Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 9 März 2017 (België). RG 33/2017

Date :
09-03-2017
Language :
German French Dutch
Size :
3 pages
Section :
Case law
Source :
Justel D-20170309-2
Role number :
33/2017

Summary :

Der Gerichtshof erkennt für Recht: Insofern er es dem Strafrichter nicht erlaubt, dem Angeklagten eine Verfahrensentschädigung in der Berufungsinstanz zu Lasten der in der Sache unterliegenden Zivilpartei zu gewähren, die in Ermangelung jeder Rechtsmitteleinlegung seitens der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten Berufung gegen ein Urteil, mit dem ihre Klage für unzulässig erklärt wurde, nachdem der Angeklagte auf die Strafverfolgung hin verurteilt worden war, eingelegt hat, verstößt Artikel 162bis Absatz 2 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten J. Spreutels und E. De Groot, und den Richtern L. Lavrysen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten J. Spreutels,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren

In seinem Entscheid vom 26. Oktober 2016 in Sachen I. P.P. gegen die « Krefiservicing » AG und den « Koninklijke Lierse Sportkring », II. D.L., III. L.D. und Y. V.D.S. gegen die « Krefiservicing » AG und den Königlichen Belgischen Fußballverband, IV. F.G., V. D.M. gegen die « Krefiservicing » AG, den Königlichen Belgischen Fußballverband und den « Royal Sporting Club Anderlecht », VI. der VoG « Pro League » gegen G.B., F.A. und J.-P. L.P., VII. P.A. und VIII. M.E., dessen Ausfertigung am 9. November 2016 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Kassationshof folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:

« Verstößt Artikel 162bis Absatz 2 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, insofern die Zivilpartei, die nicht die Initiative zur Verfolgung ergriffen hat und gegen ein Urteil, mit dem ihre Klage für unzulässig erklärt wurde, nachdem der Angeklagte auf die Strafverfolgung hin verurteilt worden war, Berufung einlegt, nicht zur Zahlung der Verfahrensentschädigung verurteilt werden kann, wenn sie in der Berufungsinstanz unterliegt, wobei der Verfassungsgerichtshof in seinem Entscheid Nr. 113/2016 vom 22. September 2016 für Recht erkannt hat, dass Artikel 162bis Absatz 2 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung verstößt, insofern er es dem Strafrichter nicht erlaubt, dem freigesprochenen Angeklagten und dem zivilrechtlich Haftbaren eine Verfahrensentschädigung in der Berufungsinstanz zu Lasten der in der Sache unterliegenden Zivilpartei zu gewähren, die in Ermangelung jeder Rechtsmitteleinlegung seitens der Staatsanwaltschaft Berufung gegen ein auf Freispruch lautendes Urteil, das auf eine von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Klage hin ergangen ist, eingelegt hat? ».

Am 30. November 2016 haben die referierenden Richter J.-P. Snappe und L. Lavrysen in Anwendung von Artikel 72 Absatz 1 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof den Gerichtshof davon in Kenntnis gesetzt, dass sie dazu veranlasst werden könnten, vorzuschlagen, die Untersuchung der Rechtssache durch einen Vorverfahrensentscheid zu erledigen.

(...)

III. Rechtliche Würdigung

(...)

B.1. Artikel 162bis des Strafprozessgesetzbuches, eingefügt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 21. April 2007 « über die Rückforderbarkeit der Rechtsanwaltshonorare und -kosten » und abgeändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 21. Februar 2010 « zur Abänderung der Artikel 1022 des Gerichtsgesetzbuches und 162bis des Strafprozessgesetzbuches », bestimmt:

« Durch jedes auf Verurteilung lautende Urteil gegen den Angeklagten und die für die Straftat zivilrechtlich haftenden Personen werden diese in die in Artikel 1022 des Gerichtsgesetzbuches erwähnte Verfahrensentschädigung zu Gunsten der Zivilpartei verurteilt.

Die Zivilpartei, die die Initiative zu einer direkten Ladung ergriffen hat und in der Sache unterliegt, wird in die in Artikel 1022 des Gerichtsgesetzbuches erwähnte Entschädigung zu Gunsten des Angeklagten und zu Gunsten des zivilrechtlich Haftenden verurteilt. Die Entschädigung wird durch das Urteil bestimmt ».

