Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 18 Mai 2017 (België). RG 61/2017

Date :
18-05-2017
Language :
German French Dutch
Size :
8 pages
Section :
Case law
Source :
Justel D-20170518-6
Role number :
61/2017

Summary :

Der Gerichtshof erklärt Artikel 57sexies des Grundlagengesetzes vom 8. Juli 1976 über die öffentlichen Sozialhilfezentren, eingefügt durch Artikel 20 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013, für nichtig.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten J. Spreutels und E. De Groot, und den Richtern L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût, T. Giet und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten J. Spreutels,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

I. Gegenstand der Klage und Verfahren

Mit einer Klageschrift, die dem Gerichtshof mit am 27. Mai 2016 bei der Post aufgegebenem Einschreibebrief zugesandt wurde und am 30. Mai 2016 in der Kanzlei eingegangen ist, erhoben infolge des Entscheids des Gerichtshofes Nr. 133/2015 vom 1. Oktober 2015 (veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 30. November 2015) Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 57sexies des Grundlagengesetzes vom 8. Juli 1976 über die öffentlichen Sozialhilfezentren, eingefügt durch Artikel 20 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013: die VoG « Coordination et initiatives pour et avec les Réfugiés et Etrangers », die VoG « Medimmigrant » und die VoG « Organisatie voor clandestiene arbeidsmigranten », unterstützt und vertreten durch RA P. Robert, in Brüssel zugelassen.

(...)

II. Rechtliche Würdigung

(...)

In Bezug auf die angefochtene Bestimmung

B.1.1. Der angefochtene Artikel 20 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013 fügt in das Grundlagengesetz vom 8. Juli 1976 über die öffentlichen Sozialhilfezentren einen Artikel 57sexies ein, der bestimmt:

« In Abweichung von den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes muss das Zentrum keine Sozialhilfe an Ausländer entrichten, denen der Aufenthalt aufgrund von Artikel 9bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern aufgrund einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte erlaubt ist ».

B.1.2. Artikel 9bis § 1 Absatz 1 des vorerwähnten Gesetzes vom 15. Dezember 1980 bestimmt:

« Unter außergewöhnlichen Umständen und unter der Bedingung, dass ein Ausländer über ein Identitätsdokument verfügt, kann er eine Aufenthaltserlaubnis beim Bürgermeister des Ortes, wo er sich aufhält, beantragen; der Bürgermeister leitet den Antrag an den Minister oder dessen Beauftragten weiter. Wenn der Minister oder sein Beauftragter die Aufenthaltserlaubnis erteilt, wird sie in Belgien ausgestellt ».

B.2.1. Artikel 1 des Grundlagengesetzes vom 8. Juli 1976 bestimmt:

« Jede Person hat ein Anrecht auf Sozialhilfe. Der Zweck dieser Sozialhilfe besteht darin, jedem die Möglichkeit zu bieten, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Es werden öffentliche Sozialhilfezentren geschaffen, die unter den durch vorliegendes Gesetz festgelegten Bedingungen die Aufgabe haben, diese Hilfe zu gewährleisten ».

B.2.2. Artikel 57 § 2 desselben Gesetzes beschränkt das Recht auf Sozialhilfe auf dringende medizinische Hilfe, wenn es sich um Ausländer handelt, die sich illegal im Königreich aufhalten.

Übrigens bestimmt Artikel 57quinquies, der in dieses Gesetz durch Artikel 12 des Gesetzes vom 19. Januar 2012 zur Abänderung der Rechtsvorschriften in Sachen Aufnahme von Asylsuchenden eingefügt wurde:

« In Abweichung von den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes ist das Zentrum nicht verpflichtet, Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Mitgliedern ihrer Familie während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längsten in Artikel 40 § 4 Absatz 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern vorgesehenen Zeitraums Sozialhilfe zu gewähren oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Beihilfen zu gewähren ».

