Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 19 Februar 2015 (België). RG 21/2015
Summary :
Der Gerichtshof erkennt für Recht: Die Vorabentscheidungsfrage bedarf keiner Antwort.
Arrêt :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten A. Alen und J. Spreutels, und den Richtern E. De Groot, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût und T. Giet, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten A. Alen,
erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren
In seinem Urteil vom 16. Januar 2014 in Sachen des Landesbundes der neutralen Krankenkassen gegen Leo Liefferinckx, dessen Ausfertigung am 23. Januar 2014 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Arbeitsgericht Oudenaarde folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:
« Verstoßen die Artikel 100 und 101 des am 14. Juli 1994 koordinierten Gesetzes über die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem nach Ablauf der Frist für eine (neue) Meldung der Arbeitsunfähigkeit die Rückforderung der Arbeitsunfähigkeitsentschädigungen im Falle einer teilzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit auf die Tage oder den Zeitraum der nicht erlaubten Arbeit beschränkt wird, während eine solche Beschränkung bei einer vollzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit fehlt? ».
(...)
III. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1. Befragt wird der Gerichtshof zu den Artikeln 100 und 101 des am 14. Juli 1994 koordinierten Gesetzes über die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung (nachstehend: KIV-Gesetz), die in der auf die Streitsache vor dem vorlegenden Richter anwendbaren Fassung bestimmen:
« Art. 100. § 1. Als arbeitsunfähig anerkannt im Sinne des vorliegenden koordinierten Gesetzes wird der Arbeitnehmer, der jede Tätigkeit eingestellt hat als direkte Folge des Auftretens oder der Verschlimmerung von Schäden oder funktionellen Störungen, für die anerkannt ist, dass sie eine Verringerung seiner Erwerbsfähigkeit auf ein Drittel oder weniger dessen bewirken, was eine Person in derselben Position mit derselben Ausbildung durch ihre Arbeit verdienen kann in der Berufskategorie, zu der die Berufstätigkeit gehört, die der Betreffende zum Zeitpunkt des Auftretens der Arbeitsunfähigkeit ausübte, oder in den verschiedenen Berufen, die er aufgrund seiner Berufsausbildung ausgeübt hat beziehungsweise hätte ausüben können.
[...]
Wird der Arbeitnehmer in einer von dem für die Volksgesundheit zuständigen Minister zugelassenen Pflegeanstalt oder in einem Militärkrankenhaus aufgenommen, wird davon ausgegangen, dass er den erforderlichen Arbeitsunfähigkeitsgrad erreicht hat.
Der König kann auf Vorschlag des Geschäftsführenden Ausschusses des Dienstes für Entschädigungen die Bedingungen ausdehnen, unter denen davon ausgegangen wird, dass ein Arbeitnehmer den erforderlichen Arbeitsunfähigkeitsgrad erreicht hat.
Der König kann auf Vorschlag des Geschäftsführenden Ausschusses des Dienstes für Entschädigungen und in Abweichung von den vorhergehenden Bestimmungen Sonderbedingungen und spezifische Taxierungskriterien für Arbeitnehmerkategorien festlegen, die Er bestimmt.
§ 2. Als arbeitsunfähig anerkannt wird der Arbeitnehmer, der eine vorher erlaubte Arbeit unter Bedingungen wieder aufnimmt, die in der in Artikel 80 Nr. 5 erwähnten Verordnung festgelegt werden, vorausgesetzt, dass in medizinischer Hinsicht eine Verringerung seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 Prozent bestehen bleibt.
[...] ».
« Art. 101. § 1. Der als arbeitsunfähig anerkannte Berechtigte, der eine Arbeit verrichtet hat, ohne die in Artikel 100 § 2 erwähnte vorherige Erlaubnis oder ohne die Bedingungen der Erlaubnis einzuhalten, muss sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, um prüfen zu lassen, ob die Bedingungen für die Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit am Tag der Untersuchung erfüllt sind. Der König bestimmt die Frist, innerhalb deren diese Untersuchung vorgenommen werden muss, ab Feststellung der nicht erlaubten Tätigkeit oder deren Mitteilung.
