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980, ersetzt durch Artikel 187 des Gesetzes vom 29. Dezember 2010 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I), gegen die Artikel 10, 11, 22, 23 Absätze 1 und 3 Nr. 2 und 191 der Verfassung, gegebenenfalls in Verbindung mit deren Artikeln 144 und 145, mit den Artikeln 2, 3 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, mit den Artikeln 2, 3, 5, 7, 9, 10 und 11bis des Gesetzes vom 22. August 2002 über die Rechte des Patienten, mit den Artikeln 2, 3 und 8 § 5 des Gesetzes vom 13. Juni 1999 über die Kontrollmedizin sowie mit den Artikeln 119, 122, 124, 126 § 4 und 141 des Kodex der ärztlichen Berufspflichten der nationalen Ärztekammer.
B.6.1. Nach Auffassung des Ministerrates sei der Klagegrund ratione temporis unzulässig, weil die angefochtene Bestimmung nicht die Rolle des beamteten Arztes in dem durch Artikel 9ter § 1 Absatz 5 geregelten Verfahren geändert habe im Vergleich zu der Regelung, die in das Gesetz vom 15. Dezember 1980 eingefügt worden sei durch Artikel 5 des Gesetzes vom 15. September 2006 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern.
B.6.2. Der Umstand, dass ein Klagegrund gegen eine neue Gesetzesbestimmung gerichtet ist, die eine ähnliche Tragweite hat wie eine bereits bestehende Bestimmung, hat an sich nicht zur Folge, dass dieser Klagegrund unzulässig wäre.
B.6.3. Obwohl die angefochtene Bestimmung, die Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980, eingefügt durch das Gesetz vom 15. September 2006 und abgeändert durch die Gesetze vom 6. Mai 2009 und 7. Juni 2009, ersetzt hat, eine ähnliche Tragweite hat wie der ersetzte Artikel, hat der Gesetzgeber durch die Annahme der angefochtenen Bestimmung seinen Willen ausgedrückt, erneut gesetzgeberisch aufzutreten, indem er inhaltliche Änderungen am ursprünglichen Text vorgenommen hat. Er hat sich somit dessen Inhalt zu Eigen gemacht, so dass die Bestimmung innerhalb der gesetzlichen Frist vor dem Gerichtshof angefochten werden kann.
Die Einrede wird abgewiesen.
B.7.1. Der Ministerrat macht an zweiter Stelle die Unzulässigkeit ratione materiae des Klagegrunds geltend, indem darin ein Verstoss gegen das Gesetz vom 22. August 2002 über die Rechte des Patienten und gegen das Gesetz vom 13. Juni 1999 über die Kontrollmedizin angeführt wird.
Ausserdem würden die klagenden Parteien in ihrer Klageschrift nicht ausreichend verdeutlichen, inwiefern gegen die Artikel 22, 23 Absätze 1 und 3 Nr. 2, 144 und 145 der Verfassung verstossen würde.
Nach Darlegung des Ministerrates könnten die klagenden Parteien dadurch, dass sie die Situation einer jeden Person, die durch einen Arbeitsvertrag gebunden sei, mit derjenigen eines Ausländers verglichen, der auf der Grundlage von Artikel 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 eine Aufenthaltserlaubnis beantrage, in Ermangelung von Präzisierungen Bezug auf einen ausländischen Bürger nehmen, der ordnungsgemäss eine Berufstätigkeit auf dem belgischen Staatsgebiet ausübe. Sie würden somit zwei Kategorien von Ausländern miteinander vergleichen, während Artikel 191 der Verfassung beinhalte, dass zwischen Belgiern und Ausländern verglichen werde.
B.7.2. Der durch die klagenden Parteien angeführte Klagegrund umfasst sechs Beschwerden. Die angefochtene Bestimmung verletze das Recht des Ausländers, ein menschenwürdiges Leben zu führen, sein Recht auf Gesundheitsschutz, sein Recht auf medizinischen Beistand sowie sein Recht auf Achtung vor seinem Privatleben. Die angefochtene Bestimmung führe nach Auffassung der klagenden Parteien ebenfalls einen diskriminierenden Behandlungsunterschied zwischen den Ausländern, die der dadurch eingeführten medizinischen Kontrolle unterlägen, und jedem anderen, einer medizinischen Kontrolle unterliegenden Patienten ein. Schliesslich wird ebenfalls bemängelt, dass die angefochtene Bestimmung eine identische Behandlung von Ausländern, die eine Aufenthaltserlaubnis beantragten, einführe, je nachdem, ob dieser Antrag auf medizinischen Gründen beruhe oder nicht.
Die klagenden Parteien bemängeln insbesondere, dass die angefochtene Bestimmung folgende Garantien nicht vorsehe : die Möglichkeit der Schlichtung einer Streitsache zwischen dem durch das Ausländeramt bestimmten Arzt und dem behandelnden Arzt des Ausländers in Bezug auf dessen Gesundheitszustand oder die ihm zu verordnende Behandlung; die Möglichkeit, diese medizinisch Streitsache einem Rechtsprechungsorgan zu unterbreiten; die Notwendigkeit für den Kontrollarzt, seine Unabhängigkeit von seinem Mandanten nachzuweisen; die Verpflichtung für den Arzt, eine Erfahrung und Qualifikation auf dem Gebiet der Kontrollmedizin nachzuweisen; die Verpflichtung für den Arzt, die Spezialisierung nachzuweisen, die für die Prüfung der Erkrankung erforderlich sei; die Verpflichtung für den Arzt, den Facharzt, von dessen Meinung er abweiche, hinzuzuziehen, die Person zu untersuchen, bevor er sein Gutachten abgebe, die medizinischen Informationen, über die er verfüge, auf aktuellem Stand zu halten, und schliesslich die Garantie des Nichteingreifens in die vom behandelnden Arzt verordnete Behandlung.
B.7.3. Im Gegensatz zu dem, was der Ministerrat anführt, beschränken die Parteien sich nicht darauf, zwei Kategorien von Ausländern miteinander zu vergleichen, sondern legen hinlänglich dar, inwiefern ihres Erachtens das Recht des Ausländers auf ein menschenwürdiges Leben, seine Rechte, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden, sowie sein Recht auf Schutz seiner Gesundheit verletzt würden wegen des in ihrem Klagegrund anprangerten Fehlens von Garantien, im Widerspruch zu den Artikeln 22 und 23 der Verfassung. Die klagenden Parteien bemängeln in einer ihrer Beschwerden ebenfalls den Behandlungsunterschied, den das angefochtene Gesetz in Bezug auf Ausländer einführe, die eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen beantragten und die nicht in den Genuss der gleichen Rechte gelangten wie jeder andere Patient, der einer medizinischen Untersuchung unterzogen werde.
B.8.1. In Bezug auf das Gesetz vom 13. Juni 1999 über die Kontrollmedizin erkennen die klagenden Parteien in ihrer Klageschrift an, dass die Situation eines Ausländers, dem durch das angefochtene Gesetz eine Kontrolle der Realität und Schwere seiner Krankheit auferlegt werde, nicht zum Anwendungsbereich des besagten Gesetzes gehöre. Sie führen jedoch an, dass die Ähnlichkeit der durch diese Gesetze erfassten Situationen zu berücksichtigen sei, da die darin vorgesehenen Kontrollen dazu dienten, die Realität und die Schwere der Erkrankung einer Person, die einen Vorteil oder die Anerkennung eines damit verbundenen Rechtes beantrage, zu überprüfen.