In seinem Entscheid Nr. 95/2014 vom 30. Juni 2014 hat der Gerichtshof diese Bestimmung für nichtig erklärt, insofern sie auf nichtbelgische Bürger der Europäischen Union, die die Erwerbstätigeneigenschaft (als Arbeitnehmer oder Selbständiger) besitzen oder behalten, sowie auf ihre Familienmitglieder, die sich legal auf dem Staatsgebiet aufhalten, Anwendung fand. In demselben Entscheid hat der Gerichtshof dieselbe Bestimmung für nichtig erklärt, insofern sie es den öffentlichen Sozialhilfezentren erlaubte, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihren Familienmitgliedern die dringende medizinische Hilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts zu verweigern.

B.2.3. Bis zum Inkrafttreten der angefochtenen Bestimmung waren somit die einzigen Kategorien von Personen, die das Grundlagengesetz vom 8. Juli 1976 vom Recht auf Sozialhilfe unbeschadet der Gewährung dringender medizinischer Hilfe ausschloss, die sich illegal im Königreich aufhaltenden Ausländer und - für eine beschränkte Zeitspanne - bestimmte europäische Staatsangehörige und deren Familienangehörige.

B.3. Die angefochtene Bestimmung schließt Ausländer, die ein gesetzliches Aufenthaltsrecht in Belgien haben, vom Recht auf Sozialhilfe aus, wenn dieses Aufenthaltsrecht ihnen aufgrund des vorerwähnten Artikels 9bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 gewährt worden ist und wenn diese Gewährung auf dem Umstand beruhte, dass sie Inhaber einer Arbeitserlaubnis B, die es ihnen erlaubt, eine Arbeitsstelle auszuüben, oder einer Berufskarte, die es ihnen erlaubt, einen selbständigen Beruf auszuüben, waren.

B.4.1. Die angefochtene Bestimmung wurde in das Grundlagengesetz vom 8. Juli 1976 eingefügt durch Artikel 20 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013. Durch Artikel 21 desselben Programmgesetzes wurde seinerseits Artikel 3 Nr. 3 des Gesetzes vom 26. Mai 2002 über das Recht auf soziale Eingliederung in dem Sinne abgeändert, dass Bürger der Europäischen Union und ihre Familienmitglieder erst nach den drei ersten Monaten ihres Aufenthalts das Recht auf soziale Eingliederung genießen.

In der Begründung der angefochtenen Bestimmung wird angeführt:

« Die Erlaubnis zu einem Aufenthalt aufgrund von Artikel 9bis, nur wenn diese den Betreffenden aufgrund des Bestehens einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte erteilt wurde, eröffnet nicht das Recht auf Sozialhilfe. Da die Ausübung einer Berufstätigkeit in Belgien die Aufenthaltserlaubnis der Betreffenden auf belgischem Staatsgebiet gerechtfertigt hat, ist es nicht logisch, dass sie das Recht auf Sozialhilfe auf der Grundlage dieser Aufenthaltserlaubnis beanspruchen könnten » (Parl. Dok., Kammer, 2012-2013, DOC 53-2853/001, S. 18).

B.4.2. Bezüglich der Vereinbarkeit der Artikel 20 und 21 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013 mit dem Stillhaltegrundsatz von Artikel 23 der Verfassung hat die Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates bemerkt:

« Durch die Bestimmungen des Entwurfs wird gewissen sehr spezifischen Kategorien das Recht auf Sozialhilfe und auf soziale Eingliederung entzogen, was in gewissen Fällen einem erheblichen Rückschritt gleichkommen könnte. Das implizite Ziel der geplanten Regelungen scheint jedoch darin zu bestehen, dieses Recht den Personen zu entziehen, die sich im Staatsgebiet aufhalten mit einem Ziel, das im Widerspruch zur Ausübung dieser Rechte steht, oder mit anderen Worten, den Missbrauch des Rechtes auf Sozialhilfe und auf soziale Eingliederung zu bekämpfen. Aus dem Entscheid Nr. 135/2011 des Verfassungsgerichtshofes geht hervor, dass dies als ein legitimes Ziel erachtet werden kann. Außerdem scheint die geplante Regelung nicht unverhältnismäßig zu sein, denn sie ist in Bezug auf das Recht auf Sozialhilfe der EU-Bürger zeitlich begrenzt, nämlich auf die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, und es kann ebenfalls hinsichtlich des Rechtes auf soziale Eingliederung angenommen werden, dass die betreffende Person arbeitet. Selbst wenn der Rückschritt für gewisse Personen dieser Kategorien in concreto erheblich sein kann, scheinen die geplanten Bestimmungen durch (zwingende) Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden zu können » (ebenda, S. 66).

B.4.3. Während der Vorarbeiten wurde angemerkt, dass « die Betreffenden während ihres zeitlich begrenzten Aufenthalts folglich keinen Zugang zu den ÖSHZen haben werden » (ebenda, DOC 53-2853/011, S. 4).

Die zuständige Staatssekretärin erklärte:

« Die Regelung richtet sich an die Personen, denen ein zeitweiliger Aufenthalt in Verbindung mit der Berufskarte B gewährt wird. Es handelt sich keineswegs um Personen, die ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht genießen.

Es wird ohnehin außerdem zunehmend in die Querverbindung der Datenbanken investiert, sowohl beim Ausländeramt als auch beim FÖD Sozialeingliederung. Für den Letzteren hat die Staatssekretärin neun zusätzliche Datenströme einrichten lassen, um gerade die Kopplung der Daten zu ermöglichen. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass es sich nicht nur um eine Kopplung handelt. Die Dienststellen sind auch mit ausreichend Personal auszustatten, um daraus die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen zu können und die Folgemaßnahmen zu gewährleisten, und indem gegebenenfalls das Aufenthaltsrecht geändert wird. Es sind also nicht nur Mittel für die neuen Datenströme, sondern auch für das Personal, das diese auslegt und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus zieht, vorzusehen.

[...]

[Eine] Extrapolation der Daten von 2012 für 2013 ergibt einen Betrag von 600 000 Euro für Artikel 20 des Entwurfs, und 1,2 Millionen Euro für Artikel 21 » (ebenda, SS. 7-9).

Während der Erörterung im Senatsausschuss hat die Staatssekretärin die positiven Auswirkungen der Maßnahme auf den Haushalt bestätigt:

« Angesichts des Haushaltskontextes wurde die Staatssekretärin durch die Regierung beauftragt, 5 Millionen Euro für den Zugang zu den ÖSHZen zu finden. Dies ist eine äußerst heikle Aufgabe, denn die ÖSHZen sind das letzte Auffangnetz » (Parl. Dok., Senat, 2012-2013, Nr. 5-2169/4, S. 3).

Bezüglich der von der Maßnahme betreffenden Ausländer hat sie präzisiert:

« Man kann davon ausgehen, dass die Betreffenden während ihres begrenzten Aufenthalts arbeitsfähig sind.

Daher haben sie keinen Zugang zum ÖSHZ während ihres begrenzten Aufenthalts. Selbstverständlich werden Abweichungen möglich sein. Wenn eine Person, die arbeitet, krank wird, muss sie nicht sofort unser Gebiet verlassen » (ebenda).

B.4.4. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Frage hat die Staatssekretärin außerdem erklärt, dass « die Maßnahme im Rahmen der allgemeinen Bekämpfung von Sozialbetrug zu betrachten ist »:

« Personen, die im Rahmen ihres Antrags auf Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von Artikel 9bis des Ausländergesetzes eine Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsvertrags oder auf selbstständiger Basis nachweisen, können sich im Anschluss an die Einführung des genannten Artikels nicht mehr an das ÖSHZ wenden ab dem Tag nach demjenigen, an dem sie die Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben, um eine finanzielle Unterstützung zu beantragen.