Bei einem negativen Beschluss wird dem Berechtigten innerhalb der vom König festgelegten Frist ein Beschluss über die Beendigung der Anerkennung notifiziert.
§ 2. Der in § 1 erwähnte Berechtigte muss die Arbeitsunfähigkeitsentschädigungen zurückzahlen, die er erhalten hat für die Tage, während deren oder für den Zeitraum, während dessen er die nicht erlaubte Arbeit verrichtet hat.
Außer bei betrügerischer Absicht kann der Geschäftsführende Ausschuss des Dienstes für Entschädigungen in interessewürdigen Fällen ganz oder teilweise auf die in Absatz 1 vorgesehene Rückforderung verzichten.
Dieser Beschluss berücksichtigt die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Umfang der Rückforderung einerseits und der Art oder der Schwere des Verstoßes des Berechtigten gegen seine Verpflichtungen andererseits.
In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Ausschuss insbesondere:
1. die soziale und finanzielle Situation des Berechtigten sowie alle anderen relevanten persönlichen Gegebenheiten;
2. den Umstand, dass die unerlaubten Tätigkeiten der sozialen Sicherheit unterworfen sind oder nicht;
3. den Umfang der vorerwähnten Tätigkeiten und die Höhe der betreffenden Einkünfte.
§ 3. Die Tage, für die oder der Zeitraum, für den die Entschädigungen zurückgefordert werden, werden mit Tagen gleichgesetzt, für die eine Entschädigung bewilligt worden ist, was die Festlegung des Anrechts des Berechtigten und der Personen zu seinen Lasten auf Leistungen der sozialen Sicherheit betrifft ».
B.2. Der vorlegende Richter möchte vom Gerichtshof erfahren, ob die Artikel 100 und 101 des KIV-Gesetzes mit dem Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung vereinbar seien, insofern « die Rückforderung der Arbeitsunfähigkeitsentschädigungen im Falle einer teilzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit auf die Tage oder den Zeitraum der nicht erlaubten Arbeit beschränkt wird, während eine solche Beschränkung bei einer vollzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit fehlt ».
B.3. Die Streitsache vor dem vorlegenden Richter bezieht sich auf die Rückforderung - in Anwendung von Artikel 101 des KIV-Gesetzes - von zu Unrecht ausgezahlten Arbeitsunfallentschädigungen.
Es handelt sich um einen Arbeitnehmer, der halbzeitig beschäftigt war, aber für vollständig arbeitsunfähig erklärt wurde. Während seiner Arbeitsunfähigkeit erhielt er Arbeitsunfallentschädigungen, und anschließend hat er die Arbeit ohne die Erlaubnis des Vertrauensarztes wieder vollzeitig aufgenommen.
B.4. Artikel 100 des KIV-Gesetzes rührt aus dem Gesetz vom 9. August 1963 zur Einführung und Regelung der Kranken- und Invalidenpflichtversicherung her.
Aus den Vorarbeiten zu diesem Gesetz geht hervor, dass der Gesetzgeber eine Entschädigung für Arbeitsunfähigkeit einführen wollte, weil diese die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers verringert. Im Übrigen wurde bezüglich der Möglichkeit der Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit hervorgehoben:
« Wenn es einem Arbeitnehmers gestattet ist, sich während der Dauer der Entschädigung ein Berufseinkommen zu verschaffen, ist es gerecht, nicht mehr in der Gesamtheit des durch die Artikel 46, 50 und 53 festgelegten Maßes die Entlohnung zu ersetzen, die er vor seiner Arbeitsunfähigkeit erhielt, da diese Entlohnung dann teilweise durch das betreffende Berufseinkommen ersetzt wird » (Parl. Dok., Kammer, 1962-1963, Nr. 527/1, S. 23).
Der Gesetzgeber war ebenfalls bemüht, die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen und zu vermeiden, dass sie Gefahr laufen, ihren Gesundheitszustand zu verschlimmern, und dies rechtfertigt es, dass die Wiederaufnahme der Arbeit dem vorherigen Erhalt der Erlaubnis des Vertrauensarztes unterliegt.
B.5.1. Die in Artikel 100 des KIV-Gesetzes erwähnte Entschädigung dient dazu, den Verlust der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers auszugleichen.