In Artikel 2 des vorerwähnten Gesetzes vom 13. Juni 1999 wird die Kontrollmedizin als die medizinische Tätigkeit definiert, die von einem Arzt im Auftrag eines Arbeitgebers ausgeübt wird, um die infolge einer Krankheit oder eines Unfalls bestehende Unmöglichkeit, seine Arbeit zu verrichten, zu kontrollieren. Der Kontrollarzt prüft somit die Realität der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, überprüft deren voraussichtliche Dauer und gegebenenfalls die anderen medizinischen Angaben zum Arbeitnehmer. Wie der Ministerrat bemerkt, ist die Kontrollmedizin also ein strikter Bestandteil des Bestehens eines Arbeitsvertrags, der dem Gesetz vom 3. Juli 1978 über die Arbeitsverträge unterliegt, wenn die Ausführung des Vertrags ausgesetzt wird, weil es dem Arbeitnehmer infolge einer Krankheit oder eines Unfalls unmöglich ist, seine Arbeit zu verrichten.
B.8.2. Angesichts der unterschiedlichen Ziele der medizinischen Kontrolle ist es vernünftig gerechtfertigt, dass in der angefochtenen Bestimmung nicht das gleiche Verfahren wie im Gesetz vom 13. Juni 1999 vorgesehen ist.
Der Gerichtshof muss jedoch prüfen, ob das durch die angefochtene Bestimmung eingeführte Verfahren den betroffenen Ausländern ausreichende Garantien hinsichtlich der im Klagegrund angeführten Verfassungs- und Vertragsbestimmungen bietet.
B.9. Das in Artikel 9ter vorgesehene Verfahren wurde in das Gesetz vom 15. Dezember 1980 eingefügt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 15. September 2006 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern. Der Gesetzgeber wollte ein spezifisches Verfahren für schwerkranke Ausländer einführen, das sich von dem Verfahren für Personen, die den subsidiären Schutz beantragen und deren Situation im Rahmen des Asylverfahrens durch den Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose geprüft wird, unterscheidet. So heisst es in der Begründung :
« Ausländer, die unter einer solch schweren Krankheit leiden, dass diese Krankheit eine reale Gefahr für ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit darstellt oder dass die Krankheit eine reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darstellt, wenn in ihrem Herkunftsland oder in dem Land, in dem sie sich aufhalten, keine angemessene Behandlung besteht, werden infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durch Artikel 15 Buchstabe b der Richtlinie 2004/83/EG (unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) erfasst.
Die Regierung hat es jedoch nicht als zweckmässig erachtet, die Anträge der Ausländer, die angeben, schwer erkrankt zu sein, über das Asylverfahren zu behandeln, und dies aus folgenden Gründen :
- Die Asylbehörden verfügen nicht über die erforderlichen Kompetenzen, um die medizinische Situation eines Ausländers oder die medizinische Betreuung im Herkunftsland oder dem Land, in dem sie sich aufhalten können, zu beurteilen.
- Das Verfahren bei den Asylinstanzen ist nicht geeignet, auf dringende medizinische Fälle angewandt zu werden. Das Eingreifen von mindestens zwei Instanzen (GKFS-RAS) steht im Widerspruch zu der Notwendigkeit, sofort Stellung zu beziehen.
- Was den Haushalt betrifft, würden, falls die Asylinstanzen ebenfalls für diese Problematik zuständig wären, zusätzliche Investitionen unerlässlich (medizinische Sachverständige, Ausdehnung der Ermittlungsarbeit auf Situationen in ihrem Herkunftsland, zusätzliche Arbeit bei der Bearbeitung der Akten).
Im Entwurf wird daher ein Behandlungsunterschied zwischen schwerkranken Ausländern, die beantragen müssen, dass ihnen der Aufenthalt in Belgien erlaubt wird, und den anderen Antragstellern auf subsidiären Schutz, deren Situation im Rahmen des Asylverfahrens geprüft wird, vorgenommen.
Dieser Behandlungsunterschied beruht auf dem objektiven Kriterium der Begründetheit des Antrags, wonach er entweder aufgrund der schweren Krankheit des Antragstellers oder einer anderen schwerwiegenden Beeinträchtigung, wegen deren ein subsidiärer Schutz geltend gemacht werden kann, gestellt wird. Die zur Untermauerung dieser beiden Arten von Anträgen angeführten Elemente sind nämlich grundlegend unterschiedlich; während der Antrag auf der Grundlage eines anderen Kriteriums zur Gewährung des subsidiären Schutzes eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Erklärungen des Antragstellers erfordert (subjektives Element), beruht der Antrag wegen einer schweren Krankheit im Wesentlichen auf einer ärztlichen Untersuchung (objektives Element).
Diese objektive Diagnose kann jedoch keineswegs durch die belgischen Behörden, sei es der Minister oder sein Beauftragter oder seien es die Asylinstanzen, erstellt werden und erfordert ein medizinisches Gutachten. Ausgehend von dieser Feststellung beruht die Zielsetzung des eingeführten Systems darin, die Asylinstanzen nicht mit Anträgen zu belasten, die sie derzeit nicht prüfen müssen und zu denen sie in jedem Fall nicht direkt Stellung nehmen könnten.
Das Mittel zum Erreichen dieses Ziels ist die Anwendung eines spezifischen gesetzlichen Verfahrens in Artikel 9ter mit klaren Bedingungen und dem Ergebnis, dass der Minister oder sein Beauftragter auf der Grundlage der diesbezüglich bestehenden Praxis eine Entscheidung trifft. Dieses Mittel steht im Verhältnis zur Zielsetzung, insofern es nicht die Möglichkeit der betroffenen Ausländer beeinträchtigt, den Status des subsidiären Schutzes geltend zu machen und zu erhalten, sondern lediglich ein Parallelverfahren zum Asylverfahren regelt.
Bezüglich der vorerwähnten Begründung wegen des Fehlens der erforderlichen Kompetenzen auf medizinischem Gebiet bei den Asylinstanzen, wozu der Staatsrat bemerkt hat, dass sie durch den Umstand widerlegt werde, dass die Lage der schwerkranken Ausländer bereits heute teilweise durch das Gutachten des GKFS im Rahmen eines Widerspruchs im Dringlichkeitsverfahren erfasst werde, ist zu bemerken, dass die Berufung auf rein medizinische Gründe in diesem Rahmen ziemlich selten ist und dass in jedem Fall das Gutachten des GKFS in Bezug auf solche Gründe nur auf einer informellen Prüfung der Lage beruht, im Wesentlichen auf der Grundlage des durch den Asylbewerber vorgelegten ärztlichen Attestes. Der Minister oder sein Beauftragter kann diese Art von Gutachten in jedem Fall in Frage stellen durch ein medizinisches Gegengutachten des Vertrauensarztes des Ausländeramtes im Rahmen der Prüfung der Zweckmässigkeit einer Massnahme zum Entfernen des Betroffenen. Das Verfahren des Gutachtens des GKFS kann also nicht mit einem Verfahren verglichen werden, das dazu dient, schwerkranken Ausländern auf der Grundlage eines medizinischen Gutachtens im eigentlichen Sinne eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Was die vorerwähnte Rechtfertigung bezüglich der ungeeigneten Beschaffenheit des Asylverfahrens für dringende medizinische Fälle betrifft, die ebenfalls Gegenstand einer Bemerkung des Staatsrates ist, sei hinzugefügt, dass das Asylverfahren durch das so genannte ' Dublin '-Verfahren eingeleitet wird, das heisst die Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags verantwortlichen Staates, was im Falle einer dringenden medizinischen Situation ungeeignet ist.
Was insbesondere das organisierte Verfahren betrifft, ist in Artikel 9ter vorgesehen, dass diese Ausländer einen Aufenthaltsantrag bei dem Minister oder seinem Beauftragten einreichen können. Sie müssen jedoch, sofern nicht im Gesetz eine Ausnahme vorgesehen ist, ihre Identität deutlich nachweisen.
