Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 23 Juni 2010 (België). RG 71/2010
- Sectie :
- Rechtspraak
- Bron :
- Justel D-20100623-2
- Rolnummer :
- 71/2010
Samenvatting :
Der Hof erkennt für Recht: Artikel 19 Absatz 2 der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze über den Staatsrat verstößt nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Arrest :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Vorsitzenden M. Melchior und M. Bossuyt, und den Richtern R. Henneuse, E. De Groot, A. Alen, J.-P. Snappe, E. Derycke, J. Spreutels, T. Merckx-Van Goey und P. Nihoul, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden M. Melchior,
verkündet nach Beratung folgendes Urteil:
I. Gegenstand der präjudiziellen Fragen und Verfahren
In seinen Urteilen Nrn. 195.816, 195.814 und 195.815 vom 8. September 2009 in Sachen Christine Duruisseau gegen die Französische Gemeinschaft, in Anwesenheit von Sylvianne Randolet, intervenierende Partei in der ersten Rechtssache, und von Isabelle Peters, intervenierende Partei in der dritten Rechtssache, deren Ausfertigungen am 23. September 2009 in der Kanzlei des Hofes eingegangen sind, hat der Staatsrat folgende präjudizielle Frage gestellt:
« Verstösst Artikel 19 Absatz 2 der koordinierten Gesetze über den Staatsrat gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem er dahingehend ausgelegt wird, dass der Aufschub um vier Monate, den er für die Einsetzung der Verjährungsfrist für die beim Staatsrat erhobenen Klagen vorsieht, nur jenen Personen zugute kommen kann, denen gegenüber die Verwaltungsbehörde einen Akt oder eine Entscheidung mit individueller Tragweite zu notifizieren hat, und nicht den Personen, die diesen Akt oder diese Entscheidung mit individueller Tragweite zur Kenntnis nehmen im Anschluss an eine Mitteilung seitens der Verwaltungsbehörde, ohne dass sich diese Mitteilung aus einer Notifizierungspflicht ergibt? ».
Diese unter den Nummern 4770, 4771 und 4772 ins Geschäftsverzeichnis des Hofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.
(...)
III. In rechtlicher Beziehung
(...)
B.1. Artikel 19 der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze über den Staatsrat bestimmt:
« In [Artikel] 14 [...] erwähnte [...] Nichtigkeitsklagen [...] können von jeder Partei, die einen Nachteil oder ein Interesse nachweist, vor die Verwaltungsstreitsachenabteilung gebracht werden und werden der Abteilung schriftlich und in den vom König festgelegten Formen und Fristen vorgelegt.
Verjährungsfristen für die in Artikel 14 § 1 erwähnten Klagen setzen nur ein, wenn in der von der Verwaltungsbehörde ausgehenden Notifizierung des Akts oder der Entscheidung mit individueller Tragweite diese Klagen und die einzuhaltenden Formen und Fristen erwähnt sind. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, setzen die Verjährungsfristen vier Monate, nachdem dem Betreffenden der Akt oder die Entscheidung mit individueller Tragweite zur Kenntnis gebracht worden ist, ein.
[...] ».
Artikel 14 § 1 derselben koordinierten Gesetze bestimmt:
« Die Verwaltungsstreitsachenabteilung befindet im Wege von Entscheiden über Nichtigkeitsklagen wegen Verletzung entweder wesentlicher oder unter Androhung der Nichtigkeit auferlegter Formvorschriften, wegen Befugnisüberschreitung oder wegen Befugnismissbrauch, die eingeleitet werden gegen Akte und Verordnungen:
1. der verschiedenen Verwaltungsbehörden,
2. der gesetzgebenden Versammlungen oder ihrer Organe, einschliesslich der bei diesen Versammlungen eingerichteten Ombudsdienste, des Rechnungshofes, des Verfassungsgerichtshofes, des Staatsrates, der administrativen Rechtsprechungsorgane, der Organe der rechtsprechenden Gewalt und des Hohen Justizrates, in Bezug auf öffentliche Aufträge und Personalmitglieder.
Artikel 159 der Verfassung findet ebenfalls Anwendung auf die unter Nr. 2 erwähnten Akte und Verordnungen ».
