Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 9 November 2017 (België). RG 130/2017

Datum :
09-11-2017
Taal :
Duits Frans Nederlands
Grootte :
3 pagina's
Sectie :
Rechtspraak
Bron :
Justel D-20171109-6
Rolnummer :
130/2017

Samenvatting :

Der Gerichtshof erkennt für Recht: Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches verstößt nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Arrest :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten E. De Groot und J. Spreutels, und den Richtern J.-P. Snappe, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten E. De Groot,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfragen und Verfahren

In ihrem Entscheid vom 15. September 2016 in Sachen der « Consult & Venture » AG und anderer, dessen Ausfertigung am 23. September 2016 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Anklagekammer des Appellationshofes Gent folgende Vorabentscheidungsfragen gestellt:

« 1. Verstößt Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Staatsanwaltschaft über ein unbeschränktes Recht auf Berufung gegen alle Beschlüsse der Ratskammer verfügt, ohne dass dabei ein besonderes rechtliches Interesse nachzuweisen ist, und zwar im Lichte des grundlegenden Unterschieds, den es zwischen der Staatsanwaltschaft und den anderen Parteien im Strafverfahren gibt und der auf einem objektiven Kriterium beruht, nämlich die Erfüllung der Aufträge des öffentlichen Dienstes, im Interesse der Allgemeinheit, hinsichtlich der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten und der Forderung der Anwendung des Strafgesetzes, während die anderen Verfahrensparteien ihr persönliches Interesse vertreten?

2. Verstößt Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Staatsanwaltschaft über ein unbeschränktes Recht auf Berufung gegen einen Beschluss der Ratskammer verfügt, mit dem die Verweisung eines oder mehrerer Beschuldigter beschlossen wird, während die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens gegen diese(n) Beschuldigten gefordert hatte, in der Annahme, dass die Staatsanwaltschaft über ein besonderes rechtliches Interesse als allgemeine Bedingung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels verfügen muss, und zwar im Lichte des grundlegenden Unterschieds, den es zwischen der Staatsanwaltschaft und den anderen Parteien im Strafverfahren gibt und der auf einem objektiven Kriterium beruht, nämlich die Erfüllung der Aufträge des öffentlichen Dienstes, im Interesse der Allgemeinheit, hinsichtlich der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten und der Forderung der Anwendung des Strafgesetzes, während die anderen Verfahrensparteien ihr persönliches Interesse vertreten?

3. Verstößt Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Staatsanwaltschaft eine zulässige Berufung gegen einen Beschluss der Ratskammer, mit dem die Verweisung eines oder mehrerer Beschuldigter beschlossen wird, während die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens gegen diese(n) Beschuldigten gefordert hatte, nur insofern einlegen kann, als die Staatsanwaltschaft einen Klagegrund im Sinne von Artikel 135 § 2 des Strafprozessgesetzbuches durch schriftlichen Schriftsatz bei der Ratskammer geltend gemacht hat, und zwar im Lichte des grundlegenden Unterschieds, den es zwischen der Staatsanwaltschaft und den anderen Parteien im Strafverfahren gibt und der auf einem objektiven Kriterium beruht, nämlich die Erfüllung der Aufträge des öffentlichen Dienstes, im Interesse der Allgemeinheit, hinsichtlich der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten und der Forderung der Anwendung des Strafgesetzes, während die anderen Verfahrensparteien ihr persönliches Interesse vertreten? ».

(...)

III. Rechtliche Würdigung

(...)

B.1. Die drei Vorabentscheidungsfragen betreffen Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches, der bestimmt:

« Die Staatsanwaltschaft und die Zivilpartei können gegen alle Beschlüsse der Ratskammer Berufung einlegen ».

B.2. Mit der ersten und zweiten Vorabentscheidungsfrage möchte der vorlegende Richter vom Gerichtshof erfahren, ob diese Bestimmung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung vereinbar sei, wenn sie dahin ausgelegt werde, dass die Staatsanwaltschaft über ein unbeschränktes Recht auf Berufung gegen einen Beschluss der Ratskammer verfüge, ohne dass dabei ein besonderes rechtliches Interesse nachzuweisen sei (erste Vorabentscheidungsfrage), beziehungsweise dass die Staatsanwaltschaft über ein unbeschränktes Recht auf Berufung gegen einen Beschluss der Ratskammer verfüge, wobei sie ein besonderes rechtliches Interesse nachweisen müsse (zweite Vorabentscheidungsfrage).