Die Beurteilung der medizinischen Situation und der medizinischen Betreuung im Herkunftsland erfolgt durch einen beamteten Arzt, der hierzu ein Gutachten abgibt. Er kann notwendigenfalls den Ausländer untersuchen und ein zusätzliches Gutachten von Sachverständigen einholen » (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2478/001, SS. 9 bis 12).
B.10. Durch Artikel 2 des Gesetzes vom 7. Juni 2009 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 hat der Gesetzgeber zwischen den Wörtern « beamteten Arzt » und dem Wort « vorgenommen » die Wörter « oder einem vom Minister oder von seinem Beauftragten bestimmten Arzt » eingefügt, so wie sie ursprünglich in Artikel 9ter standen, eingefügt. Nach der Feststellung, dass es seit dem Inkrafttreten der vorerwähnten Bestimmung am 1. Juni 2007 nicht selbstverständlich war, Ärzte zu finden, die bereit waren, den Beamtenstatus anzunehmen, hat der Gesetzgeber es als zweckmässig erachtet, dass im Falle der Arbeitsüberlastung ein Arzt, der nicht beamtet ist, ein Gutachten abgeben kann.
In den Vorarbeiten zum Gesetz heisst es :
« Aus operationellen Gründen wird es sich um Ärzte handeln, die vom Minister oder von seinem Beauftragten anhand eines mit Krankenhäusern, Zusammenschlüssen von Kontrollärzten oder Ärztepraxen abgeschlossenen Protokolls bestimmt werden. In dieser Vereinbarung wird klar angegeben, dass das durch die Ärzte abzugebende Gutachten objektiv und von hoher Qualität sein muss.
Die Bestimmung von Ärzten durch ein Protokoll ist notwendig, weil diese regelmässig mit dem Ausländeramt und mit den gemäss Artikel 9ter bestimmten Sachverständigen zusammenarbeiten müssen. Das Verfahren wäre nicht effizient, wenn jeder Arzt dieses Gutachten abgeben könnte » (Parl. Dok., Kammer, 2008-2009, DOC 52-1891/001, S. 3).
B.11. In Bezug auf den Behandlungsunterschied zwischen Ausländern, die eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen auf der Grundlage von Artikel 9ter des Ausländergesetzes beantragen, und den Personen, die den subsidiären Schutz auf der Grundlage von Artikel 48/4 dieses Gesetzes beantragen, hat der Gerichtshof in seinem Entscheid Nr. 95/2008 vom 26. Juni 2008 erkannt :
« B.10. Der Behandlungsunterschied zwischen ernsthaft erkrankten Ausländern, die auf der Grundlage von Artikel 9ter des Ausländergesetzes eine Erlaubnis zum Aufenthalt in Belgien beantragen müssen, und den anderen Personen, die den subsidiären Schutz beantragen und deren Situation im Rahmen des Asylverfahrens durch den Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose geprüft wird, ist in der Begründung ausführlich gerechtfertigt worden, unter anderem anlässlich von Bemerkungen des Staatsrates (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2478/001, SS. 187-190):
[...]
B.11. Aufgrund der vorerwähnten Vorarbeiten und der Tragweite des Wortes 'kann' in Artikel 48/4 § 1 des Ausländergesetzes, das durch den (ebenfalls angefochtenen) Artikel 26 des Gesetzes vom 15. September 2006 eingefügt wurde, ist festzustellen, dass Artikel 9ter des Ausländergesetzes nicht die Möglichkeit der betreffenden Ausländer, den subsidiären Schutzstatus geltend zu machen und in Anspruch zu nehmen, beeinträchtigt, sondern lediglich ein paralleles Verfahren neben dem Asylverfahren organisiert. Bei der Beurteilung des Klagegrunds ist daher auch zu berücksichtigen, dass die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes nicht notwendigerweise bedeutet, dass der Ausländer nicht den subsidiären Schutz in Anspruch nehmen könnte.
B.12. Der Behandlungsunterschied zwischen beiden Kategorien von Ausländern beruht auf einem objektiven Kriterium, nämlich dem Umstand, ob der Antrag eingereicht wird durch einen Ausländer, der so sehr an einer Krankheit leidet, dass diese eine tatsächliche Gefahr für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit oder eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darstellt, wenn in seinem Herkunftsland oder dem Land, in dem er sich aufhält, keine angemessene Behandlung vorhanden ist, oder durch einen Ausländer, bei dem eine reale Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 ' über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ' besteht; auf diese Richtlinie verweist Artikel 3 Absatz 3 der Verfahrensrichtlinie.
B.13. Der Behandlungsunterschied wird gerechtfertigt durch die Art der Untersuchung, die durchgeführt werden muss und die in den Vorarbeiten als ' objektiv ' beschrieben wird, weil sie auf medizinischen Feststellungen beruht. Bei der Beurteilung dieser Anträge wird im Ubrigen im Unterschied zu dem, was die klagende Partei anführt, nicht nur der Gesundheitszustand des Antragstellers berücksichtigt, sondern auch die Eignung der medizinischen Behandlung in seinem Herkunftsland oder dem Land, in dem er sich aufhält, wie aus Paragraph 1 der angefochtenen Bestimmung hervorgeht.
Dabei ist gegebenenfalls auch zu prüfen, ob der Antragsteller tatsächlich auch Zugang zur medizinischen Behandlung in diesem Land hat. Wenn das Verfahren auf der Grundlage von Artikel 9ter dies nicht ermöglicht, kann er in Anwendung dessen, was in B.11 dargelegt wurde, das Verfahren des subsidiären Schutzes in Anspruch nehmen, um dies noch untersuchen zu lassen, und zwar zur Einhaltung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
B.14. Die in Artikel 9ter vorgesehene Regelung bietet ausreichende Garantien für den Antragsteller der Aufenthaltserlaubnis. So verleiht das Verfahren ein Recht auf zeitweiligen Aufenthalt, wie aus Artikel 7 § 2 Absatz 2 des königlichen Erlasses vom 17. Mai 2007 ' zur Festlegung der Ausführungsmodalitäten des Gesetzes vom 15. September 2006 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern ' hervorgeht (Belgisches Staatsblatt, 31. Mai 2007, zweite Ausgabe). Aufgrund dieses Artikels erteilt der Beauftragte des Ministers im Falle eines zulässigen Antrags aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes nämlich der Gemeinde die Anweisung, den Antragsteller in das Fremdenregister der Gemeinde einzutragen und ihm eine Registrierungsbescheinigung Muster A auszuhändigen. In diesem Zusammenhang wurde während der Vorarbeiten hervorgehoben, dass ein ernsthaft kranker Ausländer, der dennoch aus gleich welchen Gründen von der Inanspruchnahme von Artikel 9ter des Ausländergesetzes ausgeschlossen wird, nicht entfernt wird, wenn er derart ernsthaft erkrankt ist, dass seine Entfernung einen Verstoss gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen würde (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2478/001, S. 36), wobei eine solche Entfernung unter diesen Umständen nicht möglich wäre, wie der Hof in seinem Urteil Nr. 141/2006 vom 20. September 2006 entschieden hat.
Gegen eine Verweigerungsentscheidung des Ministers oder seines Beauftragten ist aufgrund von Artikel 39/2 des Ausländergesetzes eine Nichtigkeitsklage beim Rat für Ausländerstreitsachen möglich. Angesichts der besonderen Merkmale des Verfahrens von Artikel 9ter des Ausländergesetzes und der Beschaffenheit der Angaben, auf denen eine Entscheidung beruhen muss, auch hinsichtlich der Gefahr und der möglichen Behandlung im Herkunftsland, die in einem Gutachten eines beamteten Arztes festgestellt wird, beinhaltet eine solche Nichtigkeitsklage eine ausreichende Garantie des Rechtsschutzes.