[...]

In den letzten Jahren sind bereits Mechanismen eingeführt worden für verschiedene andere Gruppen von Ausländern, um zu prüfen, ob die von den betreffenden Personen angeführten Gründe für den Zugang zu unserem Staatsgebiet der Realität entsprechen. Die Einführung von Artikel 57sexies ermöglicht es, ebenfalls eine solche Maßnahme für die Personen vorzusehen, denen der Aufenthalt aufgrund von Artikel 9bis des Ausländergesetzes wegen einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte erlaubt wird » (Senat, 2012-2013, schriftliche Frage Nr. 5-9739 vom 24. Juli 2013).

B.5.1. In seinem Entscheid Nr. 131/2015 vom 1. Oktober 2015 hat der Gerichtshof die angefochtene Bestimmung für nichtig erklärt, « insofern [sie] es den öffentlichen Sozialhilfezentren erlaubt, den Ausländern, denen ein Aufenthalt für begrenzte Dauer aufgrund von Artikel 9bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 ' über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern ' wegen einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte erlaubt ist, die dringende medizinische Hilfe zu verweigern ».

B.5.2. In seinem auf eine Vorabentscheidungsfrage hin ergangenen Entscheid, der am selben Tag verkündet wurde wie der Entscheid Nr. 131/2015, hat der Gerichtshof für Recht erkannt:

« Artikel 57sexies des Grundlagengesetzes vom 8. Juli 1976 über die öffentlichen Sozialhilfezentren, eingefügt durch Artikel 20 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013, verstößt gegen Artikel 23 der Verfassung ».

Dieser Entscheid wurde im Belgischen Staatsblatt vom 30. November 2015 veröffentlicht.

In Bezug auf die Zulässigkeit

B.6. Im Anschluss an den Entscheid Nr. 133/2015 vom 1. Oktober 2015 wurde die Nichtigkeitsklage aufgrund von Artikel 4 Absatz 2 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof erhoben, der bestimmt:

« Eine neue Frist von sechs Monaten für die Einreichung einer Klage auf Nichtigerklärung eines Gesetzes, eines Dekrets oder einer in Artikel 134 der Verfassung erwähnten Regel wird dem Ministerrat, der Regierung einer Gemeinschaft oder einer Region, den Präsidenten der gesetzgebenden Versammlungen auf Antrag von zwei Dritteln ihrer Mitglieder oder jeglicher natürlichen oder juristischen Person, die ein Interesse nachweist, gewährt, wenn der Verfassungsgerichtshof auf eine Vorabentscheidungsfrage hin erklärt hat, dass dieses Gesetz, dieses Dekret oder diese in Artikel 134 der Verfassung erwähnte Regel gegen eine in Artikel 1 erwähnte Regel oder gegen einen in Artikel 1 erwähnten Verfassungsartikel verstößt. Die Frist läuft ab dem Tag nach dem Datum der Veröffentlichung des Entscheids im Belgischen Staatsblatt ».

Die Klage ist zulässig, insofern sie aufgrund dieser Bestimmung erhoben worden ist.

B.7.1. Der Ministerrat macht die Unzulässigkeit der Klage geltend, insofern die klagenden Parteien der Klageschrift keine Abschrift der satzungsgemäß gefassten Klageerhebungsbeschlüsse der VoGs beigelegt hätten.

Artikel 7 Absatz 3 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof bestimmt, dass der Nachweis für den vom zuständigen Organ der juristischen Person gefassten Beschluss, gerichtlich vorzugehen, « auf erstes Verlangen » beigebracht werden muss. Diese Formulierung erlaubt es dem Gerichtshof, wie er in seinem Entscheid Nr. 120/2014 vom 17. September 2014 geurteilt hat, von einem solchen Verlangen abzusehen, insbesondere, wenn die juristische Person - wie im vorliegenden Fall - durch einen Rechtsanwalt vertreten wird.

