Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 29 Juli 2010 (België). RG 94/2010
- Sectie :
- Rechtspraak
- Bron :
- Justel D-20100729-6
- Rolnummer :
- 94/2010
Samenvatting :
Der Hof erkennt für Recht: - Artikel 6.1.1 Absatz 4 des durch Erlass der Flämischen Regierung vom 15. Mai 2009 koordinierten « Flämischen Raumordnungskodex » verstösst nicht gegen Artikel 16 der Verfassung in Verbindung mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention. - Artikel 6.1.1 Absätze 3 und 4 und Artikel 6.1.2 des « Flämischen Raumordnungskodex » verstossen nicht gegen Artikel 23 Absatz 3 Nr. 4 der Verfassung. - Artikel 6.1.1 Absätze 3 und 4 des « Flämischen Raumordnungskodex » verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Arrest :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Vorsitzenden M. Bossuyt und M. Melchior, und den Richtern R. Henneuse, E. De Groot, L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, J. Spreutels, T. Merckx-Van Goey und P. Nihoul, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden M. Bossuyt,
verkündet nach Beratung folgendes Urteil:
I. Gegenstand der präjudiziellen Fragen und Verfahren
a. In seinem Urteil vom 27. November 2009 in Sachen der Staatanwaltschaft und des regionalen Städtebauinspektors gegen Guy Van Weehaeghe und die « Ysowe » AG, dessen Ausfertigung am 7. Dezember 2009 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende präjudizielle Fragen gestellt:
1. « Verstösst Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen das in Artikel 16 der Verfassung und Artikel 1 Absatz 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Eigentumsrecht des durch die Beibehaltung eines illegalen Baus geschädigten Dritten, an sich oder in Verbindung mit dem Legalitätsprinzip und dem Vertrauensgrundsatz, indem er verhindert, dass der fristgerecht beim erkennenden Gericht anhängig gemachten öffentlichen Klage auf Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand oder auf Wiederherstellung in den legalen Zustand noch stattgegeben werden kann, wenn diese Beibehaltung zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr unter Strafe gestellt wird? »;
2. « Verstösst Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz, indem er - ohne eine Alternative anzubieten - die bereits bestehenden und vor dem Richter ausgeübten Klagerechte der Behörden auf Wiederherstellung der guten Raumordnung anlässlich einer Depenalisierung der Straftat der Beibehaltung erlöschen lässt, während diese Depenalisierung die konkrete Antastung der guten Raumordnung sowohl de facto als de jure unberührt lässt? »;
3. « Verstossen Artikel 6.1.1 Absatz 3 und Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz, indem diese Bestimmungen in Verbindung miteinander das Auferlegen einer Wiederherstellungsmassnahme aufgrund der Beibehaltung in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet unmöglich machen und somit die Möglichkeit der Behörden, die Behebung eines widerrechtlichen Zustandes zu fordern, de facto vom Vorhandensein und von der eventuellen Verfolgung eines Täters, dem der Bauverstoss zuzurechnen ist, abhängig machen, während dieser Umstand in keinem Zusammenhang zu dem Schaden steht, der der guten Raumordnung ggf. durch den illegalen Zustand zugefügt wird? »;
4. « Verstossen Artikel 6.1.1 Absatz 3 und Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem sie in Verbindung miteinander dazu führen, dass eine Person, die in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet eine Situation aufrechterhält, wobei wegen des Bauverstosses auch ein Erbauer verfolgt werden kann, möglicherweise die Folgen einer auferlegten Wiederherstellungsmassnahme tragen muss, während die gleiche Person in dem Fall, wo für den Bauverstoss nicht länger ein Erbauer verfolgt werden kann, diese Folgen nicht tragen muss? ».
b. In seinem Urteil vom 4. Dezember 2009 in Sachen der Staatanwaltschaft gegen Hugo Durinck und Rita Van Bockstaele, dessen Ausfertigung am 14. Dezember 2009 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende präjudizielle Frage gestellt:
« Verstossen Artikel 6.1.1 Absatz 3 und Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem sie in Verbindung miteinander dazu führen, dass die (juristische) Person, die in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet einen widerrechtlichen Zustand aufrechterhält und wegen des Bauverstosses nicht verfolgt oder nicht für schuldig befunden wird, möglicherweise noch die Folgen einer auferlegten Wiederherstellungsmassnahme tragen muss, wenn ein Dritter wegen des Bauverstosses verfolgt und für schuldig befunden und ihm gegenüber eine Wiederherstellungsmassnahme angeordnet wird, während die gleiche (juristische) Person, die in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet einen widerrechtlichen Zustand aufrechterhält und wegen des Bauverstosses nicht verfolgt oder nicht für schuldig befunden wird, diese Folgen nicht tragen muss, wenn ein Dritter wegen des Bauverstosses nicht verfolgt wird oder nicht länger verfolgt werden kann? ».
c. In seinen zwei Urteilen vom 18. Dezember 2009 in Sachen der Staatsanwaltschaft gegen Marc Devolder bzw. der Staatsanwaltschaft und des regionalen Städtebauinspektors gegen Geert Bauwens und die « Opslag, Manipulatie en Distributie G.M.B. » AG, deren Ausfertigungen am 11. Januar 2010 in der Kanzlei des Hofes eingegangen sind, hat der Appellationshof Gent folgende präjudizielle Fragen gestellt:
1. « Verstösst Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen das in Artikel 16 der Verfassung und Artikel 1 Absatz 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Eigentumsrecht des durch die Beibehaltung eines illegalen Baus geschädigten Dritten, an sich oder in Verbindung mit dem Legalitätsprinzip und dem Vertrauensgrundsatz, indem er verhindert, dass der fristgerecht beim erkennenden Gericht anhängig gemachten öffentlichen Klage auf Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand oder auf Wiederherstellung in den legalen Zustand noch stattgegeben werden kann, wenn diese Beibehaltung zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr unter Strafe gestellt wird? »;
2. « Verstösst Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz, indem er - ohne eine Alternative anzubieten - die bereits bestehenden und vor dem Richter ausgeübten Klagerechte der Behörden auf Wiederherstellung der guten Raumordnung anlässlich einer Depenalisierung der Straftat der Beibehaltung erlöschen lässt, während diese Depenalisierung die konkrete Antastung der guten Raumordnung sowohl de facto als de jure unberührt lässt? »;
3. « Verstossen Artikel 6.1.1 Absatz 3 und Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz, indem diese Bestimmungen in Verbindung miteinander das Auferlegen einer Wiederherstellungsmassnahme aufgrund der Beibehaltung in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet unmöglich machen und somit die Möglichkeit der Behörden, die Behebung eines widerrechtlichen Zustandes zu fordern, de facto vom Vorhandensein und von der eventuellen Verfolgung bzw. Schuldigerklärung eines Täters, dem der Bauverstoss zuzurechnen ist, abhängig machen, während dieser Umstand in keinem Zusammenhang zu dem Schaden steht, der der guten Raumordnung ggf. durch den illegalen Zustand zugefügt wird? »;
4. « Verstossen Artikel 6.1.1 Absatz 3 und Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem sie in Verbindung miteinander dazu führen, dass die (juristische) Person, die in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet einen widerrechtlichen Zustand aufrechterhält und wegen des Bauverstosses nicht verfolgt oder nicht für schuldig befunden wird, möglicherweise noch die Folgen einer auferlegten Wiederherstellungsmassnahme tragen muss, wenn ein Dritter wegen des Bauverstosses verfolgt und für schuldig befunden und ihm gegenüber eine Wiederherstellungsmassnahme angeordnet wird, während die gleiche (juristische) Person, die in nicht raumordnerisch gefährdetem Gebiet einen widerrechtlichen Zustand aufrechterhält und wegen des Bauverstosses nicht verfolgt oder nicht für schuldig befunden wird, diese Folgen nicht tragen muss, wenn ein Dritter wegen des Bauverstosses nicht verfolgt wird oder nicht länger verfolgt werden kann? ».