B.15. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Behandlungsunterschied nicht einer vernünftigen Rechtfertigung entbehrt ».
B.12. Durch die Annahme des angefochtenen Gesetzes vom 29. Dezember 2010 wollte der Gesetzgeber dem Entscheid Nr. 193/2009 vom 26. November 2009 Folge leisten, in dem der Gerichtshof erkannt hat, dass der vorerwähnte Artikel 9ter aus folgenden Gründen gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung verstiess :
« B.3.1. Die Artikel 9ter und 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 setzen zusammen Artikel 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 ' über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ' in belgisches Recht um. In diesem Artikel 15 wird der Begriff 'ernsthafter Schaden' definiert, den bestimmte Personen zu erleiden drohen, denen die Mitgliedstaaten aus diesem Grund den Vorteil des subsidiären Schutzes gewähren müssen. Laut Artikel 15 der Richtlinie besteht der 'ernsthafte Schaden' unter anderem in ' Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland '.
B.3.2. Das subsidiäre Schutzstatus betrifft die Personen, die nicht den Flüchtlingsstatus beanspruchen können, die aber aus anderen Gründen als denjenigen, die im internationalen Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge aufgezählt sind, einen internationale Schutz gegen die Gefahr, Opfer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in ihrem Herkunftsland zu werden, was ein Verstoss gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei, benötigen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat den Standpunkt vertreten, dass Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht das Recht gewährleiste, auf dem Gebiet eines Staates zu bleiben mit der blossen Begründung, dieser Staat könne eine bessere medizinische Pflege bieten als das Herkunftsland; der Umstand, dass die Ausweisung den Gesundheitszustand oder die Lebenserwartung des Betroffenen beeinflusst, reicht nicht aus, um einen Verstoss gegen diese Bestimmung zur Folge zu haben. Nur 'in sehr aussergewöhnlichen Fällen, wenn humanitäre Erwägungen gegen die Ausweisung zwingend sind' kann ein Verstoss gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegen (EuGHMR, grosse Kammer, 27. Mai 2008, N. gegen Vereinigtes Königreich, § 42).
Aus den Vorarbeiten zur fraglichen Bestimmung geht hervor, dass der Gesetzgeber die Personen, die an einer schweren Krankheit leiden und nicht in ihrem Herkunftsland oder Aufenthaltsland gepflegt werden können, gegen jegliche Gefahr eines Verstosses gegen Artikel 3 der Konvention glaubte schützen zu müssen, indem er für sie ein spezifisches Verfahren vorsah, das sich vom Verfahren des subsidiären Schutzes, so wie es in Artikel 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 vorgesehen ist, unterscheidet, weil die mit dessen Gewährung beauftragten Behörden nicht die Mittel haben, selbst die Bedingungen bezüglich des Gesundheitszustands der Antragsteller zu beurteilen, um nicht 'die Möglichkeit der betreffenden Ausländer, den subsidiären Schutzstatus zu beanspruchen und zu geniessen, zu beeinträchtigen' (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2478/001, SS. 10 und 11).
B.4.1. In seinem Urteil Nr. 95/2008 vom 26. Juni 2008 hat der Hof erkannt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, zwei getrennte Verfahren zur Gewährung des subsidiären Schutzes einzuführen, je nachdem, ob der Antrag auf Schutz gegen unmenschliche oder erniedrigende Behandlung mit dem Gesundheitszustand des Antragstellers oder anders begründet wird, an sich nicht im Widerspruch zu den Artikeln 10 und 11 der Verfassung steht. Der Hof hat insbesondere erkannt, dass der Umstand, dass die Anträge auf Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen, auf die Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention anwendbar ist, vom Minister oder von seinem Beauftragten und nicht vom Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose behandelt werden, ebenso wie alle anderen Anträge, die - ebenfalls wegen eines drohenden Verstosses gegen den vorerwähnten Artikel 3 - zum Anwendungsbereich des subsidiären Schutzstatus gehören, nicht im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung steht.
B.4.2. Bei diesem Anlass hat der Hof nicht die Bedingung der Zulässigkeit hinsichtlich des Besitzes eines Identitätsdokumentes geprüft, die nur den Antragstellern auf subsidiären Schutz auferlegt wird, die Gründe in Verbindung mit ihrem Gesundheitszustand anführen.
B.5.1. Eines der Hauptziele des Gesetzes vom 15. September 2006, das das Gesetz vom 15. Dezember 1980 tief greifend geändert hat, bestand darin, Betrug und Missbrauch im Asylverfahren zu bekämpfen (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2478/001, SS. 7 und 9). Dieses Ziel ist ebenfalls in Artikel 19 Absatz 3 Buchstabe b) der vorerwähnten Richtlinie 2004/83/EG angeführt, der die Mitgliedstaaten zur Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzstatus verpflichtet, wenn ' eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen [seitens des Betroffenen], einschliesslich der Verwendung gefälschter Dokumente, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend waren '.
B.5.2. Im Lichte dieses Ziels ist es nicht unvernünftig zu verlangen, dass der Betroffene seine Identität nachweisen kann. Ausserdem muss der Minister oder sein Beauftragter aufgrund der fraglichen Bestimmung und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EuGHMR, grosse Kammer, 27. Mai 2008, N. gegen Vereinigtes Königreich, § § 32-42) prüfen, welche medizinische Pflege der Betroffene in seinem Herkunftsland erhält. Eine solche Prüfung setzt voraus, dass seine Identität und seine Staatsangehörigkeit bestimmt werden können.
B.5.3. Angesichts dieser Ziele reicht jedes Dokument, dessen Echtheit nicht in Frage gestellt werden kann, als Beweis für die Identität des Betroffenen. Ein Identitätsdokument braucht nicht vorgelegt zu werden, wenn die Identität auf andere Weise nachgewiesen werden kann. Indem die fragliche Bestimmung den Besitz eines Identitätsdokumentes vorschreibt, geht sie über das hinaus, was notwendig ist, um die Identität und die Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu bestimmen, denn es ist, wie die Situation der Asylsuchenden und diejenige der Antragsteller auf subsidiären Schutz auf der Grundlage von Artikel 48/4 beweisen, möglich, die Identität dieser Personen festzustellen, ohne zu verlangen, dass sie im Besitz eines Identitätsdokumentes sind.
B.5.4. Die einzige Möglichkeit für eine Person, die aus medizinischen Gründen Schutz beantragt und nicht über ein Identitätsdokument verfügt, ihren Antrag für zulässig erklärt und ihren Gesundheitszustand untersucht zu bekommen, besteht darin, gültig zu beweisen, dass es ihr unmöglich ist, sich das erforderliche Identitätsdokument in Belgien zu besorgen.
B.6. Indem Artikel 9ter den Antragstellern auf subsidiären Schutz, die eine schwere Krankheit geltend machen, eine Zulässigkeitsbedingung vorschreibt, die nicht den anderen Antragstellern auf subsidiären Schutz auferlegt wird, während Letztere keine objektiven Elemente geltend machen können, die ebenso leicht überprüfbar sind wie eine Begründung medizinischer Art, führt er einen Behandlungsunterschied zwischen diesen beiden Kategorien von Antragstellern ein. Auch wenn das objektive Kriterium für die Begründung des Antrags auf Schutz es rechtfertigen kann, dass andere Behörden mit dessen Prüfung beauftragt werden, weist dieses Kriterium keinen sachdienlichen Zusammenhang mit der Verpflichtung auf, im Besitz eines Identitätsdokumentes zu sein oder die Unmöglichkeit, sich ein solches in Belgien zu besorgen, beweisen zu können. Der Behandlungsunterschied hinsichtlich der Bedingungen für die Zulässigkeit des Antrags auf subsidiären Schutz je nach der Begründung des Antrags ist folglich nicht vernünftig gerechtfertigt ».
