Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 28 April 2016 (België). RG 59/2016
Summary :
Der Gerichtshof erkennt für Recht: Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit in Verbindung mit Artikel 239 § 3 Absatz 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 verstößt gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, insofern diese Bestimmung es unmöglich macht, dass die Alterspension der geschiedenen Ehepartnerin eines Versicherten, der am 31. Dezember 2006 mindestens zwanzig Jahre lang an der Versicherung im System der überseeischen sozialen Sicherheit teilgenommen hat, wenn die Ehescheidung vor dem 1. Januar 2007 erfolgt ist, mit dem Alter von 55 Jahren beginnt.
Arrêt :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten E. De Groot und J. Spreutels, und den Richtern A. Alen, T. MerckxVan Goey, P. Nihoul, T. Giet und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten E. De Groot,
erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren
In seinem Entscheid vom 4. Februar 2015 in Sachen Marianne Paelinck gegen das Amt für die Sonderregelungen der sozialen Sicherheit, dessen Ausfertigung am 12. Februar 2015 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Arbeitsgerichtshof Antwerpen folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:
« Verstößt Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 14 dieser Konvention, insofern bei der Abänderung dieses Artikels durch Artikel 223 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen, wodurch die Altersbedingung von 55 auf 65 Jahre erhöht wurde, keine Übergangsregelung vorgesehen wurde für die geschiedene Ehepartnerin, die nie beim Amt für überseeische soziale Sicherheit angeschlossen war, aber vorher wohl mit einem Versicherten verheiratet war, der vor dem 1. Januar 2007 angeschlossen war und zwanzig Jahre lang an der Versicherung teilgenommen hat, während der Versicherte, für den die Altersbedingung durch Artikel 215 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen von 55 auf 65 Jahre erhöht wurde, der sich aber vor dem 1. Januar 2007 angeschlossen hat und bereits zwanzig Jahre lang an der Versicherung teilgenommen hat, wohl in den Genuss einer Übergangsregelung gelangen kann? ».
(...)
III. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1.1. Die Vorabentscheidungsfrage bezieht sich auf Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit, eingefügt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 20. Juli 1990 zur Festlegung sozialer Bestimmungen und abgeändert durch Artikel 142 des Programmgesetzes vom 9. Juli 2004 und durch Artikel 223 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen, der bestimmt:
« § 1. Zu Lasten des Solidaritäts- und Ausgleichsfonds wird dem geschiedenen Ehepartner eines Versicherten, der an der durch dieses Gesetz eingerichteten Versicherung teilgenommen hat, eine Alterspension gewährt, sofern ihm nicht die elterliche Autorität entzogen wurde oder er nicht verurteilt wurde, weil er der Person, mit der er verheiratet war, nach dem Leben getrachtet hat. Die betreffende Alterspension wird nicht während der Dauer einer neuen Ehe ausgezahlt.
Der Anspruch auf diese Pension wird gewährt:
1. den Bürgern eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums und den Bürgern eines Nicht-Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums, die in Anwendung der europäischen Verordnung 859/2003 Anspruch auf die Bestimmungen der europäischen Verordnungen 1408/71 und 574/72 über die soziale Sicherheit erheben können;
2. den Bürgern der Schweizerischen Eidgenossenschaft;
3. den Staatenlosen und Flüchtlingen im Sinne von Artikel 51 Nr. 4;
4. den Bürgern eines Landes, mit dem ein Gegenseitigkeitsabkommen geschlossen wurde, durch das ihnen dieser Vorteil gewährt wird;
5. den ehemaligen Ehepartnern eines Versicherten mit einer Staatsangehörigkeit im Sinne der Nrn. 1, 2, 3 oder 4.
§ 2. Die in § 1 vorgesehene Alterspension ist vollständig zahlbar an den geschiedenen Ehepartner, der keine Berufstätigkeit ausübt. Wenn der geschiedene Ehepartner eine Berufstätigkeit ausübt, wird die Alterspension vollständig bezahlt, verringert oder ausgesetzt gemäß den Bestimmungen, die der König in Bezug auf die Anspruchsberechtigten einer Arbeitnehmerpension festlegt.