d. In seinem Urteil vom 15. Januar 2010 in Sachen Tom De Roep, handelnd in seiner Eigenschaft als regionaler Städtebauinspektor, gegen Georges Depoorter, dessen Ausfertigung am 2. Februar 2010 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende präjudizielle Fragen gestellt:
1. « Verstösst Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen das in Artikel 16 der Verfassung und Artikel 1 Absatz 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Eigentumsrecht des durch die Beibehaltung eines illegalen Baus geschädigten Dritten, an sich oder in Verbindung mit dem Legalitätsprinzip und dem Vertrauensgrundsatz, indem er verhindert, dass der fristgerecht beim erkennenden Gericht anhängig gemachten öffentlichen Klage auf Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand oder auf Wiederherstellung in den legalen Zustand noch stattgegeben werden kann, wenn diese Beibehaltung zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr unter Strafe gestellt wird? »;
2. « Verstösst Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz, indem er - ohne eine Alternative anzubieten - die bereits bestehenden und vor dem Richter ausgeübten Klagerechte der Behörden auf Wiederherstellung der guten Raumordnung anlässlich einer Depenalisierung der Straftat der Beibehaltung erlöschen lässt, während diese Depenalisierung die konkrete Antastung der guten Raumordnung sowohl de facto als de jure unberührt lässt? »;
3. « Verstossen die Artikel 6.1.1 Absatz 3, 6.1.1 Absatz 4 und 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz, indem sie in Verbindung miteinander das Auferlegen einer Wiederherstellungsmassnahme aufgrund von Taten der Beibehaltung vollkommen unmöglich machen und somit die Möglichkeit der Behörden, die Behebung illegaler Zustände zu fordern, de facto vom Vorhandensein eines Täters, dem der Bauverstoss zuzurechnen ist, abhängig machen, während dieser Umstand in gar keinem Zusammenhang zu dem Schaden steht, der der guten Raumordnung durch den illegalen Zustand zugefügt wird? ».
Diese unter den Nummern 4824, 4832, 4844, 4845 und 4861 ins Geschäftsverzeichnis des Hofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.
(...)
III. In rechtlicher Beziehung
(...)
In Bezug auf die fraglichen Bestimmungen
B.1.1. Die präjudiziellen Fragen beziehen sich auf Artikel 6.1.1 Absätze 3 und 4 sowie Artikel 6.1.2 des durch Erlass der Flämischen Regierung vom 15. Mai 2009 koordinierten « Flämischen Raumordnungskodex ».
B.1.2. Diese Bestimmungen sind Bestandteil von Titel VI (« Rechtsdurchsetzungsmassnahmen ») Kapitel I (« Strafbestimmungen ») Abschnitt 1 (« Strafsanktionen ») des Flämischen Raumordnungskodex.
Artikel 6.1.1 bestimmt:
« Mit einer Gefängnisstrafe von acht Tagen bis zu fünf Jahren und mit einer Geldbusse von 26 Euro bis 400.000 Euro oder mit nur einer dieser Strafen wird die Person bestraft, die:
1. die in den Artikeln 4.2.1 und 4.2.15 festgelegten Handlungen entweder ohne vorherige Genehmigung oder im Widerspruch zur Genehmigung oder nach Verfall, Nichtigerklärung oder Ablauf der Frist der Genehmigung oder aber im Falle der Aussetzung der Genehmigung ausführt, fortsetzt oder aufrechterhält;
2. Handlungen ausführt, fortsetzt oder aufrechterhält im Widerspruch zum räumlichen Ausführungsplan im Sinne der Artikel 2.2.1 bis 2.2.18, zu einem Entwurf eines räumlichen Ausführungsplans, auf den Artikel 4.3.2 oder 4.4.7 § 1 angewandt wurde, oder zu den Städtebau- und Parzellierungsverordnungen im Sinne der Artikel 2.3.1 bis 2.2.3, es sei denn, die ausgeführten Handlungen waren genehmigt oder es handelt sich um Unterhaltsarbeiten an einem in der Hauptsache genehmigten Bauwerk oder um Handlungen, die von der Genehmigungspflicht befreit sind;
3. als Eigentümer erlaubt oder toleriert, dass eine der in den Nrn. 1 und 2 angeführten Straftaten ausgeführt, fortgesetzt oder aufrechterhalten werden;
4. einen Verstoss gegen die Informationspflicht im Sinne der Artikel 5.2.1 bis 5.2.6 begeht;
5. die Handlungen im Widerspruch zur Unterlassungsanordnung, zur Bestätigungsentscheidung oder vorkommendenfalls zum Eilverfahrensbeschluss fortsetzt;
6. einen Verstoss gegen Raumordnungspläne und Verordnungen, die gemäss den Bestimmungen des am 22. Oktober 1996 koordinierten Dekrets über die Raumordnung zustande gekommen sind und die in Kraft bleiben, solange und insofern sie nicht durch neue, aufgrund dieses Kodex erlassene Vorschriften ersetzt werden, nach dem 1. Mai 2000 begeht oder sie in irgendeiner Weise fortsetzt oder aufrechterhält, es sei denn, die ausgeführten Arbeiten, Handlungen oder Änderungen waren genehmigt oder es handelt sich um Unterhaltsarbeiten an einem in der Hauptsache genehmigten Bauwerk oder um Handlungen, die von der Genehmigungspflicht befreit sind;
7. Handlungen, die einen Verstoss gegen die Bau- und Parzellierungsgenehmigungen darstellen, die aufgrund des am 22. Oktober 1996 koordinierten Dekrets über die Raumordnung erteilt wurden, ausführt, fortsetzt oder aufrechterhält.