B.13.1. Aus den Vorarbeiten zum Gesetz vom 29. Dezember 2010 geht hervor, dass der Gesetzgeber eine Antwort auf diesen Entscheid erteilen wollte, indem er das Verfahren präzisierte, nach dem der Ausländer seine Identität gültig nachweisen kann. So würden künftig nicht mehr nur ein « Identitätsdokument », insbesondere ein nationaler Pass oder ein Personalausweis, sondern ebenfalls andere Dokumente, mit denen die Identität des Ausländers auf schlüssige Weise nachgewiesen werden kann, berücksichtigt (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/001, S. 145).
B.13.2. Der Gesetzgeber wollte auch andere Änderungen vornehmen, um den in der Praxis festgestellten Erfordernissen gerecht zu werden. Diesbezüglich ist in der Begründung zu lesen :
« Das Verfahren zur medizinischen Regularisierung dient dazu, Ausländern den Aufenthalt zu erlauben, die tatsächlich schwer krank sind, wenn ihre Entfernung in humanitärer Hinsicht unannehmbare Folgen haben würde. Die Praxis zeigt jedoch, dass das derzeit bestehende Verfahren unsachgemäss angewandt werden kann.
2009 beispielsweise stellten die Anträge aus medizinischen Gründen immerhin 33% der Gesamtzahl der Regularisierungsanträge dar, während die medizinische Regularisierung ursprünglich nur ein absolutes Ausnahmeverfahren sein sollte. Ausserdem konnten 2008 die geltend gemachten medizinischen Gründe nur in weniger als 6 % der Anträge und 2009 in 8% der Anträge angenommen werden (d.h. 754 befürwortende Entscheidungen bei 8 575 Anträgen).
Das Einfügen von präziseren Erfordernissen hinsichtlich der informativen Sachdienlichkeit des ärztlichen Attestes ermöglicht es, das Verfahren zu verdeutlichen. So wird in einem im Ministerrat beratenen königlichen Erlass ein ärztliches Standardattest vorgesehen werden. In dem ärztlichen Attest werden in jedem Fall die Krankheit, ihr Schweregrad und die als notwendig erachtete Behandlung vermerkt werden müssen, da die Beurteilung dieser drei Angaben notwendig ist, um den Zweck des Verfahrens zu beachten.
Im Ubrigen wird auch ausdrücklich vorgeschrieben, dass der Betroffene alle notwendigen Informationen erteilt. Der Antrag wird als unzulässig erklärt, wenn der Ausländer das Einreichungsverfahren nicht einhält (Antrag per Einschreibebrief), wenn er die Verpflichtung zur Identifizierung nicht einhält oder wenn das ärztliche Attest nicht die erforderlichen Bedingungen erfüllt » (ebenda, SS. 146-147).
B.14.1. Der königliche Erlass vom 17. Mai 2007 « zur Festlegung der Ausführungsmodalitäten des Gesetzes vom 15. September 2006 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern » ist durch den königlichen Erlass vom 24. Januar 2011 (Belgisches Staatsblatt, 28. Januar 2011, zweite Ausgabe) abgeändert worden, um das angefochtene Gesetz auszuführen. In der Anlage zum besagten königlichen Erlass sind die Angaben angeführt, die auf dem vorgeschriebenen ärztlichen Standardattest des Ausländers vermerkt sein müssen, der einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen stellt.
Der durch den Ausländer bestimmte Arzt muss somit die medizinische Vorgeschichte des Patienten angeben und eine vollständige Diagnose seines Gesundheitszustandes erstellen, im vorliegenden Fall durch eine ausführliche Beschreibung der Art und des Schweregrads der Erkrankungen, auf deren Grundlage der Antrag auf Aufenthaltserlaubnis eingereicht wird. Es können Belege wie ein Bericht eines Facharztes vorgelegt werden. Der Arzt ist ebenfalls verpflichtet, die etwaige Behandlung des Patienten, die Dauer der Behandlung sowie die Folgen, die ein Abbruch der Behandlung für seine Gesundheit haben könnte, zu vermerken. Die Entwicklung und die Prognose der Erkrankung bzw. Erkrankungen des Patienten sowie die etwaigen Bedürfnisse in Verbindung mit der medizinischen Betreuung müssen ebenfalls im ärztlichen Attest angegeben werden.
In der Anlage zum königlichen Erlass vom 24. Januar 2011, in der auf das Gesetz vom 22. August 2002 über die Rechte des Patienten Bezug genommen wird, ist ferner präzisiert, dass mit dessen Einverständnis dem ärztlichen Standardattest ein ausführlicherer ärztlicher Bericht beigefügt werden kann.
B.14.2. Wie in Absatz 5 von Paragraph 1 der angefochtenen Bestimmung angegeben ist, gibt der beamtete Arzt oder ein vom Minister oder von seinem Beauftragten angegebener Arzt auf der Grundlage dieses ärztlichen Standardattestes sein Gutachten ab. Wenn er es als notwendig erachtet, kann er den Ausländer untersuchen und ein zusätzliches Gutachten von Sachverständigen in den in Artikel 4 des königlichen Erlasses vom 17. Mai 2007 aufgelisteten Fachbereichen beantragen.
B.15. Es deutet nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber in diesem Rahmen beabsichtigt hätte, von den durch das Gesetz vom 22. August 2002 festgelegten Rechten des Patienten abzuweichen. Ausserdem sind sowohl der beamtete Arzt als auch der vom Minister oder von seinem Beauftragten bestimmte Arzt oder die um ihre Mitarbeit gebetenen Sachverständigen verpflichtet, den Kodex der ärztlichen Berufspflichten der nationalen Ärztekammer einzuhalten, einschliesslich der darin festgelegten Regeln bezüglich der Unabhängigkeit und der Ethik. Daraus ergibt sich, dass diesbezüglich kein Behandlungsunterschied zwischen den Ausländern, auf die sich die angefochtene Bestimmung bezieht, und jedem anderen Patienten besteht.
B.16. Was den Umstand betrifft, dass der Gesetzgeber sich für ein spezifisches Verfahren in Bezug auf diese Kategorie von Ausländern entschieden hat, ist, wie der Gerichtshof in seinem Entscheid Nr. 95/2008 vom 26. Juni 2008 festgestellt hat, dessen Begründung in B.11 in Erinnerung gerufen wurde, dieses Verfahren durch die besondere Beschaffenheit der Untersuchung gerechtfertigt, die durchgeführt werden muss, weil sie auf medizinischen Feststellungen beruht.
Ausgehend von der Feststellung, dass die Anträge aus medizinischen Gründen immer zahlreicher wurden und sich als missbräuchlich erweisen konnten, konnte der Gesetzgeber vernünftigerweise davon ausgehen, dass es, um den in der Praxis festgestellten Bedürfnissen gerecht zu werden, angebracht war, von dem Antragsteller auf eine Aufenthaltserlaubnis zu verlangen, ein durch eine vereidigte Fachkraft ausgestelltes Attest über seine Krankheit vorzulegen.