Die Pension beginnt am ersten Tag des Monats nach demjenigen, in dem die betreffende Person den Antrag einreicht, und frühestens am ersten Tag des Monats nach demjenigen, in dem sie das Alter von 65 Jahren erreicht hat.
Wenn die betreffende Person, die 65 Jahre oder älter ist, zum Zeitpunkt der Ehescheidung einen Teil der Pension des Versicherten erhielt, wird der Anspruch auf die Pension des geschiedenen Ehepartners von Amts wegen geprüft. In diesem Fall beginnt die Pension des geschiedenen Ehepartners an dem Tag nach demjenigen, an dem die Ehescheidung gegenüber Dritten wirksam wird.
§ 3. Der Betrag der in § 1 angegebenen Alterspension entspricht 56,25 Prozent der Alterspension, die zugunsten des Versicherten in diesem Gesetz vorgesehen ist, entsprechend den Zeiträumen, die in der Dauer der Ehe enthalten sind.
Wenn die in § 1 erwähnte Person jedoch der Ehepartner eines Versicherten mit einer anderen Staatsangehörigkeit als derjenigen eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist, ist die zu berücksichtigende Alterspension des Versicherten diejenige, auf die er Anspruch gehabt hätte, wenn er die belgische Staatsangehörigkeit besessen hätte.
Der Betrag der Alterspension des ehemaligen Ehepartners wird auf das Alter als 65-Jähriger berechnet. Wenn jedoch das Alter, mit dem der Versicherte die Teilnahme an der Versicherung beendet hat, und das Alter, das er an dem Datum erreicht hat, an dem die Ehescheidung gegenüber Dritten wirksam wird, mehr als 65 Jahre beträgt, wird die Pension auf dasjenige der beiden Alter berechnet, das am nächsten zu 65 Jahren liegt.
§ 4. Wenn ein geschiedener Ehepartner eine Alterspension aufgrund dieses Gesetzes oder einer anderen belgischen oder ausländischen Pensionsregelung oder aufgrund einer Pensionsregelung des Personals einer Einrichtung des internationalen öffentlichen Rechts erhält, wird der Teil dieser Pension, der sich auf die Zeiträume im Sinne von § 3 Absatz 1 bezieht, von der in diesem Artikel vorgesehenen Alterspension abgezogen.
Der König kann die Regeln zur Berechnung des abziehbaren Betrags der Pensionen, die nicht aufgrund dieses Gesetzes gewährt werden, festlegen ».
B.1.2. Artikel 239 § 3 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 bestimmt:
« Die Artikel 202 und 223 finden für die männlichen Anspruchsberechtigten auf die Pensionen Anwendung, die im Anschluss an eine Ehescheidung gewährt werden, die frühestens am 1. Januar 2007 erfolgt. Für die weiblichen Anspruchsberechtigten, die noch keine Pension von dem geschiedenen Ehepartner beziehen, finden diese Bestimmungen Anwendung, auch wenn die Ehescheidung vor dem 1. Januar 2007 erfolgt ist ».
B.1.3. Gemäß Artikel 240 § 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 tritt Artikel 223 am 1. Januar 2007 in Kraft.
B.2.1. Dem Gerichtshof wird eine Frage zur Vereinbarkeit von Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit in der durch Artikel 223 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 abgeänderten Fassung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention gestellt, insofern in dieser Bestimmung bei der Anhebung des Pensionsalters von 55 auf 65 Jahre keine Übergangsregelung für den geschiedenen Ehepartner eines Versicherten vorgesehen sei, wenn der Letztgenannte vor dem 1. Januar 2007 angeschlossen gewesen sei und bereits 20 Jahre an der Versicherung teilgenommen habe.