Die Mindeststrafen sind jedoch eine Gefängnisstrafe von fünfzehn Tagen und eine Geldbusse von 2.000 Euro oder nur eine dieser Strafen, wenn die in Absatz 1 angeführten Verstösse durch beurkundende Amtsträger, Immobilienmakler und andere Personen begangen werden, die in Ausführung ihres Berufes oder ihrer Tätigkeit unbewegliche Güter kaufen, parzellieren, zum Kauf oder zur Miete anbieten, verkaufen oder vermieten, bauen oder feste oder bewegliche Einrichtungen planen und/oder aufstellen, oder Personen, die bei diesen Verrichtungen in der Ausübung ihres Berufes als Mittelspersonen auftreten.
Die Strafsanktion für die Aufrechterhaltung von Verstössen im Sinne von Absatz 1 Nrn. 1, 2, 3, 6 und 7 gilt nicht, wenn die Handlungen, Arbeiten, Änderungen oder die rechtswidrige Benutzung nicht in raumordnerisch gefährdeten Gebieten erfolgen. Für eine strafbare Aufrechterhaltung ist es ausschliesslich erforderlich, dass die widerrechtlichen Handlungen zum Zeitpunkt der Aufrechterhaltung in einem raumordnerisch gefährdeten Gebiet erfolgen.
Einer Wiederherstellungsklage, die durch den Städtebauinspektor oder das Bürgermeister- und Schöffenkollegium wegen der Aufrechterhaltung von Handlungen eingereicht wurde, kann ab dem 1. September 2009 nicht mehr stattgegeben werden, wenn diese Aufrechterhaltung zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr unter Strafe stand ».
Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex bestimmt:
« Artikel 6.1.1 Absatz 3, der durch das Dekret vom 4. Juni 2003 hinzugefügt und durch das Urteil Nr. 14/2005 vom 19. Januar 2005 des Verfassungsgerichtshofes teilweise für nichtig erklärt worden ist, wird wie folgt ausgelegt:
Diese Bestimmung hebt die Unterstrafestellung für die betreffenden Verstösse der Aufrechterhaltung auf ».
B.1.3.1. Artikel 6.1.1 Absatz 3 des Flämischen Raumordnungskodex wurde bei der Koordinierung aus Artikel 146 Absatz 3 des Dekrets der Flämischen Region vom 18. Mai 1999 über die Organisation der Raumordnung (nachstehend: Raumordnungsdekret) übernommen.
So wie er durch Artikel 7 des Dekrets vom 4. Juni 2003 « zur Abänderung des Dekrets vom 18. Mai 1999 über die Organisation der Raumordnung hinsichtlich der Rechtsdurchsetzungspolitik » eingefügt wurde, bestimmte der vorerwähnte Artikel 146 Absatz 3:
« Die Sanktion für die Aufrechterhaltung von Verstössen im Sinne von Absatz 1 Nrn. 1, 2, 3, 6 und 7 gilt nicht, wenn die Verrichtungen, Arbeiten und Änderungen oder die unzulässige Verwendung nicht in gefährdeten Räumen erfolgen, wenn sie keine für die Anrainer unzumutbaren städtebaulichen Beeinträchtigungen verursachen oder wenn sie keinen schwerwiegenden Verstoss gegen die wesentlichen städtebaulichen Vorschriften bezüglich der Zweckbestimmung kraft des räumlichen Ausführungsplans oder des Raumordnungsplans darstellen ».
In seinem Urteil Nr. 14/2005 vom 19. Januar 2005 hat der Verfassungsgerichtshof in dieser Bestimmung die Wortfolge «, wenn sie keine für die Anrainer unzumutbaren städtebaulichen Beeinträchtigungen verursachen oder wenn sie keinen schwerwiegenden Verstoss gegen die wesentlichen städtebaulichen Vorschriften bezüglich der Zweckbestimmung kraft des räumlichen Ausführungsplans oder des Raumordnungsplans darstellen » für nichtig erklärt.
B.1.3.2. Aus dem ersten Satz von Artikel 6.1.1 Absatz 3 des Flämischen Raumordnungskodex geht hervor, dass die Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten seit dem 22. August 2003, dem Datum des Inkrafttretens des vorerwähnten Artikels 7 des Dekrets vom 4. Juni 2003, nicht mehr strafbar ist. Wie der Hof im vorerwähnten Urteil Nr. 14/2005 angemerkt hat, bezweckte Artikel 7 des Dekrets vom 4. Juni 2003, einen Verstoss im Bereich des Städtebaus nicht mehr als eine Dauerstraftat zu betrachten und die Unterstrafestellung der Aufrechterhaltung zu streichen (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2002-2003, Nr. 1566/7, S. 38).
In raumordnerisch gefährdeten Gebieten bleiben sowohl die Aufrechterhaltung als auch die Ausführung oder Fortsetzung von Verstössen im Bereich des Städtebaus strafbar. Die strafbare « Ausführung oder Fortsetzung » wird nachstehend als Bauverstoss bezeichnet.
B.1.3.3. Artikel 6.1.1 Absatz 3 des Flämischen Raumordnungskodex (vormals Artikel 146 Absatz 3 des Raumordnungsdekrets) ist in Verbindung mit Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex (vormals Artikel 184 des Raumordnungsdekrets), eingefügt durch Artikel 83 des Dekrets der Flämischen Region vom 27. März 2009 « zur Anpassung und Ergänzung der Raumplanungs-, Genehmigungs- und Rechtsdurchsetzungspolitik », zu betrachten.
Mit dieser Bestimmung hat der Dekretgeber verdeutlicht, dass mit Artikel 146 Absatz 3 des Raumordnungsdekrets (« Die Sanktion für die Aufrechterhaltung von Verstossen [...] gilt nicht, wenn [...] ») nicht nur bezweckt wurde, einen Grund des Strafausschlusses einzuführen, sondern auch der Unterstrafestellung der Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten ein Ende zu setzen.
B.1.4.1. Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex bezieht sich auf die Wiederherstellungsklagen, die durch den Städtebauinspektor oder das Bürgermeister- und Schöffenkollegium eingereicht wurden und die auf der Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten beruhen.
Dieser Absatz 4 wurde bei der Koordinierung des Flämischen Raumordnungskodex aus Artikel 146 Absatz 4 des Raumordnungsdekrets, ersetzt durch Artikel 50 Nr. 7 des Dekrets der Flämischen Region van 27. März 2009 « zur Anpassung und Ergänzung der Raumplanungs-, Genehmigungs- und Rechtsdurchsetzungspolitik », übernommen. Das in dieser Bestimmung angegebene Datum des 1. September 2009 ist mit dem Datum des Inkrafttretens des vorerwähnten Dekrets vom 29. März 2009 verbunden.
B.1.4.2. Die Absicht, die der Dekretgeber mit dieser Bestimmung verfolgte, wurde in den Vorarbeiten dazu wie folgt erläutert:
« Was die Aufrechterhaltungsverstösse betrifft, stellt sich jedoch die Frage, ob es opportun oder zu rechtfertigen ist, dass nach der Depenalisierung einiger dieser Verstösse (nämlich diejenigen, die nicht in raumordnerisch gefährdeten Gebieten erfolgen) noch Wiederherstellungsklagen (der öffentlichen Hand) aufgrund der Aufrechterhaltung stattgegeben werden kann.