Somit werden nicht auf unverhältnismässige Weise die Rechte der betroffenen Ausländer verletzt, unter Berücksichtigung dessen, dass, wie der Gerichtshof im vorerwähnten Entscheid bemerkt hat, das Verfahren Anspruch auf einen zeitweiligen Aufenthalt gewährt, wie aus Artikel 7 § 2 Absatz 2 des königlichen Erlasses vom 17. Mai 2007 hervorgeht, dass, wie in den Vorarbeiten zum Gesetz vom 15. September 2006 hervorgehoben wurde, ein Ausländer, « der schwer krank ist und aus einem dieser Gründe vom Vorteil des Artikels 9ter ausgeschlossen ist, nicht entfernt wird, wenn er so schwer krank ist, dass seine Entfernung einen Verstoss gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen würde » (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2478/001, S. 36), und dass eine Klage auf Nichtigerklärung eines Verweigerungsbeschlusses des Ministers oder seines Beauftragten aufgrund von Artikel 39/2 des Ausländergesetzes bei dem Rat für Ausländerstreitsachen eingereicht werden kann.
B.17. Der in den Rechtssachen Nrn. 5166 und 5170 angeführte einzige Klagegrund und der in den Rechtssachen Nrn. 5171 und 5177 angeführte erste Klagegrund sind unbegründet.
B.18. Die klagenden Parteien in den Rechtssachen Nrn. 5171 und 5177 leiten einen zweiten Klagegrund aus einem Verstoss gegen die Artikel 10, 11, 23 Absätze 1 und 3 Nr. 2 und 191 der Verfassung, gegebenenfalls in Verbindung mit den Artikeln 2 und 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, ab.
In einer ersten Beschwerde bemängeln die klagenden Parteien, dass den Ausländern mit der angefochtenen Bestimmung vorgeschrieben werde, ein ärztliches Standardattest vorzulegen bei Strafe der Unzulässigkeit ihres Antrags, so dass das Recht der Ausländer auf ein menschenwürdiges Leben und das sich daraus ergebende Recht, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in ihrem Herkunftsland zu erleiden, gefährdet werde.
In einer zweiten Beschwerde führen die klagenden Parteien an, die angefochtene Bestimmung führe einen diskriminierenden Behandlungsunterschied zwischen einerseits schwerkranken Ausländern, die eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von Artikel 9ter des Ausländergesetzes beantragten, und andererseits den Antragstellern auf subsidiären Schutz auf der Grundlage von Artikel 48/4 dieses Gesetzes ein, insofern die Ersteren die realen Gefahren einer ihnen drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nur durch ein ärztliches Standardattest nachweisen könnten, das den in Paragraph 1 Absatz 4 des angefochtenen Artikels 9ter vorgesehenen Bedingungen entspreche, während die Letzteren den Beweis dieser Gefahren durch alle möglichen Beweismittel erbringen könnten.
B.19. Artikel 48/4 des Ausländergesetzes betrifft den subsidiären Schutzstatus. Er bestimmt :
« § 1. Der subsidiäre Schutzstatus wird einem Ausländer zuerkannt, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt und nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 9ter fällt, für den aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 2 zu erleiden, und der unter Berücksichtigung der Gefahr den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will, sofern er nicht von den in Artikel 55/4 erwähnten Ausschlussklauseln betroffen ist.
§ 2. Als ernsthafter Schaden gilt :
a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder
b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder
c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ».
B.20. Da die erste Beschwerde sich keineswegs vom ersten Klagegrund unterscheidet, ist sie aus den gleichen Gründen unbegründet.
B.21. Was die zweite Beschwerde anbelangt, ist der Klagegrund unzulässig, insofern darin ein Verstoss gegen Artikel 191 der Verfassung angeführt wird. Gegen diesen Artikel kann nämlich nur durch eine Bestimmung, die einen Behandlungsunterschied zwischen Belgiern und Ausländern einführt, verstossen werden, und nicht durch eine Bestimmung, mit der ein Behandlungsunterschied zwischen zwei Kategorien von Ausländern eingeführt wird.
B.22.1. Wie aus den in B.9 zitierten Vorarbeiten zum Gesetz vom 15. September 2006 hervorgeht, wollte der Gesetzgeber für schwerkranke Ausländer, die beantragen, dass ihnen der Aufenthalt auf dem belgischen Staatsgebiet erlaubt wird, ein anderes Verfahren einführen als dasjenige, das für Antragsteller auf subsidiären Schutz gilt. Wie der Gerichtshof in seinem Entscheid Nr. 95/2008 erkannt hat, entbehrt dieser Behandlungsunterschied zwischen diesen beiden Kategorien von Ausländern nicht einer vernünftigen Rechtfertigung, umso mehr, wie der Gerichtshof in B.11 des vorerwähnten Entscheids festgestellt hat, als die Verweigerung eines Aufenthaltstitels aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes nicht notwendigerweise bedeutet, dass der Ausländer nicht in den Genuss des subsidiären Schutzes gelangen könnte.
B.22.2. Das Erfordernis eines ärztlichen Standardattestes auf Seiten der Ausländer, die einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aufgrund des fraglichen Artikels 9ter gestellt haben, beeinträchtigt nicht die vorstehenden Darlegungen. Wie der Gerichtshof in dem vorerwähnten Entscheid bemerkt hat, rechtfertigt es die Beschaffenheit der Untersuchung, die im Rahmen eines Antrags aufgrund dieser Bestimmung durchgeführt werden muss, dass ein Behandlungsunterschied zwischen den beiden Kategorien von Ausländern eingeführt wird. Uberdies könnte ein Ausländer, dessen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen verweigert würde, noch den subsidiären Schutz beantragen, indem er alle möglichen Beweismittel nutzen würde, um die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Falle der Rückkehr in sein Herkunftsland nachzuweisen. In diesem Fall besteht der durch die klagenden Parteien angeprangerte Behandlungsunterschied nicht.
B.23. Der Klagegrund ist unbegründet.
In Bezug auf die Rechtssache Nr. 5174
B.24. Die klagenden Parteien leiten einen ersten und einen zweiten Klagegrund ab aus einem Verstoss gegen die Artikel 10, 11 und 191 der Verfassung, gegebenenfalls in Verbindung mit Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 2 Buchstabe e in Verbindung mit Artikel 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 « über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ».
Es wird bemängelt, dass die angefochtene Bestimmung bei Strafe der Unzulässigkeit des Antrags eines schwerkranken Ausländers auf Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes Bedingungen bezüglich der Vorlage eines Identitätsdokumentes oder anderer Beweiselemente vorschreibe und es dem betroffenen Ausländer nicht mehr ermögliche, nachzuweisen, dass es ihm unmöglich sei, das erforderliche Identitätsdokument vorzulegen.
Somit bestehe hinsichtlich des Nachweises der Identität ein ungerechtfertigter Behandlungsunterschied, je nachdem, ob einerseits eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes oder ein subsidiärer Schutz aufgrund von Artikel 48/4 desselben Gesetzes beantragt werde (erster Klagegrund), und andererseits, ob eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes oder aufgrund von Artikel 9bis desselben Gesetzes beantragt werde (zweiter Klagegrund).
B.25.1. In der Begründung des Entwurfs, aus dem das Gesetz vom 29. Dezember 2010 entstanden ist, heisst es bezüglich der Bedingungen für die Identifizierung der Antragsteller auf Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen :
« In dem neuen Artikel 9ter § 2 Absatz 1 sind die vier gleichzeitig zu erfüllenden Bedingungen für die durch den Antragsteller vorzulegenden Dokumente angeführt. Es kann sich beispielsweise um eine Identitätsbescheinigung oder einen konsularischen Ausweis oder ein Militärbuch oder ein Heiratsbuch oder einen alten nationalen Pass oder einen Führerschein oder eine Nationalitätsbescheinigung oder ein Urteil eines belgischen Gerichts mit Angabe des Statuts als Staatenloser oder eine vom GKFS ausgestellte Bescheinigung als Staatenloser oder vom HCR erteilte Bescheinigung mit Angabe des durch den Betroffenen in einem Drittland erlangten Status als Flüchtling oder eine Wählerkarte handeln.