In Ausführung von Artikel 19 Absatz 1 der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze bestimmt Artikel 4 Absatz 3 des Erlasses des Regenten vom 23. August 1948 « zur Festlegung des Verfahrens vor der Verwaltungsstreitsachenabteilung des Staatsrates »:
« Die Klagen im Sinne von Artikel 14 § § 1 und 3 der koordinierten Gesetze verjähren in 60 Tagen, nachdem die angefochtenen Akten, Verordnungen oder Entscheidungen veröffentlicht oder notifiziert wurden. Wenn sie weder veröffentlicht noch notifiziert werden müssen, beginnt die Frist an dem Tag, an dem der Kläger sie zur Kenntnis genommen hat ».
B.2. Aus dem Sachverhalt der Rechtssachen und aus der Begründung der Verweisungsentscheidungen geht hervor, dass der Hof sich zur Vereinbarkeit von Artikel 19 Absatz 2 der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung äussern soll, ausgelegt in dem Sinne, dass er nur Anwendung finde auf die verpflichtende Notifizierung eines Aktes oder einer Entscheidung mit individueller Tragweite, insofern diese Gesetzesbestimmung einen Behandlungsunterschied einführe zwischen zwei Kategorien von Personen, die beim Staatsrat eine Klage auf Nichtigerklärung gegen einen Verwaltungsakt mit individueller Tragweite einreichen möchten, der ihnen notifiziert worden sei, ohne dass in dieser Notifizierung das Bestehen dieser Klage oder deren Formvorschriften und Fristen angegeben sei: einerseits diejenigen, denen die Verwaltungsbehörde einen solchen Akt notifiziere, ohne dazu verpflichtet zu sein, und andererseits diejenigen, denen die Verwaltungsbehörde einen solchen Akt notifiziere, weil sie dazu verpflichtet sei.
Nur die Letztgenannten könnten die in der fraglichen Bestimmung vorgesehene Verlängerung der Klagefrist in Anspruch nehmen.
B.3.1. Mit dem ersten Satz der fraglichen Bestimmung, der durch Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1994 « zur Abänderung der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze über den Staatsrat » eingefügt wurde, soll die Tragweite der in Artikel 2 Nr. 4 des Gesetzes vom 11. April 1994 « über die Öffentlichkeit der Verwaltung » enthaltenen Regel erweitert werden (Parl. Dok., Kammer, 1992-1993, Nr. 1159/2, S. 1; ebenda, Nr. 1159/4, S. 1; ebenda, Nr. 1159/5, S. 4); dieser bestimmt:
« Damit die Bevölkerung deutlich und objektiv über die Tätigkeiten der föderalen Verwaltungsbehörden unterrichtet wird:
[...]
4. werden die eventuellen Beschwerdemöglichkeiten, die Instanzen, bei denen eine Beschwerde einzulegen ist, und die einzuhaltenden Formen und Fristen in jeder Unterlage angegeben, mit der dem Bürger ein Beschluss oder ein Verwaltungsakt individueller Tragweite, der von einer föderalen Verwaltungsbehörde ausgeht, notifiziert wird; andernfalls läuft keine Verjährungsfrist für die Einlegung einer Beschwerde ».
Diese letztgenannte Bestimmung fügt sich in eine Reform ein, die eine « grundsätzliche Neuorientierung des Verhältnisses zwischen dem Bürger und der Verwaltung » bezweckt (Parl. Dok., Kammer, 1992-1993, Nr. 1112/1, S. 1); sie bildet eine der Mindestverpflichtungen, die eine « ' aktive Öffentlichkeit ' gewährleisten soll, die zur Förderung einer besser strukturierten Informationspolitik beitragen soll » (ebenda, Nr. 1112/13, S. 3).
Unter diesen Umständen soll der erste Satz der fraglichen Bestimmung « die Verteidigungsrechte der Bürger vor dem Staatsrat stärken » (Parl. Dok., Kammer, 1992-1993, Nr. 1159/2, S. 2; ebenda, Nr. 1159/4, S. 2), indem er ihnen einen « zusätzlichen Schutz » bietet (Parl. Dok., Kammer, 1992-1993, Nr. 1112/2, SS. 9-10).