Das Streitrecht in Bezug auf das Rechtsdurchsetzungsdekret vom 4. Juni 2003 zeigt in diesem Zusammenhang, dass Wiederherstellungsklagen, die vor dem 22. August 2003 (dem Datum des Inkrafttretens des Dekrets vom 4. Juni 2003) anhängig waren, an sich nicht unbegründet sind. Wiederherstellungsklagen, die vor dem Datum des Inkrafttretens dieses Dekretentwurfs aufgrund der (fortan nicht mehr strafbaren) Aufrechterhaltung in landschaftlich wertvollen Agrargebieten eingereicht wurden, wird grundsätzlich ebenso noch stattgegeben werden können.
Dies ist gesellschaftlich nicht ganz mit der Art der Wiederherstellungsklage vereinbar, die unter anderem eine besondere Form der Entschädigung oder Rückgabe darstellt und dazu dient, dem im Widerspruch zum Gesetz stehenden Zustand, der durch den Verstoss entstanden ist und durch den dem Gemeinwohl geschadet wird, ein Ende zu setzen (Kass., 19. September 1989, T.R.O.S. 1999, 109, Notiz). Dieser dem Gemeinwohl entstandene Schaden wird durch die Aufhebung der Strafandrohung stark nuanciert.
Aus diesem Grund wird für die Zukunft (ab dem Inkrafttreten des Dekretentwurfs) festgelegt, dass Wiederherstellungsklagen (der öffentlichen Hand), die auf einer zum Zeitpunkt des Urteils nicht mehr strafbaren Aufrechterhaltung beruhen, nicht mehr stattgegeben werden kann » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2008-2009, Nr. 2011/3, S. 57) ».
B.1.5. Der nicht in Frage gestellte Artikel 6.1.41 § 1 des Flämischen Raumordnungskodex bestimmt:
« Neben der Strafe kann das Gericht anordnen, dass der Ort wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt oder die rechtswidrige Benutzung eingestellt wird und/oder Bau- oder Anpassungsarbeiten ausgeführt werden und/oder eine Geldsumme gezahlt wird in Höhe des Mehrwertes, den das Gut durch den Verstoss erlangt hat ».
Unter Berücksichtigung des Sachverhalts in den dem vorlegenden Richter unterbreiteten Rechtssachen, die sich auf Klagen des Städtebauinspektors zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands beziehen, beschränkt sich der Hof auf die « Wiederherstellungsklage », mit der die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands bezweckt wird, wobei er folglich etwaige Wiederherstellungsklagen in Bezug auf Bau- oder Anpassungsarbeiten oder auf Zahlung eines Mehrwertes nicht berücksichtigt.
In Bezug auf die Relevanz der präjudiziellen Fragen
B.2.1. Der zweite Berufungsbeklagte in der Rechtssache Nr. 4845 führt an, dass die Flämische Regierung dadurch, dass sie behaupte, dass die fraglichen Bestimmungen nicht im Widerspruch zur Verfassung stünden, auf die öffentliche Wiederherstellungsklage verzichte, die im Hauptverfahren durch den Städtebauinspektor im Namen der Flämischen Regierung eingereicht worden sei, und dass dieser Verzicht zur Folge habe, dass die präjudiziellen Fragen nicht zur Lösung der Streitsache im Hauptverfahren beitragen würden, da das vorlegende Rechtsprechungsorgan der Wiederherstellungsklage nicht stattgeben könne.
B.2.2. Der Berufungsbeklagte in der Rechtssache Nr. 4861 bemerkt, dass der Städtebauinspektor, auf dessen Drängen die präjudiziellen Fragen eingereicht worden seien, keinen Schriftsatz eingereicht habe, und fragt sich, ob daraus abzuleiten sei, dass dieser nicht mehr an die Zulässigkeit beziehungsweise Begründetheit seiner Fragen glaube.
B.2.3. Die Flämische Regierung bezweifelt, dass die Antwort auf die Fragen zur Beurteilung der Streitsachen in den jeweiligen Hauptverfahren sachdienlich sei. Die Nichtberücksichtigung der fraglichen Bestimmungen in dem Fall, dass sie für verfassungswidrig erklärt werden sollten, würde bedeuten, dass der Verstoss der Aufrechterhaltung erneut unter Strafe gestellt würde, was im Widerspruch zur Zielsetzung des Dekretgebers stehe.
B.2.4. Weder die Verteidigung der fraglichen Bestimmungen durch die Flämische Regierung vor dem Hof, noch die Abwesenheit des Städtebauinspektors in den Rechtssachen vor dem Hof erlauben die Schlussfolgerung, dass die Parteien in den Hauptverfahren in irgendeiner Weise auf das Verfahren verzichtet oder eine solche Haltung eingenommen hätten.
Im Ubrigen genügt es grundsätzlich, dass der Richter, der die präjudizielle Frage stellt, prüft, ob die Antwort auf die Frage sachdienlich ist, um über die ihm unterbreitete Streitsache zu urteilen. Nur wenn dies eindeutig nicht der Fall ist, darf der Hof beschliessen, dass die Frage keiner Antwort bedarf.
Was die Anmerkung der Flämischen Regierung betrifft, obliegt es nicht dem Hof zu beurteilen, ob nach der etwaigen Feststellung eines Verstosses eine Situation entsteht, die im Widerspruch zur Absicht des Dekretgebers stehen würde. Da der vorlegende Richter die Interessen aller Verfahrensparteien sowie das Gemeinwohl berücksichtigen muss, kann die Sachdienlichkeit der Frage nicht von ihrem etwaigen Vorteil für eine der Parteien abhängen.
B.2.5. Da nicht ersichtlich ist, dass die präjudiziellen Fragen eindeutig nutzlos wären zur Lösung der Streitsachen in den Hauptverfahren, sind die Einreden abzuweisen.
In Bezug auf die Intervention
B.3.1. Artikel 87 § 1 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof bestimmt:
« Wenn der Verfassungsgerichtshof Vorabentscheidungen zu den in Artikel 26 erwähnten Fragen trifft, kann jede Person, die ein Interesse in der Rechtssache vor dem Rechtsprechungsorgan, das die Verweisung anordnet, nachweist, binnen einer Frist von dreissig Tagen nach der in Artikel 74 vorgeschriebenen Veröffentlichung einen Schriftsatz an den Verfassungsgerichtshof richten. Sie wird dadurch als Partei des Rechtsstreits angesehen ».
B.3.2. Um gemäss dem vorerwähnten Artikel 87 § 1 ein Interesse nachzuweisen, müssen Personen, die einem präjudiziellen Verfahren beizutreten wünschen, in ihrem Schriftsatz genügend Elemente anführen, damit es annehmbar ist, dass die Antwort des Hofes auf die präjudiziellen Fragen sich unmittelbar auf ihre persönliche Situation auswirkt.