Der vorlegende Richter möchte also vom Gerichtshof erfahren, ob die Staatsanwaltschaft ein Interesse geltend machen müsse, um auf zulässige Weise Berufung gegen einen Beschluss der Ratskammer einlegen zu können. Er vergleicht die Situation der Staatsanwaltschaft mit derjenigen der anderen Parteien im Strafverfahren.

B.3. Der Gerichtshof beschränkt seine Prüfung auf den Fall, in dem die Staatsanwaltschaft Berufung gegen einen Verweisungsbeschluss der Ratskammer einlegt, während die Staatsanwaltschaft die Verfahrenseinstellung beantragte.

B.4. Zwischen der Staatsanwaltschaft einerseits und den anderen Parteien in einem Strafverfahren andererseits besteht ein grundlegender Unterschied, der auf einem objektiven Kriterium beruht; die Staatsanwaltschaft erfüllt im Interesse der Allgemeinheit die Aufgaben des öffentlichen Dienstes in Bezug auf die Ermittlung und die Verfolgung von Straftaten (Artikel 22 bis 47bis des Strafprozessgesetzbuches) und übt die Strafverfolgung aus (Artikel 138 des Gerichtsgesetzbuches), während die anderen Parteien ihre persönlichen Interessen verteidigen.

B.5. Die spezifische Lage der Staatsanwaltschaft bietet eine vernünftige Rechtfertigung dafür, dass in dem Fall, dass die Untersuchung mit einem Verweisungsbeschluss endet, der nicht die Strafverfolgung beendet, mit der die Staatsanwaltschaft beauftragt ist, während die Staatsanwaltschaft die Verfahrenseinstellung beantragte, Letztere bei der Durchführung ihres gesetzlichen Auftrags in der Berufung unter anderem das Vorhandensein von belastenden Fakten geltend machen kann, die sie dennoch als ausreichend erachtet, um den Beschuldigten an das erkennende Gericht verweisen zu lassen, während der Beschuldigte nicht über das gleiche Rechtsmittel gegen einen Verweisungsbeschluss verfügt.

Es ist jedoch festzuhalten, dass der Verweisungsbeschluss dem Beschuldigten wohl die Möglichkeit bietet, seine gesamten Verteidigungsmittel vor dem Tatsachenrichter geltend zu machen, wobei er ebenfalls vorbringen kann, dass die Staatsanwaltschaft anfänglich die Verfahrenseinstellung beantragte.

B.6. Die Beschaffenheit der Interessen, die die Staatsanwaltschaft verteidigt, rechtfertigt es ebenfalls, dass ihre Berufung zulässig ist, selbst wenn der von ihr angefochtene Beschluss der Ratskammer nicht ihren Anträgen entspricht. Darüber hinaus führen die Mitglieder der Staatsanwaltschaft ihren Auftrag unter der Aufsicht des Generalprokurators beim Appellationshof aus, wobei sie eine ihnen durch Artikel 151 § 1 der Verfassung garantierte Unabhängigkeit genießen, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass der Standpunkt eines der Mitglieder der Staatsanwaltschaft deren anderen Mitgliedern auferlegt wird, oder insbesondere, dass dieser Standpunkt den Generalprokurator daran hindert, die ihm durch das Gerichtsgesetzbuch anvertraute leitende Funktion auszuüben.

B.7. Die erste und die zweite Vorabentscheidungsfrage sind verneinend zu beantworten.

B.8. Mit der dritten Vorabentscheidungsfrage möchte der vorlegende Richter vom Gerichtshof erfahren, ob Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung vereinbar sei, dahin ausgelegt, dass die Staatsanwaltschaft eine zulässige Berufung gegen einen Beschluss der Ratskammer, mit dem dem von der Staatsanwaltschaft Beantragten nicht beigepflichtet werde, nur insofern einlegen könne, als die Staatsanwaltschaft einen Klagegrund im Sinne von Artikel 135 § 2 des Strafprozessgesetzbuches durch schriftlichen Schriftsatz bei der Ratskammer geltend gemacht habe.