B.3.2. Mit dem zweiten Satz der fraglichen Bestimmung, der durch Artikel 7 Nr. 1 des Gesetzes vom 15. September 2006 « zur Reform des Staatsrates und zur Schaffung eines Rates für Ausländerstreitsachen » eingefügt wurde, soll « die Rechtssicherheit, die es erfordert, dass jeder individuelle Akt zu einem bestimmten Zeitpunkt endgültig wird, mit dem gerechtfertigten Erfordernis des Rechtsschutzes in Einklang gebracht werden » gegenüber einem « individuellen, nachteiligen Akt » (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2479/001, S. 33). Die fragliche Bestimmung verpflichtet die betreffende Verwaltungsbehörde, « das Bestehen der Möglichkeit einer Klage vor dem Staatsrat und die Verpflichtung, diese Klage innerhalb von 60 Tagen nach der Notifizierung per Einschreibebrief einzureichen » anzugeben (ebenda, S. 32).
B.4.1. Die im zweiten Satz der fraglichen Bestimmung vorgesehene Verlängerung der Klagefrist steht im engen Zusammenhang zu der sich aus dem ersten Satz dieser Bestimmung ergebenden Verpflichtung.
B.4.2. Aus Artikel 4 Absatz 3 des Erlasses des Regenten vom 23. August 1948 geht hervor, dass eine Person, die die Nichtigerklärung eines Verwaltungsaktes mit individueller Tragweite, der nicht veröffentlicht werden muss und den die Verwaltungsbehörde ihr nicht notifizieren muss, beantragen möchte, grundsätzlich über eine Frist von 60 Tagen ab dem Tag, an dem sie diesen Akt zur Kenntnis genommen hat, verfügt, um eine Nichtigkeitsklage bei der Verwaltungsstreitsachenabteilung des Staatsrates einzureichen.
Diese Bestimmung legt also drei unterschiedliche Ausgangspunkte für die Frist einer Nichtigkeitsklage vor der Verwaltungsstreitsachenabteilung des Staatsrates fest: die Veröffentlichung, die Notifizierung und die Kenntnisnahme. Diese Begriffe decken einander nicht, und diese verschiedenen Ausgangspunkte sind unabhängig voneinander, so dass sie sich nicht gegenseitig beeinflussen in Bezug auf den Beginn der Klagefrist oder deren Ablauf.
So geht in Bezug auf die Notifizierung und die Kenntnisnahme aus der Rechtsprechung des Staatsrates hervor, dass im Fall einer durch einen Text vorgeschriebenen Notifizierung des angefochtenen individuellen Aktes an den beteiligten Dritten die vorherige Kenntnisnahme dieses Aktes durch diesen Dritten, ungeachtet dessen, ob sie sich aus einer Feststellung der Fakten oder aus einer Mitteilung durch die Verwaltung ergibt, nicht den Beginn der Klagefrist zur Folge hat, die ab der Notifizierung des Aktes läuft. Ebenso urteilt der Staatsrat, dass in Ermangelung einer durch einen Text vorgeschriebenen Notifizierung die Mitteilung eines solchen Aktes nach der Kenntnisnahme dieses Aktes keine Änderung der Frist, innerhalb deren die Nichtigkeitsklage eingereicht werden muss, zur Folge hat.
B.5. Der fragliche Artikel 19 Absatz 2 beschränkt sich darauf, auf Normen zu verweisen, die gegebenenfalls Notifizierungsarten festlegen. Je nach den durch diese verschiedenen Normen auferlegten Öffentlichkeitsregeln findet diese Bestimmung Anwendung oder nicht.
Daraus ist zu schlussfolgern, dass der fragliche Behandlungsunterschied sich nicht aus dem vorerwähnten Artikel 19 Absatz 2 ergibt, sondern aus anderen Normen, im vorliegenden Fall aus dem Dekret vom 8. März 2007 « über den allgemeinen Inspektionsdienst, den Dienst für pädagogische Beratung und Betreuung des von der Französischen Gemeinschaft organisierten Unterrichts, die Büros für pädagogische Beratung und Betreuung des von der Französischen Gemeinschaft subventionierten Unterrichts und über das Statut der Mitglieder des Personals des allgemeinen Inspektionsdienstes und der pädagogischen Berater », das nicht vorsieht, dass der Akt der vorläufigen Anstellung der Inspektoren des Vorschulunterrichts den abgewiesenen Bewerbern notifiziert werden muss.
B.6. Die präjudiziellen Fragen sind verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Hof
erkennt für Recht:
Artikel 19 Absatz 2 der am 12. Januar 1973 koordinierten Gesetze über den Staatsrat verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Verkündet in französischer und niederländischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 23. Juni 2010.
Der Kanzler, Der Vorsitzende,
P.-Y. Dutilleux. M. Melchior.