B.3.3. Die « Verschaeve-Grouset & C° » KGaA führt an, dass ein analoges Gerichtsverfahren, in dem sie Partei sei, wegen der in der Rechtssache Nr. 4824 gestellten präjudiziellen Fragen vertagt worden sei.
Folglich weist die « Verschaeve-Grouset & C° » KGaA ein ausreichendes Interesse an der Intervention nach.
B.3.4. M. Morel führt an, dass er Berufung gegen ein Urteil des Korrektionalgerichts Antwerpen, mit dem eine Wiederherstellungsmassnahme angeordnet worden sei, eingereicht habe und dass der Städtebauinspektor in der Berufungsinstanz beantragt habe, dem Hof präjudizielle Fragen zu stellen. M. Morel stellt das Interesse und die Eigenschaft des Städtebauinspektors, um präjudizielle Fragen stellen zu lassen, in Abrede. Der Appellationshof hat diese Beanstandung mit der Sache selbst verbunden, die auf der Sitzung vom 29. September 2010 behandelt werden soll.
M. Morel weist somit ausreichend nach, dass er ein Interesse an seiner Intervention hat.
B.3.5. D. Kenis, J. Rombouts und die « Kenis Industriebouw » PGmbH, J. Geurts und die « Jonelinvest » AG führen an, sie seien Parteien in analogen Rechtssachen und das befasste Rechtsprechungsorgan habe beschlossen, nicht solche präjudiziellen Fragen zu stellen, jedoch die Antwort des Hofes im vorliegenden Verfahren abzuwarten.
D. Kenis, J. Rombouts und die « Kenis Industriebouw » PGmbH, J. Geurts und die « Jonelinvest » AG weisen somit ausreichend nach, dass sie ein Interesse an ihrer Intervention haben.
B.3.6. J. Wienen und P. Vande Casteele berufen sich auf ihre Eigenschaft als geschädigte Dritte in Korrektionalsachen, in denen die Eigentümer angrenzender Güter wegen Verstössen im Bereich des Städtebaus verfolgt würden.
Sie führen an, dass ein geschädigter Dritter ein Interesse daran habe, dass der Strafrichter die Klage rechtzeitig behandele und ihr stattgebe sowie die Instandsetzung in natura anordne, was durch die fraglichen Bestimmungen verhindert werde.
J. Wienen und P. Vande Casteele weisen somit ausreichend nach, dass sie ein Interesse an ihrer Intervention haben.
Die Berufungsbeklagten in der Rechtssache Nr. 4824 und die Flämische Regierung machen zwar geltend, dass in keinem der Hauptverfahren die Wiederherstellungsklage durch einen « geschädigten Dritten » eingereicht worden sei. Dennoch kann die Antwort des Hofes auf die präjudiziellen Fragen relevant sein für die Rechtssachen, in denen J. Wienen und P. Vande Casteele Parteien sind; falls die Fragen verneinend beantwortet werden, kann der Strafrichter der öffentlichen Wiederherstellungsklage nicht stattgeben und verlieren sie als Zivilparteien den Verfahrensvorteil, dass sie sich der öffentlichen Wiederherstellungsklage anschliessen können.
B.3.7. Die Flämische Regierung sowie J. Wienen und P. Vande Casteele führen an, dass die Interventionen von J. Geurts und der « Jonelinvest » AG unzulässig seien, da sie in ihren Schriftsätzen keinen inhaltlichen Standpunkt eingenommen hätten.
Angesichts dessen, dass J. Geurts und die « Jonelinvest » AG sich in ihrem Erwiderungsschriftsatz einfach der im Schriftsatz der Flämischen Regierung dargelegten Argumentation anschliessen, braucht der Hof nicht zu prüfen, ob durch diese Intervention die Rechte der Verteidigung der anderen Parteien gefährdet würden und ob aus diesem Grund ein Anlass bestehen würde, die Intervention für unzulässig zu erklären oder eine ergänzende Möglichkeit der schriftlichen Argumentation vorzusehen, falls eine mündliche Antwort in der Sitzung nicht genügt hätte.
In Bezug auf die Rolle des Städtebauinspektors
B.4.1. Aus dem Sachverhalt in den dem vorlegenden Rechtsprechungsorgan unterbreiteten Rechtssachen geht hervor, dass darin jeweils der Städtebauinspektor die Initiative zu den betreffenden Wiederherstellungsklagen ergriffen hat. Aus dem Verweisungsurteil in den Rechtssachen Nrn. 4824 und 4861 geht hervor, dass die ersten zwei präjudiziellen Fragen auf Antrag des Städtebauinspektors gestellt wurden und in der Rechtssache 4861 auch die dritte Frage, die starke Ähnlichkeiten mit der dritten Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844 und 4845 aufweist.
B.4.2. Die Parteien M. Morel, D. Kenis, J. Rombouts und die « Kenis Industriebouw » PGmbH, J. Geurts und die « Jonelinvest » AG stellen die Eigenschaft und das Interesse des Städtebauinspektors, um diese Fragen stellen zu lassen, in Abrede. Sie stellen ebenfalls die Möglichkeit des Städtebauinspektors, vor dem Hof aufzutreten, in Abrede.
B.4.3. Es obliegt grundsätzlich dem vorlegenden Richter, darüber zu urteilen, ob es notwendig ist, dem Hof eine präjudizielle Frage zu stellen.
Es obliegt nicht dem Hof, zur Eigenschaft und zum Interesse des Städtebauinspektors, in den Hauptverfahren das Stellen präjudizieller Fragen anzuregen, Stellung zu nehmen.
Da der Städtebauinspektor in keiner der verbundenen Rechtssachen vor dem Hof interveniert, brauch der Hof sich nicht zu der Frage zu äussern, ob ein solches Auftreten gegebenenfalls unzulässig wäre.
In Bezug auf die erste präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844, 4845 und 4861
B.5.1. Der Hof wird gebeten, Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex anhand von Artikel 16 der Verfassung und von Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, gegebenenfalls in Verbindung mit dem Legalitätsprinzip und dem Grundsatz des rechtmässigen Vertrauens, zu prüfen.
Es wird gefragt, ob das « Eigentumsrecht des durch die Beibehaltung eines illegalen Baus geschädigten Dritten » verletzt werde, indem mit Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex verhindert werde, dass einer rechtzeitig eingereichten « öffentlichen » Wiederherstellungsklage, die auf der Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus beruhe, noch nach dem 1. September 2009 stattgegeben werden könne.
B.5.2. Artikel 16 der Verfassung bestimmt:
« Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn zum Nutzen der Allgemeinheit, in den Fällen und in der Weise, die das Gesetz bestimmt, und gegen gerechte und vorherige Entschädigung ».
Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention bestimmt:
« Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält ».