Der vorlegende Richter vergleicht die Kategorie der ehemaligen Ehepartner mit der Kategorie der Versicherten selbst, die sich vor dem 1. Januar 2007 angeschlossen hätten und bereits 20 Jahre lang an der Versicherung teilgenommen hätten, für die das Pensionsalter ebenfalls von 55 auf 65 Jahre erhöht worden sei, die jedoch gemäß Artikel 20 § 2 des Gesetzes vom 17. Juli 1963 in der durch Artikel 62 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I) abgeänderten Fassung wohl in den Genuss einer Übergangsregelung gelangen könnten.
B.2.2. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich um eine weibliche Anspruchsberechtigte handelt und dass die Ehescheidung vor dem 1. Januar 2007 erfolgt ist und somit bereits eine Realität war zu dem Zeitpunkt, als die Erhöhung des Pensionsalters wirksam geworden ist. Der Gerichtshof begrenzt seine Prüfung der Vorabentscheidungsfrage auf diese Situation.
B.3.1. Das durch das Gesetz vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit eingeführte System ist ein fakultatives System der sozialen Sicherheit, dem die Personen beitreten können, die in den durch den König bestimmten Ländern in Übersee arbeiten.
Dieses System betrifft « sowohl die Bediensteten, die in einem öffentlichen Sektor ihren Dienst versehen, als auch die Angestellten, die in Ausführung eines Arbeitsvertrags durch Privatunternehmen beschäftigt werden, oder selbst Personen, die eine selbständige Berufstätigkeit ausüben » (Parl. Dok., Kammer, 1961-1962, Nr. 431/1, S. 1).
Dieses System wurde ausgearbeitet, um « den Sorgen derjenigen zu entsprechen, die eine Laufbahn in Übersee unternehmen oder fortsetzen und in ihrem Herkunftsland durch Gesetzesbestimmungen, in denen ein System der Sozialversicherung vorgesehen ist, gedeckt sein möchten » (ebenda).
B.3.2. Eine öffentliche Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit, vor dem 1. Januar 2015 das Amt für überseeische soziale Sicherheit und seit dem 1. Januar 2015 das Amt für die Sonderregelungen der sozialen Sicherheit (nachstehend: « das Amt »), ist beauftragt mit der Ausführung der im Gesetz vom 17. Juli 1963 vorgesehenen Versicherungen.
In Artikel 5 des Gesetzes ist vorgesehen, dass das Amt über drei Fonds verfügt, deren Vermögen individualisiert ist, getrennt angelegt wird und die Garantie der Versicherten für die Leistungen darstellt, die aus diesen einzelnen Fonds erbracht werden. Dabei handelt es sich um den Pensionsfonds, den Invaliditätsfonds und den Solidaritäts- und Ausgleichsfonds.
Artikel 12 bestimmt unter anderem, dass « an der » [...] fakultativen Regelung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung [...] « teilnehmen können » die Personen, die ihre Berufstätigkeit in den durch den König bestimmten Überseeländern ausüben.
Artikel 14 bestimmt, dass die Versicherten oder ihre Arbeitgeber unter den im Gesetz festgelegten Bedingungen dem Amt Beiträge überweisen können, die insbesondere der Ruhestands- und Hinterbliebenenversicherung dienen und deren Mindest- und Höchstbeträge aufgrund von Artikel 15 durch den König festgesetzt werden.
Gemäß Artikel 17 Buchstaben a) und c) wird der Beitrag « zu 70 % für die Finanzierung der Alters- und Hinterbliebenenrenten zu Lasten des Pensionsfonds » und « zu 20,5 % für die Finanzierung der Leistungen zu Lasten des Solidaritäts- und Ausgleichsfonds » verwendet.
In Artikel 20 wird die Leibrente der Versicherten festgelegt, die die Versicherten zu Lasten des Pensionsfonds erhalten. In dem fraglichen Artikel 22sexies ist die Alterspension festgelegt, die der geschiedene Ehepartner eines Versicherten zu Lasten des Solidaritäts- und Ausgleichsfonds erhält.