Diese Auslegung verhindert nicht, dass eine Partei berechtigt ist, geltend zu machen, dass der Beschluss, gerichtlich vorzugehen, nicht durch die zuständigen Organe der juristischen Person gefasst wurde, aber sie muss ihren Einwand plausibel machen, was mit allen rechtlichen Mitteln geschehen kann. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu.

B.7.2. Die Klage ist zulässig.

In Bezug auf den einzigen Klagegrund

B.8. Der einzige Klagegrund ist abgeleitet aus einem Verstoß gegen Artikel 23 der Verfassung, an sich oder in Verbindung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, sowie mit den Artikeln 2 Absatz 1, 11 Absatz 1 und 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und mit Artikel 13 der Europäischen Sozialcharta.

Die klagenden Parteien bringen vor, dass die angefochtene Bestimmung dadurch, dass sie den Ausländern, denen der Aufenthalt aufgrund von Artikel 9bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 aufgrund einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte erlaubt sei, das Recht auf Sozialhilfe versage, einen Rückschritt in den sozialen Rechten einer Kategorie von Ausländern bedeute, der nicht durch eine Zielsetzung des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden könne. Die klagenden Parteien ersuchen den Gerichtshof, die angefochtene Bestimmung ohne weiteres für nichtig zu erklären, und zwar aus den Gründen, die den Gerichtshof dazu veranlasst hätten, im Entscheid Nr. 133/2015 ihre Verfassungswidrigkeit festzustellen.

B.9.1. Artikel 23 der Verfassung bestimmt, dass jeder das Recht hat, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Zu diesem Zweck gewährleisten die verschiedenen Gesetzgeber unter Berücksichtigung der entsprechenden Verpflichtungen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und bestimmen sie die Bedingungen für ihre Ausübung. Diese Rechte umfassen insbesondere das Recht auf sozialen Beistand. In Artikel 23 der Verfassung ist nicht präzisiert, was diese Rechte beinhalten, die lediglich als Grundsatz festgehalten werden, wobei es dem jeweiligen Gesetzgeber obliegt, sie gemäß Absatz 2 dieses Artikels, unter Berücksichtigung der entsprechenden Verpflichtungen zu gewährleisten.

B.9.2. Aus den Vorarbeiten zu Artikel 23 geht hervor, dass der Verfassungsgeber mit der Gewährleistung des Rechts auf sozialen Beistand das im Grundlagengesetz über die öffentlichen Sozialhilfezentren gewährleistete Recht ins Auge gefasst hat (Parl. Dok., Senat, Sondersitzungsperiode 1991-1992, Nr. 100-2/4°, SS. 99 und 100). In dieser Angelegenheit enthält Artikel 23 eine Stillhalteverpflichtung, die es dem zuständigen Gesetzgeber verbietet, das Schutzmaß erheblich zu verringern, ohne dass es hierfür Gründe des Allgemeininteresses gibt.

B.10.1. Indem eine Kategorie von Ausländern, die sich legal im Staatsgebiet aufhalten, vom Recht auf Sozialhilfe ausgeschlossen wird, wird durch Artikel 57sexies des Gesetzes vom 8. Juli 1976 das diesbezügliche Schutzniveau der zu dieser Kategorie von Ausländern gehörenden Personen erheblich verringert. Um vereinbar zu sein mit Artikel 23 der Verfassung, muss diese erhebliche Verringerung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.

B.10.2. Aus den in B.4.1 bis B.4.4 zitierten Vorarbeiten geht hervor, dass die angefochtene Bestimmung einerseits durch die spezifische Begründung der Gewährung der Aufenthaltsgenehmigung an die betroffenen Ausländer und andererseits durch die Notwendigkeit, Betrug im Sozialbereich sowie hinsichtlich des Zugangs zum Aufenthaltsrecht zu bekämpfen, gerechtfertigt wurde. Aus den Erklärungen der zuständigen Staatssekretärin geht außerdem hervor, dass der Gesetzgeber durch die Annahme der angefochtenen Bestimmung auch ein Haushaltsziel verfolgte.