Da diese Bestimmung des internationalen Rechts eine ähnliche Tragweite wie Artikel 16 der Verfassung hat, bilden die darin enthaltenen Garantien ein untrennbares Ganzes mit denjenigen, die in dieser Verfassungsbestimmung festgelegt sind, so dass der Hof die Erstere bei seiner Prüfung der fraglichen Bestimmungen berücksichtigt.
B.5.3. Die Berufungsbeklagten in der Rechtssache 4824 und die Flämische Regierung führen an, dass die Frage unzulässig sei, weil nicht ersichtlich sei, worin der mögliche Verstoss gegen die angeführten Bestimmungen bestehen würde.
Es trifft zu, dass von einem Verstoss gegen Artikel 16 der Verfassung und Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention hinsichtlich des Städtebauinspektors sowie des Bürgermeister- und Schöffenkollegiums, denen die Befugnis verliehen wurde, eine Wiederherstellungsklage einzureichen, nicht die Rede sein kann; diese Behörden treten im vorliegenden Fall nämlich vor Gericht nicht als « geschädigte Dritte » zur Wahrung irgendeines Eigentumsrechtsrechtes auf.
Sofern davon auszugehen ist, dass mit dem « geschädigten Dritten » in der präjudiziellen Frage die Person gemeint ist, die durch die Aufrechterhaltung eines Verstosses im Bereich des Städtebaus eine Beeinträchtigung erleiden würde, insbesondere als Eigentümerin eines angrenzenden Grundstücks, ist wohl ausreichend ersichtlich, in welcher Hinsicht die fragliche Bestimmung anhand der angeführten Normen geprüft werden kann.
Die Einreden werden abgewiesen.
B.5.4. Die in der Frage angeführte « öffentliche » Wiederherstellungsklage wird durch den Städtebauinspektor oder das Bürgermeister- und Schöffenkollegium im öffentlichen Interesse eingereicht im Hinblick auf die Wahrung der guten Raumordnung.
Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex verhindert nicht, dass ein durch die Aufrechterhaltung eines illegalen Bauwerks geschädigter Dritter seine privaten Interessen verteidigt, insbesondere als Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks. Er kann immer noch eine Klage einreichen, um den Schaden, den er erleiden würde, beenden zu lassen durch eine Wiederherstellung in natura oder zumindest sich für Situationen entschädigen zu lassen, die weiterhin einen quasistrafbaren Fehler darstellen.
Ferner bleibt eine öffentliche Wiederherstellungsklage in Bezug auf Bauverstösse und Aufrechterhaltungsverstösse in raumordnerisch gefährdeten Gebieten sowie in den Fällen, in denen die Klage noch auf Bauverstösse in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten gestützt werden kann, möglich.
Der geschädigte Dritte verliert einen Vorteil, wenn er sich der durch den Städtebauinspektor eingereichten Wiederherstellungsklage angeschlossen hatte und dieser Wiederherstellungsklage infolge der fraglichen Bestimmung nicht mehr stattgegeben werden kann. Der Verlust dieses Vorteils bezieht sich jedoch nicht auf das Eigentumsrecht des geschädigten Dritten, sondern auf seine verfahrensrechtliche Situation infolge seiner Entscheidung, nicht selbst seine privaten Interessen zu verteidigen und sich lediglich der öffentlichen Wiederherstellungsklage anzuschliessen. Gegebenenfalls obliegt es dem geschädigten Dritten, seine privaten Interessen, einschliesslich seines Eigentumsrechts, noch geltend zu machen.
Der durch das illegale Bauwerk geschädigte Dritte wird durch Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex folglich nicht in seinem Eigentumsrecht beeinträchtigt, so wie es durch Artikel 16 der Verfassung und durch Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird.
B.5.5. Die Prüfung anhand des Legalitätsprinzips und des Grundsatzes des rechtmässigen Vertrauens in Verbindung mit den vorerwähnten Referenznormen führt nicht zu einer anderen Schlussfolgerung.
B.5.6. Auf die Bitten der intervenierenden Parteien J. Wienen und P. Vande Casteele, die fragliche Bestimmung anhand anderer Referenznormen als den in der präjudiziellen Frage angeführten zu prüfen, braucht nicht eingegangen zu werden, weil die Parteien die Tragweite einer präjudiziellen Frage nicht ändern oder erweitern dürfen.
B.5.7. Die erste präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844, 4845 und 4861 ist verneinend zu beantworten.
In Bezug auf die zweite präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844, 4845 und 4861
B.6.1. Der Hof wird gefragt, ob Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex gegen den « in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz » verstosse, da der öffentlichen Wiederherstellungsklage, die bereits beim Richter anhängig gewesen sei, ein Ende gesetzt werde. Gemäss der Frage beruhe dieses Erlöschen auf der « Depenalisierung der Straftat der Beibehaltung, während diese Depenalisierung die konkrete Antastung der guten Raumordnung sowohl de facto als de jure unberührt lässt ».
B.6.2. Die präjudizielle Frage bezieht sich insbesondere auf das « Recht auf den Schutz einer gesunden Umwelt », das durch Artikel 23 Absatz 3 Nr. 4 der Verfassung gewährleistet wird.
Der Hof hat geurteilt, dass diese Bestimmung eine Stillhalteverpflichtung beinhaltet, die verhindert, dass der zuständige Gesetzgeber das Schutzniveau, das durch die geltenden Rechtsvorschriften geboten wurde, in erheblichem Masse herabsetzt, ohne dass es hierfür Gründe gibt, die mit dem Gemeinwohl zusammenhängen (Urteile Nrn. 135/2006 vom 14. September 2006, B.10, 137/2006 vom 14. September 2006, B.7.1, 145/2006 vom 28. September 2006, B.5.1, 87/2007 vom 20. Juni 2007, B.5, 114/2008 vom 31. Juli 2008, B.3, und 121/2008 vom 1. September 2008, B.11.1).
B.6.3. Die Berufungsbeklagten in der Rechtssache Nr. 4824 führen an, die aus Artikel 23 der Verfassung abgeleitete Stillhalteverpflichtung beziehe sich auf das Recht auf eine gesunde Umwelt, und niet auf die Raumordnung und den Städtebau. Der Berufungsbeklagte in der Rechtssache Nr. 4861 macht geltend, dass Artikel 23 der Verfassung sich ausschliesslich auf die Aspekte der Umwelt beziehe, die sich nachteilig auf die Gesundheit der Bürger auswirken könnten, und kein Recht auf eine ästhetische Umwelt garantiere.
Zwar hat nicht jede Massnahme in Bezug auf Städtebau und Raumordnung ipso facto Auswirkungen auf das Recht auf eine gesunde Umwelt im Sinne von Artikel 23 Absatz 3 Nr. 4 der Verfassung. Im vorliegenden Fall kann jedoch angenommen werden, dass die fragliche Bestimmung, die allgemein verhindert, dass der Richter nach dem 1. September 2009 noch öffentlichen Wiederherstellungsklagen in Bezug auf die Aufrechterhaltung von Situationen, die im Widerspruch zu den Vorschriften über Städtebau und Raumordnung stehen, stattgibt - auch wenn dies nur in anderen als « raumordnerisch gefährdeten Gebieten » erfolgt -, eine Tragweite hat, die zumindest teilweise zum Anwendungsbereich von Artikel 23 Absatz 3 Nr. 4 der Verfassung gehört.