B.9. Artikel 135 § 2 des Strafprozessgesetzbuches bestimmt:

« Der Beschuldigte kann im Falle von Unregelmäßigkeiten, Versäumnissen oder Nichtigkeitsgründen, die in Artikel 131 § 1 vorgesehen sind oder sich auf den Verweisungsbeschluss beziehen, gegen die in den Artikeln 129 und 130 vorgesehenen Verweisungsbeschlüsse Berufung einlegen, unbeschadet der in Artikel 539 des vorliegenden Gesetzbuches erwähnten Berufung. Das Gleiche gilt für die die Strafverfolgung betreffenden Unzulässigkeits- oder Erlöschensgründe. Im Falle von in Artikel 131 § 1 erwähnten Unregelmäßigkeiten, Versäumnissen oder Nichtigkeitsgründen ist die Berufung nur zulässig, wenn der Klagegrund durch schriftlichen Schriftsatz bei der Ratskammer geltend gemacht worden ist. Das Gleiche gilt für die die Strafverfolgung betreffenden Unzulässigkeits- oder Erlöschensgründe, außer wenn diese Gründe nach der Verhandlung vor der Ratskammer entstanden sind ».

Artikel 135 § 2 des Strafprozessgesetzbuches macht die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Verweisungsbeschluss der Ratskammer nicht von einer Zulässigkeitsbedingung abhängig. Die Berufung des Beschuldigten wird hingegen wohl von einer Zulässigkeitsbedingung abhängig gemacht; er kann aufgrund von Unregelmäßigkeiten, Versäumnissen oder Nichtigkeitsgründen, die in Artikel 131 § 1 vorgesehen sind, nur in zulässiger Weise Berufung einlegen, wenn der Klagegrund durch schriftlichen Schriftsatz bei der Ratskammer geltend gemacht worden ist.

B.10. Wie in B.4 erwähnt wurde, besteht zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten ein grundlegender Unterschied, der auf einem objektiven Kriterium beruht. Dieser Unterschied rechtfertigt es in angemessener Weise, dass die Staatsanwaltschaft bis zur Befassung der Ratskammer über Vorzugsrechte verfügt, deren Verfassungsmäßigkeit nicht dadurch bewertet werden kann, dass ihre Lage mit der des Beschuldigten verglichen wird.

B.11. Da jedoch der Gesetzgeber nach Ablauf der Untersuchung ein Verfahren vor der Ratskammer einführt, das sich in grundlegender Weise von demjenigen unterscheidet, welches vor dem erkennenden Gericht geführt wird, er eine kontradiktorische Debatte zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten ermöglicht, er der Zivilpartei, die private Interessen verteidigt, die Möglichkeit bietet, sich an dieser Debatte zu beteiligen, und er schließlich ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Ratskammer organisiert, können die Zulässigkeitsbedingungen dieses Rechtsmittels je nach der Person, die es einlegt, nur dann unterschiedlich sein, wenn diese unterschiedliche Behandlung vernünftig gerechtfertigt ist.

B.12. Die Möglichkeit für den Beschuldigten, bei der Anklagekammer Berufung einzulegen aufgrund von Unregelmäßigkeiten, Versäumnissen oder Nichtigkeitsgründen, die eine Untersuchungshandlung oder die Beweiserlangung beeinflussen, zielt darauf ab, die Untersuchung von diesen Unregelmäßigkeiten zu säubern, bevor die Rechtssache an das erkennende Gericht verwiesen wird, da ein jeder ein Interesse daran hat, dass die Voruntersuchung von diesen Unregelmäßigkeiten gesäubert wird, bevor die Rechtssache an das erkennende Gericht verwiesen wird.

In Anbetracht des in B.4 Erwähnten erfüllt die Staatsanwaltschaft einen Auftrag allgemeinen Interesses, d.h. die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten, sowie die Ausübung der Strafverfolgung. Die Art der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Interessen rechtfertigt es also, dass ihre Berufung zulässig ist, ohne dass sie dazu einen Klagegrund durch schriftlichen Schriftsatz geltend machen muss.

B.13. Die dritte Vorabentscheidungsfrage ist verneinend zu beantworten.

Aus diesen Gründen:

Der Gerichtshof

erkennt für Recht:

Artikel 135 § 1 des Strafprozessgesetzbuches verstößt nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Erlassen in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 9. November 2017.

Der Kanzler,

(gez.) P.-Y. Dutilleux

Der Präsident,

(gez.) E. De Groot