B.11.1. Gemäß dem in B.2.1 zitierten Artikel 1 des Grundlagengesetzes vom 8. Juli 1976 ist die Sozialhilfe eine Hilfe, die Personen gewährt wird, denen es ohne diese Hilfe unmöglich wäre, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie wird erst gewährt, nachdem das zuständige öffentliche Sozialhilfezentrum die Bedürftigkeit des Antragstellers durch eine Sozialuntersuchung festgestellt hat, « die mit einer genauen Diagnose über das Bestehen und den Umfang der Hilfsbedürftigkeit abgeschlossen wird und in der die geeignetsten Mittel vorgeschlagen werden, um dieser Bedürftigkeit entgegenzuwirken » (Artikel 60 § 1 desselben Gesetzes). Gegebenenfalls leistet das Zentrum Unterstützung bei der Suche nach einer Arbeitsstelle. Wenn die Bedürftigkeit nicht erwiesen ist, muss das Zentrum nicht eingreifen.

B.11.2. Die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte unterliegt mehreren strikten Bedingungen.

Gemäß den Artikeln 4 ff. des Gesetzes vom 30. April 1999 über die Beschäftigung ausländischer Arbeitsnehmer muss der Ausländer grundsätzlich bereits eine Arbeitserlaubnis B besitzen, bevor er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann. Eine Berufskarte kann durch einen Ausländer, der sich bereits legal auf dem Staatsgebiet aufhält, beantragt werden, doch wenn dies nicht der Fall ist, muss sie von dem Herkunftsland oder dem Land des legalen Aufenthalts aus beantragt werden.

Wenn ein Ausländer - wie in dem in der angefochtenen Bestimmung erwähnten Fall - eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Artikel 9bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 wegen einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte erhält und der Antrag auf eine Arbeitserlaubnis oder auf eine Berufskarte folglich gestellt wird, nachdem er bereits ins Land eingereist ist, wird ihm also eine Ausnahme zu diesen Bedingungen gewährt, die grundsätzlich für alle Ausländer gelten. Die Erlangung dieses Aufenthaltsrechts unterliegt dem Vorliegen außerordentlicher Umstände, die durch das Ausländeramt restriktiv beurteilt werden.

B.11.3. Eine Arbeitserlaubnis B wird einem Ausländer für eine gegebenenfalls verlängerbare Höchstdauer von zwölf Monaten gewährt und ist auf die Beschäftigung bei einem einzigen Arbeitgeber begrenzt (Artikel 3 des königlichen Erlasses vom 9. Juni 1999 zur Ausführung des Gesetzes vom 30. April 1999 über die Beschäftigung ausländischer Arbeitsnehmer). Außerdem ist in Artikel 34 Nr. 6 desselben königlichen Erlasses vorgesehen, dass die Arbeitserlaubnis und die Berufskarte verweigert werden, « wenn sie eine Stelle betreffen, bei der das Einkommen aus der Beschäftigung es dem Arbeitnehmer nicht erlaubt, für seinen Unterhalt oder den seiner Familie zu sorgen ».