B.4.1. Vor der Abänderung des Gesetzes vom 17. Juli 1963 durch das Gesetz vom 20. Juli 2006 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen bestimmte Artikel 20, dass die Altersrente für weibliche Versicherte mit dem Erreichen des Alters von 55 Jahren begann, ungeachtet der Versicherungsdauer. Für die männlichen Versicherten begann die Altersrente mit dem Erreichen des Alters von 55 Jahren, wenn sie mindestens zwanzig Jahre an dieser Versicherung teilgenommen hatten. Je Abschnitt von zwei Jahren, um die die Teilnahme an der Versicherung geringer ausfiel, erhöhte sich das normale Pensionsalter für die männlichen Versicherten um ein Jahr, bis zu 65 Jahre bei einer Versicherungsdauer von weniger als zwei Jahren.
Durch Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 wurde ausschließlich der geschiedenen Ehepartnerin eines Versicherten eine Alterspension gewährt, die im Alter von 55 Jahren begann, und folglich nicht dem Ehepartner eines weiblichen Versicherten.
B.4.2. Durch die Artikel 215 und 223 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 wurde das normale Pensionsalter, das in den vorerwähnten Artikeln 20 und 22sexies festgelegt wurde, ab dem 1. Januar 2007 auf 65 Jahre festgelegt, sowohl für den Versicherten selbst als auch für den geschiedenen Ehepartner eines Versicherten, ungeachtet der Versicherungsdauer und ungeachtet des Geschlechts.
B.4.3. Was die Anhebung des Pensionsalters für die Versicherten betrifft, wird in den Vorarbeiten zu Artikel 215 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 verdeutlicht, dass die Absicht des Gesetzgebers darin bestand, « Artikel 20 völlig umzuschreiben im Hinblick auf die Verwirklichung der Gleichheit von Mann und Frau, und der geltenden Philosophie Rechnung zu tragen, die darin besteht, Arbeitnehmer möglichst lange im Arbeitsmarkt zu halten » (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2518/001, S. 141).
Die neuen Vorschriften lassen sich laut denselben Vorarbeiten wie folgt zusammenfassen:
« Das Kapitalisierungssystem bleibt erhalten, aber das normale Eintrittsalter ist sowohl für männliche als auch für weibliche Versicherte auf 65 Jahre festgesetzt, ungeachtet der Dauer der Eintragung bei der Versicherung. Das Eintrittsalter kann um fünf Jahre vorgezogen werden. Es kann auch grundsätzlich weiterhin über das Alter von 65 Jahren hinaus verschoben werden, aber dies kann der König von bestimmten Bedingungen abhängig machen » (ebenda).
B.4.4. Was die Anhebung des Pensionsalters für den geschiedenen Ehepartner eines Versicherten betrifft, heißt es in den Vorarbeiten zu Artikel 223 des Gesetzes vom 20. Juli 2006:
« In der bestehenden Regelung wird diese Pension nur der Ehepartnerin ab dem Alter von 55 Jahren gewährt.
Durch diesen Entwurf wird diese Pension dem geschiedenen Ehepartner ungeachtet des Geschlechts ab dem Alter von 65 Jahren gewährt » (ebenda, S. 132).
B.5. Durch seinen Entscheid Nr. 67/2008 vom 17. April 2008 hat der Gerichtshof in Bezug auf die Anhebung des Alters, an dem die Altersrente für den Versicherten im Sinne von Artikel 20 des Gesetzes vom 17. Juli 1963 beginnt, geurteilt:
« B.4.3. Wenn der Gesetzgeber den in Übersee beschäftigten Arbeitnehmern eine fakultative Ruhestandsversicherung anbietet, liegt es in seinem Ermessen, die Bedingungen und Modalitäten für die Eintragung bei dieser Versicherung den sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnissen und den darauf basierenden politischen Optionen anzupassen. Es steht daher grundsätzlich nicht im Widerspruch zu den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, das Eintrittsalter der Altersrente für Arbeitnehmer im Ausland, die für ihre Ruhestandsversicherung dem [Amt für überseeische soziale Sicherheit] angeschlossen sind, zu erhöhen und dem Pensionsalter von in Belgien beschäftigten Arbeitnehmern gleichzustellen ».