B.6.4. Nach Darlegung der Berufungsbeklagten in der Rechtssache Nr. 4824 würden die in Artikel 23 der Verfassung aufgezählten Rechte den Rechtsunterworfenen zustehen und nicht Behörden wie dem Städtebauinspektor oder dem Bürgermeister- und Schöffenkollegium. Der Berufungsbeklagte in der Rechtssache Nr. 4861 führt an, die Flämische Region sei nicht Inhaberin von Grundrechten, sondern « deren Schuldnerin ». Die Frage, die sich auf die durch die Behörden eingereichte Wiederherstellungsklage beziehe, sei daher unzulässig.
Der Umstand, dass die zweite präjudizielle Frage auf Antrag des Städtebauinspektors gestellt wurde, beeinträchtigt nicht die Tatsache, dass letzten Endes das vorlegende Rechtsprechungsorgan über die Sachdienlichkeit der Frage urteilt, wobei es sowohl den Interessen der Verfahrensparteien als auch dem Gemeinwohl Rechnung trägt.
Die Einrede wird abgewiesen.
B.6.5. Mit Artikel 7 des Dekrets vom 4. Juni 2003, der nunmehr in Artikel 6.1.1 Absatz 3 des Flämischen Raumordnungskodex aufgenommen wurde, hat der flämische Dekretgeber im Rahmen seines Ermessensspielraums den Standpunkt vertreten, dass die Aufrechterhaltung einer widerrechtlichen Situation in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten nicht mehr als Dauerstraftat angesehen werden musste. In Verbindung mit Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex ist ersichtlich, dass beabsichtigt wurde, diese Unterstrafestellung aufzuheben. Aus den in B.1.4.2 zitierten Vorarbeiten zum fraglichen Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex geht hervor, dass der Dekretgeber es ausserdem gesellschaftlich als nicht gerechtfertigt erachtete, noch der Wiederherstellung des früheren Zustands auf Antrag des Städtebauinspektors oder des Bürgermeister- und Schöffenkollegiums zuzustimmen.
Da er die Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten nicht mehr als strafbar ansah, konnte der Dekretgeber vernünftigerweise den Standpunkt vertreten, dass es im öffentlichen Interesse gerechtfertigt war, auch zu verhindern, dass noch anhängigen öffentlichen Wiederherstellungsklagen ab dem 1. September 2009, dem Datum des Inkrafttretens des Dekrets der Flämischen Region vom 27. März 2009, stattgegeben würde.
B.6.6. In raumordnerisch gefährdeten Gebieten bleiben die in Artikel 6.1.1 des Flämischen Raumordnungskodex angeführten Verstösse strafbar und kann auch die öffentliche Wiederherstellungsklage weiterhin ausgeübt werden. Die öffentliche Wiederherstellungsklage kann ebenfalls noch ausgeübt werden, wenn sie auf Bauverstössen in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten beruht. Die Massnahme ist folglich auf die Fälle beschränkt, in denen die Wiederherstellungsklage am 1. September 2009 noch anhängig war für Taten der Aufrechterhaltung in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten.
Ausserdem hat der Dekretgeber nur eine Regelung in Bezug auf die öffentliche Wiederherstellungsklage angenommen und hat somit nicht die Rechte von Personen beeinträchtigt, den Schaden, den sie erleiden würden, beispielsweise als Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks, beenden zu lassen durch eine Wiederherstellung in natura oder zumindest sich entschädigen zu lassen für Situationen, die weiterhin einen quasistrafbaren Fehler darstellen.
B.6.7. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass im vorliegenden Fall durch Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex weder ein erheblicher Rückgang im Schutzniveau der Umwelt herbeigeführt wird, noch ein erheblicher Rückgang, der nicht durch die zugrunde liegenden gemeinnützigen Beweggründe gerechtfertigt werden könnte.
B.6.8. Die zweite präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844, 4845 und 4861 ist verneinend zu beantworten.
In Bezug auf die dritte präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844, 4845 und 4861
B.7.1. Im Gegensatz zu der vorigen präjudiziellen Frage, die sich nur auf Absatz 4 von Artikel 6.1.1 des Flämischen Raumordnungskodex bezog, wird der Hof mit dieser Frage gebeten, auch Artikel 6.1.1 Absatz 3 des Flämischen Raumordnungskodex an dem « in Artikel 23 der Verfassung verankerten Stillhaltegrundsatz » zu prüfen.
In der stark vergleichbaren dritten präjudiziellen Frage in der Rechtssache Nr. 4861 wird ausserdem Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex erwähnt.
Diese Fragen in den verbundenen Rechtssachen sind gemeinsam zu prüfen, da Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex ein untrennbares Ganzes mit Artikel 6.1.1 Absatz 3 desselben Kodex bildet.
B.7.2. Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob gegen die Stillhalteverpflichtung verstossen wird, indem die fraglichen Bestimmungen, in ihrem Zusammenhang untereinander, die Auferlegung einer Wiederherstellungsmassnahme aufgrund von Handlungen der Aufrechterhaltung in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten unmöglich machen. Laut der Frage sei die Möglichkeit einer öffentlichen Wiederherstellungsklage in Wirklichkeit von der etwaigen Verfolgung und Schuldigerklärung des Urhebers des Bauverstosses abhängig, « während dieser Umstand in (gar) keinem Zusammenhang zu dem Schaden steht, der der guten Raumordnung ggf. durch den illegalen Zustand zugefügt wird ».
B.7.3. Bei der Prüfung der zweiten präjudiziellen Frage wurden bereits die Gründe des Gemeinwohls dargelegt, die den Dekretgeber veranlasst haben, die Unterstrafestellung der Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten aufzuheben (Artikel 6.1.1 Absatz 3 und Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex) und anschliessend zu vermeiden, dass öffentlichen Wiederherstellungsklagen noch stattgegeben würde (Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex).
Dabei wurde erläutert, dass in raumordnerisch gefährdeten Gebieten die in Artikel 6.1.1 des Flämischen Raumordnungskodex aufgezählten Verstösse strafbar bleiben und auch die öffentliche Wiederherstellungsklage möglich bleibt, dass das Gleiche für Bauverstösse gilt, selbst in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten, und dass der Dekretgeber die Rechte von Personen, den Schaden, den sie beispielsweise als Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks erleiden würden, beenden zu lassen durch eine Wiederherstellung in natura oder zumindest sich für Situationen, die weiterhin einen quasistrafbaren Fehler darstellen, entschädigen zu lassen, nicht beeinträchtigt hat.