B.2. In der Vorabentscheidungsfrage wird der Gerichtshof gefragt, ob Artikel 162bis Absatz 2 des Strafprozessgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung vereinbar sei, insofern die Zivilpartei, die nicht die Initiative zur Verfolgung ergriffen habe und gegen ein Urteil, mit dem ihre Klage für unzulässig erklärt worden sei, nachdem der Angeklagte auf die Strafverfolgung hin verurteilt worden sei, Berufung einlege, nicht zur Zahlung der Verfahrensentschädigung verurteilt werden könne, wenn sie in der Berufungsinstanz unterliege.

B.3.1. Die Verfahrensentschädigung ist « eine Pauschalbeteiligung an den Rechtsanwaltshonoraren und -kosten der obsiegenden Partei » (Artikel 1022 Absatz 1 des Gerichtsgesetzbuches, eingefügt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 21. April 2007).

B.3.2. Die Verfahrensentschädigung, um die es in der fraglichen Bestimmung geht, bezieht sich nur auf die Zivilklage, und zwar die Klage auf Wiedergutmachung des durch eine Straftat entstandenen Schadens.

Die fragliche Bestimmung bezweckt somit, der Zivilpartei, die eine solche Klage durch eine direkte Ladung vor das erkennende Gericht eingereicht hat, alle oder einen Teil der Kosten und Honorare des Rechtsanwalts aufzuerlegen, die eine Person, die schließlich freigesprochen wird, oder der zivilrechtlich Haftende im Rahmen der Strafverfolgung, die durch dieses Auftreten als Zivilpartei in Gang gesetzt wurde, zu zahlen hat. Die Zivilpartei, die nicht die Initiative zu einer direkten Ladung ergriffen hat, ihre Klage jedoch der von der Staatsanwalt eingeleiteten Strafverfolgung angeschlossen hat, kann hingegen nicht zur Zahlung der Verfahrensentschädigung an den freigesprochenen Angeklagten und an den zivilrechtlich Haftenden verurteilt werden.

Die Lage des freigesprochenen Angeklagten und des zivilrechtlich Haftenden hängt also in Bezug auf die Rückforderbarkeit davon ab, ob sie auf Initiative der Zivilpartei oder der Staatsanwaltschaft verfolgt werden; im ersten Fall können sie in den Vorteil der Rückforderbarkeit gelangen, im zweiten Fall nicht.

B.4. Die fragliche Bestimmung ist Teil eines Bündels von Maßnahmen, die dem Bemühen entsprechen, dass « Rechtsunterworfene, die die Wiedergutmachung von Schäden vor einem Zivil- bzw. einem Strafgericht fordern, gleich behandelt werden » (Parl. Dok., Senat, 2006-2007, Nr. 3-1686/4, SS. 6 und 8; ebenda, Nr. 3-1686/5, S. 32; Parl. Dok., Kammer, 2006-2007, DOC 51-2891/002, S. 5). Die durch die fragliche Bestimmung vorgeschriebene Verurteilung ist dadurch gerechtfertigt, dass es nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Zivilpartei ist, die « die Strafverfolgung in Gang gesetzt hat », so dass sie « dem Angeklagten gegenüber » als für diese Klage « haftbar » anzusehen ist (Parl. Dok., Senat, 2006-2007, Nr. 3-1686/4, S. 8; Parl. Dok., Kammer, 2006-2007, DOC 51-2891/002, S. 6).

In Bezug auf die Situation des freigesprochenen Angeklagten oder des Beschuldigten, der in den Vorteil einer Verfahrenseinstellung gelangt, wurde in den Vorarbeiten zu der fraglichen Bestimmung außerdem präzisiert:

« Gemäß der Stellungnahme der Rechtsanwaltskammern und des Hohen Justizrates kommt die Rückforderbarkeit im Übrigen in den Beziehungen zwischen dem Angeklagten und dem durch die Staatsanwaltschaft vertretenen Staat nicht zum Tragen. Hier ist anzumerken, dass die Staatsanwaltschaft bei der Ausübung der Verfolgung das Allgemeininteresse vertritt und daher nicht einer Zivilpartei gleichgestellt werden kann, die die Strafverfolgung nur zur Verteidigung eines privaten Interesses in Gang setzen würde » (Parl. Dok., Kammer, 2006-2007, DOC 51-2891/002, SS. 6-7).