Ein Antrag auf Erhalt einer Berufskarte im Hinblick auf die Ausübung einer Tätigkeit als Selbstständiger muss durch die Vorlage eines Dokumentes begründet werden, mit dem nachgewiesen wird, dass die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt sind (Artikel 6 § 2 des königlichen Erlasses vom 2. August 1985 zur Ausführung des Gesetzes vom 19. Februar 1965 über die Ausübung seitens Ausländer von Berufstätigkeiten als Selbstständige). Bei der Prüfung des Antrags berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere den wirtschaftlichen Nutzen der vorgeschlagenen Tätigkeit, das heißt die Deckung eines wirtschaftlichen Bedarfs, die Schaffung von Arbeitsplätzen, sachdienliche Investitionen, wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unternehmen in Belgien, die Förderung des Exports und innovierender Tätigkeiten oder eine Spezialisierung. Die Nichteinhaltung der mit der Ausstellung der Berufskarte verbundenen Bedingungen kann durch den Rat für Wirtschaftliche Untersuchung in Sachen Ausländer sanktioniert werden und wird auch durch strafrechtliche Sanktionen geahndet (Artikel 7 bis 14 des Gesetzes vom 19. Februar 1965).

B.11.4. Aus dem Vorstehenden geht hervor, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Besitzes einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte zeitweilig, auf sehr strikte Weise geregelt und untrennbar mit der Ausübung einer Berufstätigkeit verbunden ist, wobei die Behörde darauf achtet, dass die Betreffenden über ausreichende Mittel verfügen, um für sich selbst während der begrenzten Dauer ihres Aufenthalts in Belgien aufzukommen. Es kann somit vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass die große Mehrheit der Ausländer, die ein zeitweiliges Aufenthaltsrecht aufgrund einer Arbeitserlaubnis oder einer Berufskarte erhalten haben, über ausreichend Einkünfte verfügen, um sie gegen Bedürftigkeit zu schützen, so dass sie in der Regel nicht die Bedingungen für den Zugang zum Recht auf Sozialhilfe erfüllen.

B.12.1. Der Gesetzgeber kann sich rechtmäßig darum bemühen, Betrug bei der Sozialhilfe zu verhindern, um die dafür gewährten und per definitionem begrenzten Mittel den Personen vorzubehalten, die sie wirklich benötigen. Es liegt in seiner Verantwortung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Personen, die sich legal im Staatsgebiet aufhalten, Sozialhilfe zu Lasten der Gemeinschaft erhalten, obwohl sie sich nicht in einer Lage der Bedürftigkeit befinden, die es ihnen nicht ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

B.12.2. Die Sozialuntersuchung, die durch das öffentliche Sozialhilfezentrum bezüglich des Antragstellers durchgeführt wird, muss dazu führen, dass es die Hilfe verweigert, wenn dieser nicht die Bedingungen erfüllt, um sie erhalten zu können. In dieser Hinsicht muss das öffentliche Sozialhilfezentrum, wenn es sich um einen Antragsteller handelt, der die Erlaubnis besitzt, in Belgien zu arbeiten, und der sein Recht, sich hier aufzuhalten, auf der Grundlage des Umstandes erhalten hat, dass er hier eine Berufstätigkeit ausübte, besonders auf die Gründe achten, aus denen der Antragsteller um Sozialhilfe bittet, und insbesondere auf die Gründe, aus denen seine aktuelle oder frühere Berufstätigkeit es ihm nicht oder nicht mehr ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Das öffentliche Sozialhilfezentrum besitzt ausreichende Argumente, um von Fall zu Fall das Recht auf Sozialhilfe jemandem zu verweigern, der versucht, das System zu missbrauchen.

B.12.3. Im Übrigen kann dem Betrug in Bezug auf den Zugang zum Aufenthaltsrecht auch abgeholfen werden durch den Entzug der Aufenthaltserlaubnis von Ausländern, die nicht oder nicht mehr die Bedingungen dafür erfüllen. So wurde während der Erörterung des Entwurfs des Programmgesetzes im Kammerausschuss für Inneres, Allgemeine Angelegenheiten und Öffentliches Amt hervorgehoben, dass « zahlreiche Fortschritte erzielt wurden durch die Verbindung der Datenbanken des Ausländeramtes und des ÖPD Sozialeingliederung » mit anderen Datenbanken (Parl. Dok., Kammer, 2012-2013, DOC 53-2853/011, SS. 6-7). Wenn ein Ausländer, dem vorläufig der Aufenthalt erlaubt wird wegen der Ausübung einer Berufstätigkeit, Sozialhilfe beansprucht, wird seine Aufenthaltserlaubnis möglicherweise nicht verlängert.