B.7.4. Die Schlussfolgerung des Hofes, dass auf diese Weise durch Artikel 6.1.1 Absatz 4 des Flämischen Raumordnungskodex weder ein erheblicher Rückgang im Schutzniveau der Umwelt herbeigeführt wird, noch ein erheblicher Rückgang, der nicht durch die zugrunde liegenden gemeinnützigen Beweggründe gerechtfertigt werden könnte, gilt ebenso in Bezug auf Absatz 3 dieses Artikels und in Bezug auf Artikel 6.1.2 des Flämischen Raumordnungskodex.
B.7.5. Die dritte präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844, 4845 und 4861 ist verneinend zu beantworten.
In Bezug auf die vierte präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844 und 4845 und die einzige präjudizielle Frage in der Rechtssache Nr. 4832
B.8.1. Der Hof wird gebeten, Artikel 6.1.1 Absätze 3 und 4 des Flämischen Raumordnungskodex anhand des Grundsatzes der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, der in den Artikeln 10 und 11 der Verfassung enthalten ist, zu prüfen.
Die Frage ist ausgerichtet auf einen Vergleich der Kategorie von Personen, die einen Verstoss im Bereich des Städtebaus aufrechterhalten in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten und die selbst keine Schuld am Bauverstoss tragen, für die der Errichter jedoch für schuldig befunden wurde, mit der Kategorie von Personen, die einen Verstoss im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten aufrechterhalten und die selbst keine Schuld am Bauverstoss tragen, für die der Errichter jedoch nicht für schuldig befunden wurde. Nur die erste Kategorie von Personen werde vorkommendenfalls die Folgen einer Wiederherstellungsmassnahme auf sich nehmen müssen. In dieser Hinsicht sind die beiden Kategorien von Personen sehr wohl vergleichbar.
Im Unterschied zu dem, was die « Verschaeve-Grouset & C° » KGaA behauptet, betrifft die Frage nicht einen Vergleich zwischen Situationen in einem raumordnerisch gefährdeten Gebiet und Situationen ausserhalb solcher Gebiete.
B.8.2. Der zweite Berufungsbeklagte in der Rechtssache Nr. 4845 führt an, dass die Antwort auf die Frage nicht zur Lösung der Streitsache im Hauptverfahren beitrage. Da die Wiederherstellungsmassnahme im Hauptverfahren gegen den ersten Berufungsbeklagten als Errichter angeordnet worden sei, sei die hypothetische Frage über einen Fall, in dem der Errichter wegen des Bauverstosses nicht verfolgt werde oder nicht mehr verfolgt werden könne, irrelevant.
Auch wenn eine Wiederherstellungsklage gegen ihn als eine Person, die eine Situation aufrechterhält, nicht mehr möglich wäre, kann der zweite Berufungsbeklagte in der Rechtssache Nr. 4845 mit den Folgen der wegen des Bauverstosses verhängten strafrechtlichen Verurteilung des ersten Beklagten, der ebenfalls zur Wiederherstellung in den ursprünglichen Zustand verurteilt wird, konfrontiert werden. Die präjudizielle Frage ist eben darauf ausgerichtet zu erfahren, ob es diskriminierend sei, dass Personen, die eine Situation aufrechterhalten, dennoch die Wiederherstellungsmassnahme auf sich nehmen müssten, wenn der Urheber des Bauverstosses verurteilt werde, jedoch nicht, wenn keine Verurteilung wegen des Bauverstosses erfolge.
Die Einrede wird abgewiesen.
B.8.3. Der Behandlungsunterschied beruht auf einem objektiven Unterscheidungskriterium; im ersten in B.8.1 beschriebenen Fall kann der Urheber des Bauverstosses in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten verurteilt werden, im zweiten Fall nicht.
Mit den fraglichen Bestimmungen wünschte der Dekretgeber einerseits, dass Handlungen der Aufrechterhaltung von Verstössen im Bereich des Städtebaus in anderen als raumordnerisch gefährdeten Gebieten nicht mehr strafbar sind und dass auch der öffentlichen Wiederherstellungsklage, die nur auf dieser Aufrechterhaltung beruht, ab dem 1. September 2009 nicht mehr stattgegeben wird, und andererseits, dass Bauverstösse strafbar bleiben - ungeachtet dessen, ob es sich um ein raumordnerisch gefährdetes Gebiet handelt oder nicht - und dass die Wiederherstellungsklage möglich bleibt.
Im Lichte dieser Zielsetzung und unter Berücksichtigung der dinglichen Beschaffenheit der Wiederherstellungsklage ist es vernünftig gerechtfertigt, dass dieser Klage noch stattgegeben werden kann, wenn der Errichter für schuldig befunden wird, wobei gegebenenfalls auch andere Personen die Folgen der Wiederherstellungsmassnahme auf sich nehmen müssen.
Diese Massnahmen schaffen ein grösseres Gleichgewicht zwischen einerseits dem Streben nach Bestrafung und Wiederherstellung des vorherigen Zustands in Bezug auf diejenigen, die des Bauverstosses schuldig sind, und andererseits dem Streben nach mehr Rechtssicherheit für diejenigen, die Rechte am betreffenden Gut erhalten und die nur noch beunruhigt werden, wenn der Urheber des Bauverstosses verurteilt wird. Im Ubrigen hat der Dekretgeber eine Reihe von Massnahmen zur Erteilung von Informationen vorgesehen, die es ermöglichen, dass Personen, die Rechte am betreffenden Gut erhalten, nicht in Unkenntnis bleiben über städtebauliche Regelwidrigkeiten, die das Gut belasten, und etwaige Gerichtsklagen, die diesbezüglich anhängig sind.
Schliesslich hat der Dekretgeber nicht die Rechte von Personen, den Schaden, den sie beispielsweise als Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks erleiden würden, beenden zu lassen durch eine Wiederherstellung in natura oder sich zumindest für Situationen, die weiterhin einen quasistrafbaren Fehler darstellen, entschädigen zu lassen.
B.8.4. Die vierte präjudizielle Frage in den Rechtssachen Nrn. 4824, 4844 und 4845 und die einzige präjudizielle Frage in der Rechtssache Nr. 4832 sind verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Hof
erkennt für Recht:
- Artikel 6.1.1 Absatz 4 des durch Erlass der Flämischen Regierung vom 15. Mai 2009 koordinierten « Flämischen Raumordnungskodex » verstösst nicht gegen Artikel 16 der Verfassung in Verbindung mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
- Artikel 6.1.1 Absätze 3 und 4 und Artikel 6.1.2 des « Flämischen Raumordnungskodex » verstossen nicht gegen Artikel 23 Absatz 3 Nr. 4 der Verfassung.
- Artikel 6.1.1 Absätze 3 und 4 des « Flämischen Raumordnungskodex » verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 29. Juli 2010.
Der Kanzler,
(gez.) P.-Y. Dutilleux.
Der Vorsitzende,
(gez.) M. Bossuyt.