In dem neuen Artikel 9ter § 2 Absatz 2 sind die Bedingungen angeführt, denen die Dokumente entsprechen müssen, die insgesamt die Bestandteile der Identität nachweisen. Diese Beweismittel können beispielsweise eine Geburtsurkunde oder eine Heiratsurkunde oder eine Offenkundigkeitsurkunde oder eine durch die Behörden des Herkunftslandes ausgestellte Bescheinigung über den Verlust der Identitätsdokumente oder eine Zulassungsbescheinigung oder eine BEFR sein.
Anhand der Kriterien ist es möglich, auf relevante und dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs entsprechende Weise nachzuweisen, dass ' die Echtheit des oder der durch den Betroffenen vorgelegten Beweismittel nicht in Frage gestellt werden kann '. Gemäss der Rechtsprechung des Rates für Ausländerstreitsachen muss ein beweiskräftiges Dokument durch eine Behörde ausgestellt werden, die notwendigen Angaben zu seiner Kontrolle enthalten und darf es nicht ausschliesslich auf der Grundlage von Aussagen des Inhabers ausgestellt werden.
Der Unterschied hinsichtlich des Identitätsnachweises zwischen einem Antragsteller auf subsidiären Schutz, der eine schwere Krankheit geltend macht, und einem Antragsteller auf subsidiären Schutz auf der Grundlage von Artikel 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 ist durch die Entscheidung des Gesetzgebers im Jahr 2007 bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 zu erklären.
Der Gesetzgeber hat nämlich beschlossen, die Prüfung des Verfahrens auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen dem Ausländeramt im Rahmen eines Verfahrens auf Regularisierung des Aufenthalts anzuvertrauen und diejenige des Verfahrens auf Erteilung des subsidiären Schutzes (mit Ausnahme medizinischer Gründe) dem Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose im Rahmen der Untersuchung des Asylantrags. Das Asylverfahren ermöglicht die Feststellung der Identität bei einer Anhörung im GKFS, während das Verfahren 9ter ein schriftliches Verfahren ist, das notwendigerweise auf der Vorlage von Dokumenten beruht » (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/001, SS. 145-146).
B.25.2. Diese Rechtfertigung des Behandlungsunterschieds hinsichtlich des Beweismittels zwischen schwerkranken Ausländern, die eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes beantragen, und Bewerbern um subsidiären Schutz aufgrund von Artikel 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 wurde infolge einer Anmerkung der Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates zum Gesetzesvorentwurf, die wie folgt lautete, eingeführt:
« Es wäre ausserdem angesichts der Erwägung B.6 des vorerwähnten Entscheids Nr. 193/2009 für die Begründung vorteilhaft, wenn die Gründe angegeben würden, aus denen die in der geplanten Bestimmung vorgesehene Regelung nur den Antragstellern auf subsidiären Schutz, die eine schwere Krankheit geltend machen, und nicht den Antragstellern auf subsidiären Schutz aufgrund von Artikel 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 auferlegt wird » (ebenda, S. 292).
B.25.3. Zwei Parlamentsmitglieder haben einen Abänderungsantrag Nr. 17 zur Streichung des geplanten Artikels mit folgender Begründung eingereicht :
« Artikel 179 ersetzt Artikel 9ter bezüglich des Aufenthaltsrechtes wegen schwerer Krankheit. Die Notwendigkeit zur Anpassung dieses Artikels ergibt sich aus einem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs.
Gemäss dem Gutachten des Staatsrates (S. 289) entspricht der Vorentwurf nicht den Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs. Der Text des endgültigen Entwurfs ist geringfügig angepasst worden, aber nicht ausreichend.
So erklärt der Staatsrat (S. 292), dass es für die Begründung vorteilhaft wäre, wenn die Gründe angegeben würden, aus denen die in der geplanten Bestimmung vorgesehene Regelung nur den Antragstellern auf subsidiären Schutz, die eine schwere Krankheit geltend machen, und nicht den übrigen Antragstellern auf subsidiären Schutz aufgrund von Artikel 48/4 des Ausländergesetzes auferlegt wird.
Dem liegt die Uberlegung zugrunde, dass der Aufenthalt wegen einer schweren Krankheit ein Antrag auf subsidiären Schutz ist, der also eigentlich zum Anwendungsbereich von Artikel 48/4 hätte gehören müssen; ein Antragsteller auf subsidiären Schutz aufgrund von Artikel 48/4 braucht keinen Identitätsbeweis zu erbringen, während ein Antragsteller, der sich auf Artikel 9ter stützt, dies tun muss - was nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes eine Diskriminierung darstellt. In der Begründung ist nur angeführt (S. 146), dass der Unterschied 'durch die Entscheidung des Gesetzgebers im Jahr 2007 bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 zu erklären' ist. Dieses Argument ist nicht annehmbar, denn es steht fest, dass der Gesetzgeber die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes berücksichtigen muss.
Dieser Artikel ist nicht abänderbar und muss daher gestrichen werden » (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/012, SS. 1 und 2).
Der Staatssekretär für Haushalt, Migrations- und Asylpolitik und für die Föderalen Kulturellen Einrichtungen hat im Ausschuss für Inneres wie folgt geantwortet :
« Im Gegensatz zu den Autoren des Abänderungsantrags Nr. 17 ist der Staatssekretär nicht der Auffassung, dass die Regierung (erneut) eine diskriminierende Massnahme einführt. Er erinnert daran, dass infolge der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Beweismöglichkeiten hinsichtlich der Identität geändert werden mussten. Er bemerkt ebenfalls, dass das Verfahren für den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus schwerwiegenden medizinischen Gründen nicht ganz einfach dem Verfahren des Antrags auf den subsidiären Schutzstatus als solchem gleichgestellt werden kann » (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/019, SS. 17-18).
Der Abänderungsantrag wurde schliesslich abgelehnt (ebenda, S. 21).
B.26.1. Wie der Gerichtshof in seinem Entscheid Nr. 193/2009 vom 26. November 2009 erkannt hat, ist es angesichts der Zielsetzung des Gesetzes vom 15. September 2006, Betrug und Missbrauch des Asylverfahrens zu bekämpfen, einer Zielsetzung, die ebenfalls in Artikel 19 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 2004/83/EG enthalten ist und auch durch den Gesetzgeber in den Vorarbeiten zu dem angefochtenen Gesetz in Erinnerung gerufen worden ist (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/001, SS. 146-147), nicht unvernünftig zu verlangen, dass Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen beantragen, ihre Identität nachweisen. Der Minister oder sein Beauftragter muss ebenfalls feststellen können, ob gegebenenfalls keine geeignete Behandlung im Herkunftsland des Betroffenen besteht, und hierzu dessen Identität und Staatsangehörigkeit kennen.
Diesbezüglich wurde in der Begründung hervorgehoben, dass 2009 « die Anträge aus medizinischen Gründen immerhin 33 % der Gesamtzahl der Regularisierungsanträge [darstellten], während die medizinische Regularisierung ursprünglich nur ein absolutes Ausnahmeverfahren sein sollte » (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/001, SS. 146-147).
B.26.2. In seinem Entscheid Nr. 193/2009 vom 26. November 2009 hat der Gerichtshof entschieden, dass das Erfordernis, wonach ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes beantragt, ein Identitätsdokument besitzen muss, über dasjenige hinausging, was notwendig war, um die Identität und Staatsangehörigkeit des Antragstellers zu bestimmen, da die Identität der Asylbewerber und der Antragsteller auf subsidiären Schutz aufgrund von Artikel 48/4 festgestellt werden kann, ohne zu verlangen, dass sie im Besitz eines solchen Identitätsdokumentes sind. Nach Auffassung des Gerichtshofes « reicht jedes Dokument, dessen Echtheit nicht in Frage gestellt werden kann, als Beweis für die Identität des Betroffenen ».