Außerdem bestimmt Artikel 13 § 3 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980:

« Der Minister oder sein Beauftragter kann in einem der folgenden Fälle einen Ausländer, dem der Aufenthalt im Königreich für begrenzte Dauer erlaubt ist, die entweder durch vorliegendes Gesetz oder wegen besonderer Umstände, die dem Betreffenden eigen sind, festgelegt ist oder mit Art oder Dauer seiner Tätigkeiten in Belgien in Zusammenhang steht, anweisen das Staatsgebiet zu verlassen:

1. wenn er seinen Aufenthalt im Königreich über diese begrenzte Dauer hinaus verlängert,

2. wenn er die an seinen Aufenthalt gestellten Bedingungen nicht mehr erfüllt,

3. wenn er falsche oder irreführende Informationen oder falsche oder gefälschte Dokumente verwendet, einen Betrug begangen oder andere illegale Mittel in Anspruch genommen hat, die für den Erhalt der Aufenthaltserlaubnis von entscheidender Bedeutung gewesen sind ».

Daraus ergibt sich, dass es möglich ist, den zeitweiligen Aufenthalt eines Ausländers zu beenden, der gegebenenfalls missbräuchlich die Ausübung einer Berufstätigkeit geltend gemacht hätte, um seine Erlaubnis zum Aufenthalt auf dem Staatsgebiet zu erhalten, oder der nicht mehr die mit seinem Aufenthalt verbundenen Bedingungen erfüllen würde.

B.12.4. Auch wenn das rechtmäßige Ziel der Betrugsbekämpfung gewisse Maßnahmen rechtfertigen kann, darunter die Verweigerung der Sozialhilfe für Ausländer, bei denen man nachweisen kann, dass sie versuchen, sie zu Unrecht zu erhalten, oder die Beendigung des Aufenthaltsrechts für Ausländer, die es auf widerrechtliche Weise erlangt haben, kann dieses Ziel es nicht rechtfertigen, dass eine abstrakt definierte Kategorie von Ausländern, die sich legal im Staatsgebiet aufhält, vom Recht auf Inanspruchnahme der Sozialhilfe in einer durch das ÖSHZ kontrollierten Lage der Bedürftigkeit, und folglich vom Recht, ein menschenwürdiges Leben zu führen, ausgeschlossen wird. Die angefochtene Maßnahme ist unverhältnismäßig gegenüber den angestrebten Zielen.

B.13.1. Aus dem Vorstehenden geht hervor, dass der erhebliche Rückschritt durch die angefochtene Bestimmung im Recht auf Sozialhilfe, das durch Artikel 23 der Verfassung gewährleistet wird, in Bezug auf Ausländer, denen der legale Aufenthalt im Staatsgebiet auf der Grundlage von Artikel 9bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 « über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern » erlaubt ist wegen einer Arbeitserlaubnis B oder einer Berufskarte, nicht durch irgendeinen Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.

B.13.2. Die teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmung durch den in B.1 erwähnten Entscheid Nr. 131/2015 kann nicht zu einer anderen Schlussfolgerung führen.

B.14. Der einzige Klagegrund ist begründet.

Aus diesen Gründen:

Der Gerichtshof

erklärt Artikel 57sexies des Grundlagengesetzes vom 8. Juli 1976 über die öffentlichen Sozialhilfezentren, eingefügt durch Artikel 20 des Programmgesetzes vom 28. Juni 2013, für nichtig.

Erlassen in französischer, niederländischer und deutscher Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 18. Mai 2017.

Der Kanzler,

P.-Y. Dutilleux

Der Präsident,

J. Spreutels