Der Gerichtshof musste sich im selben Entscheid ebenfalls zu der Frage äußern, ob die angefochtene Bestimmung eine Diskriminierung beinhaltete, indem die Anhebung des Pensionsalters nicht nur für diejenigen galt, die mit der Versicherung begonnen hatten ab dem 1. Januar 2007, nämlich dem Datum des Inkrafttretens des abgeänderten Artikels 20, sondern auch für diejenigen, die vorher der Versicherung beigetreten waren.
Der Gerichtshof hat geurteilt:
« B.5.2. Wenn der Gesetzgeber eine Änderung der Politik für notwendig hält, kann er davon ausgehen, dass diese Änderung mit sofortiger Wirkung durchzuführen ist, und ist er grundsätzlich nicht dazu gehalten, eine Übergangsregelung vorzusehen. Gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung wird nur dann verstoßen, wenn die Übergangsregelung bzw. das Nichtvorhandensein einer Übergangsregelung zu einem Behandlungsunterschied führt, für den es keine vernünftige Rechtfertigung gibt, oder wenn dem Vertrauensgrundsatz in übermäßiger Weise Abbruch getan wird. Letzteres ist der Fall, wenn die legitimen Erwartungen einer bestimmten Kategorie von Rechtsunterworfenen missachtet werden, ohne dass ein zwingender Grund allgemeinen Interesses vorhanden ist, der das Fehlen einer Übergangsregelung rechtfertigen könnte.
B.5.3. Das durch das Gesetz vom 17. Juli 1963 eingeführte System unterscheidet sich vom obligatorischen Sozialversicherungssystem, das für die in Belgien beschäftigten Lohnempfänger gilt. Es bietet eine fakultative Versicherung, die im Wettbewerb mit den privaten Versicherungen steht.
Obwohl die Änderung des Eintrittsalters der Altersrente bei noch abzuschließenden Versicherungsverträgen gerechtfertigt werden kann, fehlt diese Rechtfertigung angesichts jener Personen, die in der Vergangenheit, unter Berücksichtigung der geltenden gesetzlichen Bedingungen und nach Abwägung dieser Bedingungen gegen diejenigen der privaten Versicherungen, beim [Amt für überseeische soziale Sicherheit] eine Versicherung abgeschlossen haben und für die dabei die Möglichkeit, ab dem Alter von 55 Jahren die Altersrente zu beziehen, von ausschlaggebender Bedeutung hätte sein können.
Mit der angefochtenen Maßnahme bezweckt der Gesetzgeber, das Pensionsalter für Männer und Frauen anzugleichen und die Arbeitnehmer möglichst lange im Arbeitsmarkt zu halten, aber dabei verliert er aus den Augen, dass die betreffenden Arbeitnehmer nicht am belgischen Arbeitsmarkt beteiligt sind und dass das Bedürfnis, die Arbeitnehmer möglichst lange im Arbeitsmarkt zu halten, nicht - oder wenigstens nicht auf dieselbe Art und Weise - für die überseeischen Arbeitsmärkte, an denen sie beteiligt sind, gilt. Im Übrigen kann die Angleichung des Pensionsalters von Männern und Frauen in zwei Richtungen erfolgen, so dass auch diese Zielsetzung keine angemessene Rechtfertigung bieten kann.
B.5.4. Insofern die angefochtene Bestimmung es für die Teilnehmer an der fakultativen Ruhestandsversicherung, die sich vor dem 1. Januar 2007 angeschlossen haben und bereits seit zwanzig Jahren bei der Versicherung eingetragen sind, unmöglich macht, dass die Altersrente im Alter von 55 Jahren eintritt, beeinträchtigt sie in übermäßiger Weise ihre legitimen Erwartungen, ohne dass ein zwingender Grund allgemeinen Interesses vorhanden ist, der das Fehlen einer Übergangsregelung rechtfertigen könnte ».