In Artikel 100 § 1 des KIV-Gesetzes sind dazu drei Bedingungen festgelegt, um eine solche Entschädigung zu erhalten. Der Arbeitnehmer muss jede Tätigkeit eingestellt haben, diese Einstellung muss die direkte Folge des Auftretens oder der Verschlimmerung von Schäden und funktionellen Störungen sein, und Letztere müssen eine Verringerung seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens zwei Drittel zur Folge haben.
Die Verringerung seiner Erwerbsfähigkeit kann nicht dem konkreten Entlohnungsverlust, den der Betroffene infolge der Einstellung seiner Tätigkeit erleidet, gleichgestellt werden. Diese Verringerung muss nämlich bei der Prüfung der Lage des Betroffenen hinsichtlich eines Referenzberufes erwiesen sein, insbesondere unter Berücksichtigung seiner « Position » und « Ausbildung » sowie seines Berufes oder der verschiedenen Berufe, die er entsprechend seiner Berufsausbildung hätte ausüben können.
B.5.2. Artikel 100 § 2 des KIV-Gesetzes stellt eine Milderung des aus Paragraph 1 dieses Artikels abgeleiteten Verbots dar, gleichzeitig eine Berufstätigkeit auszuüben und eine Entschädigung wegen Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Ein Arbeitnehmer kann nämlich wieder eine Berufstätigkeit aufnehmen, nachdem er sie vollständig eingestellt hatte, und gleichzeitig den Vorteil der Beteiligung der Kranken- und Invalidenversicherung behalten, sofern der Vertrauensarzt sich vorher damit einverstanden erklärt hat und der Arbeitnehmer in medizinischer Hinsicht weiterhin unter einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent leidet.
B.6. Artikel 101 § 1 des KIV-Gesetzes sieht vor, dass derjenige, der, nachdem er für arbeitsunfähig erklärt worden ist, die Arbeit wieder aufnimmt, ohne die in Artikel 100 § 2 Erlaubnis erhalten zu haben oder ohne die Bedingungen der Erlaubnis einzuhalten, sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen muss, um prüfen zu lassen, ob die Bedingungen für die Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit am Tag der Untersuchung erfüllt sind.
Aufgrund von Artikel 101 § 2 des KIV-Gesetzes muss der Berechtigte die Arbeitsunfähigkeitsentschädigungen zurückzahlen, die er erhalten hat « für die Tage, während deren oder für den Zeitraum, während dessen er die nicht erlaubte Arbeit verrichtet hat ».
B.7. Nach Auffassung des vorlegenden Richters würden die fraglichen Bestimmungen eine Diskriminierung zwischen den Arbeitnehmern, die die Arbeit teilzeitig wieder aufnähmen, und denjenigen, die die Arbeit vollzeitig wieder aufnähmen, einführen in Bezug auf die zu Unrecht ausgezahlten Arbeitsunfallentschädigungen. Während diese Rückforderung bei einer teilzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit auf die Tage oder den Zeitraum der nicht erlaubten Arbeit begrenzt werde, gebe es eine solche Begrenzung nicht im Falle einer vollzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit.
B.8. Es obliegt in der Regel dem vorlegenden Richter, die Bestimmungen, die er anwendet, auszulegen, vorbehaltlich einer offensichtlich falschen Lesart der fraglichen Bestimmungen.
B.9. Wie der Ministerrat in seinem Schriftsatz bemerkt, wird in Artikel 101, insofern er sich auf die als arbeitsunfähig anerkannten Bezugsberechtigten bezieht, die Arbeitsleistungen erbracht haben ohne die vorherige Erlaubnis des Vertrauensarztes, nicht danach unterschieden, ob der Arbeitnehmer die Arbeit vollzeitig oder teilzeitig wieder aufgenommen hat.
B.10. Da die Vorabentscheidungsfrage auf einer offensichtlich falschen Lesart der fraglichen Bestimmungen beruht, bedarf sie keiner Antwort.
Aus diesen Gründen:
Der Gerichtshof
erkennt für Recht:
Die Vorabentscheidungsfrage bedarf keiner Antwort.
Erlassen in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 19. Februar 2015.
Der Kanzler,
(gez.) F. Meersschaut
Der Präsident,
(gez.) A. Alen