B.26.3. Um diesem Entscheid Folge zu leisten, wird in der angefochtenen Bestimmung nicht mehr verlangt, dass der betroffene Ausländer seine Identität ausschliesslich durch Vorlegen eines Identitätsdokumentes nachweisen kann, sondern es werden andere Dokumente erlaubt, deren Echtheit nicht in Frage gestellt werden kann, so dass die Beweisführung für die Identität spürbar flexibler gestaltet wurde.
B.26.4. In seinem Entscheid Nr. 95/2008 vom 26. Juni 2008 hat der Gerichtshof erkannt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, zwei unterschiedliche Verfahren einzuführen, je nachdem, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen oder ein subsidiärer Schutz aufgrund von Artikel 48/4 des Ausländergesetzes beantragt wird, mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung vereinbar ist. Obwohl der Unterschied zwischen den Verfahren es nicht rechtfertigen konnte, dass im ersteren Fall der Nachweis der Identität ausschliesslich anhand eines Identitätsdokumentes erbracht werden konnte, kann er es dennoch vernünftig rechtfertigen, dass die notwendige Beweisführung für die Identität in den beiden Fällen nicht auf identische Weise erfolgen muss.
Es kann nämlich angenommen werden, dass die Vorlage eines Dokumentes zum Nachweis der Identität nicht von einem Ausländer verlangt wird, der subsidiären Schutz beantragt, bei dem es ernsthafte Gründe zu der Annahme gibt, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland der realen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Paragraph 2 von Artikel 48/4 des Ausländergesetzes ausgesetzt wäre, und der sich nicht auf den Schutz dieses Landes berufen kann oder angesichts dieser Gefahr nicht dazu bereit ist. Die Lage, in der sich ein solcher Ausländer befindet, kann somit den Erhalt eines solches Dokumentes sehr erschweren oder gar unmöglich machen. Umgekehrt steht ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen beantragt, grundsätzlich nicht vor solchen Schwierigkeiten.
B.27. Der erste Klagegrund ist unbegründet.
B.28.1. Im zweiten Klagegrund führen die klagenden Parteien an, Artikel 9ter des Ausländergesetzes beinhalte eine Diskriminierung, insofern darin nicht vorgesehen sei, dass Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen beantragten, nachweisen könnten, dass es ihnen unmöglich sei, ein Identitätsdokument vorzulegen, während diese Möglichkeit in der in Artikel 9bis des Ausländergesetzes vorgesehenen Situation bestehe.
B.28.2. Vor der Entstehung des angefochtenen Gesetzes musste ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9bis oder aufgrund von Artikel 9ter des Ausländergesetzes beantragte, seine Identität anhand eines Identitätsdokumentes nachweisen. Die einzige Möglichkeit für eine Person, die nicht über dieses Dokument verfügte, zu erreichen, dass ihr Antrag für zulässig erklärt wurde, bestand darin, gültig nachzuweisen, dass es ihr unmöglich war, sich das erforderliche Identitätsdokument in Belgien zu beschaffen.
B.28.3. Gemäss der angefochtenen Bestimmung muss ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen beantragt, seine Identität nicht mehr ausschliesslich durch Vorlage eines Identitätsdokumentes nachweisen, sondern er kann nunmehr auch diesen Nachweis anhand anderer Dokumente erbringen, die den im Gesetz festgelegten Anforderungen entsprechen. Wie die Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates in ihrem Gutachten zu der angefochtenen Bestimmung bemerkt hat (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/001, SS. 291-292), hätte der Gesetzgeber nicht den Einwänden des Gerichtshofes im Entscheid Nr. 193/2009 Folge geleistet, wenn er in Ermangelung eines Identitätsdokumentes weiter verlangt hätte, wie in Artikel 9bis des Ausländergesetzes, dass der Betroffene, damit sein Antrag zulässig wäre, gültig nachweisen würde, dass es ihm unmöglich wäre, dieses Dokument zu erlangen, da er nunmehr auch den Nachweis seiner Identität anhand anderer Dokumente erbringen kann. Es reicht nunmehr nämlich, dass gleich welches Dokument, dessen Echtheit nicht in Frage gestellt werden kann, als Beweis der Identität dienen kann.
B.29. Der zweite Klagegrund ist unbegründet.
B.30. In einem dritten Klagegrund führen die klagenden Parteien einen Verstoss gegen die Artikel 10, 11 und 191 der Verfassung in Verbindung mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit dem Grundsatz der ärztlichen Schweigepflicht an.
Sie bemängeln, dass der neue Artikel 9ter § 3 Nr. 3 beinhalte, dass der Minister oder Beamte des Ausländeramtes den Inhalt des ärztlichen Standardattestes zur Kenntnis nehmen würden, was gegen die ärztliche Schweigepflicht verstosse, und beurteilen könnten, ob die Angaben darin bezüglich der Krankheit, ihres Schweregrades und der als notwendig erachteten Behandlung die Bedingungen von Artikel 9ter § 1 Absatz 4 des Gesetzes erfüllten, obwohl sie nicht die erforderlichen medizinischen Qualifikationen und Kenntnisse besässen.
B.31.1. In der Antwort auf eine Anregung der Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates in ihrem Gutachten zum Gesetzesvorentwurf (Parl. Dok., Kammer, 2010-2011, DOC 53-0771/001, S. 292) hat der Gesetzgeber in Artikel 9ter § 6 präzisiert, dass Artikel 458 des Strafgesetzbuches auf den Beauftragten des Ministers und auf die Mitglieder seines Dienstes anwendbar ist, was medizinische Auskünfte betrifft, von denen sie in Ausübung ihres Amtes Kenntnis erhalten.
B.31.2. Da jede Person, die im Rahmen des in Artikel 9ter vorgesehenen Verfahrens medizinische Informationen erhält, an die ärztliche Schweigepflicht gebunden ist, ist der Klagegrund unbegründet, insofern er sich auf die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht bezieht.
B.32. Von dem Minister oder seinen Beauftragten könnte, wenn sie eine Verwaltungsentscheidung treffen müssen, nicht verlangt werden, dass sie berufliche Qualifikationen medizinischer Art besitzen mit der Begründung, dass der Rahmen, in dem die Entscheidung getroffen wird, die Feststellung des Bestehens einer Krankheit, ihres Schweregrades und der Notwendigkeit einer Behandlung beinhalte. Die Entscheidung des Ministers oder seines Beauftragten beruht nämlich auf medizinischen Feststellungen durch Ärzte, ungeachtet dessen, ob es diejenigen sind, die im ärztlichen Standardattest enthalten sind, in dem Gutachten des beamteten Arztes oder des vom Minister bestimmten Arztes, oder in den Berichten der Sachverständigen, die gegebenenfalls zum Verfahren hinzugezogen werden. Schliesslich könnte der Rat für Ausländerstreitsachen, der mit einer Beschwerde gegen den vom Minister oder von seinem Beauftragten gefassten Unzulässigkeitsbeschluss befasst würde, auch die Gesetzmässigkeit des Beschlusses oder dessen Verhältnismässigkeit kontrollieren.
B.33. Der dritte Klagegrund ist unbegründet.
Aus diesen Gründen :
Der Gerichtshof
weist die Klagen zurück.
Verkündet in französischer, niederländischer und deutscher Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 28. Juni 2012.
Der Kanzler,
F. Meersschaut
Der Präsident,
R. Henneuse