B.6.1. Um dem vorerwähnten Entscheid zu entsprechen, hat der Gesetzgeber durch Artikel 62 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I) eine Übergangsregelung in Artikel 20 § 2 des Gesetzes vom 17. Juli 1963 eingeführt für die Versicherten, die am 31. Dezember 2006 bereits mindestens 12 Jahre an der Versicherung teilgenommen hatten. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
« Wenn der Versicherte am 31. Dezember 2006 mindestens zwanzig Jahre an der Versicherung teilgenommen hat, kann die Rente im Alter von 55 Jahren beginnen.
Wenn die Teilnahme an der Versicherung am 31. Dezember 2006 keine zwanzig Jahre erreicht, wird das Alter, an dem die Rente beginnen kann, wie folgt festgesetzt:
18 Jahre und weniger als 20 Jahre: 56 Jahre,
16 Jahre und weniger als 18 Jahre: 57 Jahre,
14 Jahre und weniger als 16 Jahre: 58 Jahre,
12 Jahre und weniger als 14 Jahre: 59 Jahre ».
B.6.2. Die genannte Übergangsregelung gilt nur für die Altersrente, die dem Versicherten gewährt wird. Für die Alterspension, die dem ehemaligen Ehepartner des Versicherten gewährt werden kann, hat der Gesetzgeber hingegen keine Übergangsregelung eingeführt.
B.7.1. Die Gewährung einer Alterspension an den geschiedenen Ehepartner eines Versicherten in der Regelung der überseeischen sozialen Sicherheit bezweckt, eine gewisse Existenzsicherheit zu bieten für die Personen, die, weil sie mindestens teilweise von ihrem ehemaligen Ehepartner finanziell abhängig waren und weil sie in vielen Fällen kein eigenes Einkommen gehabt haben und nicht die Möglichkeit gehabt haben, eine eigene Pension aufzubauen, infolge ihrer Ehescheidung in eine prekäre materielle Situation zu gelangen drohen. Der Betrag entspricht 56,25 Prozent der Alterspension, die zugunsten des Versicherten vorgesehen ist entsprechend den Zeiträumen, die in der Dauer der Ehe enthalten sind.
B.7.2. Die Alterspension des ehemaligen Ehepartners wird nicht gezahlt während einer neuen Ehe (Artikel 22sexies § 1). Die Pension ist vollständig zahlbar an den geschiedenen Ehepartner, der keine Berufstätigkeit ausübt. Wenn der geschiedene Ehepartner eine Berufstätigkeit ausübt, wird die Pension vollständig bezahlt, verringert oder ausgesetzt gemäß der für die Arbeitnehmerpensionen geltenden Regelung (Artikel 22sexies § 2). Wenn der geschiedene Ehepartner neben der Alterspension im Sinne von Artikel 22sexies noch eine andere Alterspension erhält, wird die Letztere von der Ersteren abgezogen (Artikel 22sexies § 4). Folglich dient die Alterspension dazu, das Einkommen des ehemaligen Ehepartners zu sichern, wenn andere finanzielle Mittel fehlen.
B.8.1. Als der Gesetzgeber es durch das Gesetz vom 20. Juli 1990 ermöglicht hat, dem ehemaligen Ehepartner eine Alterspension im Alter von 55 Jahren zu gewähren, ist er bei dieser Entscheidung von dem damals normalerweise geltenden Pensionsalter des Versicherten ausgegangen (Parl. Dok., Senat, 1989-1990, Nr. 944/1, S. 9). Da dieses Pensionsalter im Rahmen der überseeischen sozialen Sicherheit durch das Gesetz vom 20. Juli 2006 auf 65 Jahre festgelegt wurde, konnte der Gesetzgeber den Standpunkt vertreten, dass ab diesem Zeitpunkt auch der Anspruch auf die Alterspension des ehemaligen Ehepartners im Rahmen der überseeischen sozialen Sicherheit erst ab diesem Alter entstehen kann.
B.8.2. Wenn die Ehescheidung jedoch vor der Anhebung des Pensionsalters auf 65 Jahre erfolgt ist, kann die Erwartung des ehemaligen Ehepartners, ab dem Alter von 55 Jahren eine Alterspension erhalten zu können, von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein, um keine private Versicherung abzuschließen oder nicht selbst eine Pension vorzusehen, oder mehr allgemein keine anderen Maßnahmen zu ergreifen, um ein Einkommen nach der Ehescheidung vorzusehen. Die fragliche Maßnahme, durch die der Anspruch auf eine Alterspension ohne irgendeine Übergangsmaßnahme um 10 Jahren verschoben wird, kann den ehemaligen Ehepartner daher daran gehindert haben, seine Einkommenssituation rechtzeitig und in Kenntnis der Dinge zu sichern. Im Übrigen gilt gemäß Artikel 239 § 3 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 die Regelung der Alterspension für die männlichen Anspruchsberechtigten, wenn die Ehescheidung frühestens am 1. Januar 2007 erfolgt, sodass sie zum Zeitpunkt der Ehescheidung wohl über das Alter, mit dem diese Pension beginnt, informiert sind.
B.8.3. Es gibt offensichtlich keine vernünftige Rechtfertigung für den Behandlungsunterschied zwischen einerseits dem Versicherten selbst, der in den Vorteil einer Übergangsregelung gelangen kann, wenn er am 31. Dezember 2006 bereits seit zwanzig Jahren an der Versicherung im System der überseeischen sozialen Sicherheit teilgenommen hat, und andererseits dem ehemaligen Ehepartner dieses Versicherten, für den eine solche Übergangsregelung nicht gilt.
B.9.1. Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit in Verbindung mit Artikel 239 § 3 Absatz 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 ist nicht vereinbar mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, insofern diese Bestimmung es unmöglich macht, dass die Alterspension der geschiedenen Ehepartnerin eines Versicherten, der am 31. Dezember 2006 mindestens zwanzig Jahre lang an der Versicherung im System der überseeischen sozialen Sicherheit teilgenommen hat, wenn die Ehescheidung vor dem 1. Januar 2007 erfolgt ist, mit dem Alter von 55 Jahren beginnt.
B.9.2. Da die Feststellung der Lücke in B.9.1 in einem ausreichend präzisen und vollständigen Wortlaut ausgedrückt ist, der eine Anwendung der fraglichen Bestimmung unter Einhaltung der Referenznormen, aufgrund deren der Gerichtshof seine Kontrollbefugnis ausübt, zulässt, obliegt es dem vorlegenden Richter, dem Verstoß gegen diese Normen ein Ende zu setzen.
B.9.3. Die Prüfung anhand der anderen in der Vorabentscheidungsfrage angeführten Bestimmungen kann nicht zu einer umfassenderen Feststellung der Verfassungswidrigkeit führen.
B.10. Die Vorabentscheidungsfrage ist bejahend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Gerichtshof
erkennt für Recht:
Artikel 22sexies des Gesetzes vom 17. Juli 1963 über die überseeische soziale Sicherheit in Verbindung mit Artikel 239 § 3 Absatz 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 verstößt gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, insofern diese Bestimmung es unmöglich macht, dass die Alterspension der geschiedenen Ehepartnerin eines Versicherten, der am 31. Dezember 2006 mindestens zwanzig Jahre lang an der Versicherung im System der überseeischen sozialen Sicherheit teilgenommen hat, wenn die Ehescheidung vor dem 1. Januar 2007 erfolgt ist, mit dem Alter von 55 Jahren beginnt.
Erlassen in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 28. April 2016.
Der Kanzler,
(gez.) F. Meersschaut
Der Präsident,
(gez.) E. De Groot