B.5.1. Wegen des Auftrags der Staatsanwaltschaft konnte der Gesetzgeber vernünftigerweise davon ausgehen, dass es nicht angebracht war, ein System, nach dem die Verfahrensentschädigung automatisch jedes Mal, wenn ihre Klage ohne Folgen bleiben würde, geschuldet wäre, auf die Staatsanwaltschaft auszudehnen.

B.5.2. Angesichts des Vorstehenden ist es ebenfalls gerechtfertigt, dass die unterliegende Zivilpartei nicht zur Zahlung einer Verfahrensentschädigung an den freigesprochenen Angeklagten und an den zivilrechtlich Haftenden verurteilt wird, wenn sie sich darauf beschränkt hat, ihre Klage einer durch die Staatsanwaltschaft eingeleiteten Strafverfolgung anzuschließen.

Der Gesetzgeber konnte nämlich vernünftigerweise den Standpunkt vertreten, dass die Zivilpartei in diesen Fällen, selbst wenn sie in ihren Ansprüchen abgewiesen würde, nicht als verantwortlich für die Verfolgung des Angeklagten anzusehen ist (Parl. Dok., Senat, 2006-2007, Nr. 3-1686/5, S. 33).

Diese Fälle unterscheiden sich von demjenigen eines bei einem Zivilrichter eingeleiteten Verfahrens, das ungeachtet der Weise der Einleitung nie eine Klage ist, die einer durch die Staatsanwaltschaft in Gang gesetzten Strafverfolgung angeschlossen wird.

Es ist somit gerechtfertigt, dass die Zivilpartei nur dann zur Zahlung der Verfahrensentschädigung an den freigesprochenen Angeklagten oder an den zivilrechtlich Haftbaren verurteilt wird, wenn sie selbst die Strafverfolgung in Gang gesetzt hat.

B.6. Die Zivilpartei, die als einzige Berufung gegen ein Urteil einlegt, mit dem ihre Klage für unzulässig erklärt wurde, nachdem der Angeklagte auf die Strafverfolgung hin verurteilt worden war, ergreift die Initiative zu einem neuen Rechtszug, auch wenn sie nicht die Initiative zu der in erster Instanz eingeleiteten Klage ergriffen hat und ihre ursprüngliche Klage der Strafverfolgung angeschlossen hat. Sie übt auf diese Weise ein Recht aus, das ihr eigen ist, und zwar das Recht, ihre Sache erneut von einem höheren Rechtsprechungsorgan beurteilen zu lassen.

Da die Staatsanwaltschaft keine Berufung eingelegt hat, schließt sich die Klage der Zivilpartei in der Berufungsinstanz nicht mehr einer im Allgemeininteresse in Gang gesetzten Klage an; vielmehr zielt sie ausschließlich auf die Verteidigung eines privaten Interesses ab. Ihr liegen also die für das Berufungsverfahren entstandenen Rechtsanwaltshonorare und -kosten zugrunde.

Die fragliche Bestimmung, die zugunsten des Angeklagten eine Verfahrensentschädigung zu Lasten der Zivilpartei, die eine Klage mittels einer direkten Ladung einreicht, vorsieht, ohne sie der Zivilpartei aufzuerlegen, die, ohne dass ihr die Staatsanwaltschaft oder der Angeklagte vorausgegangen oder gefolgt ist, Berufung gegen ein Urteil einlegt, mit dem ihre Klage für unzulässig erklärt wurde, nachdem der Angeklagte auf die Strafverfolgung hin verurteilt worden war, ist nicht vernünftig gerechtfertigt.

Dem mit der Streitsache befassten Richter obliegt es zu prüfen, ob die Zivilpartei als einzige Berufung eingelegt hat oder nicht.

B.7. Da die in B.6 erfolgte Feststellung der Rechtslücke in einer ausreichend präzisen und vollständigen Formulierung ausgedrückt ist, die es ermöglicht, die fragliche Bestimmung unter Einhaltung der Referenznormen, auf deren Grundlage der Gerichtshof seine Kontrolle ausübt, anzuwenden, obliegt es dem vorlegenden Richter, dem Verstoß gegen diese Normen ein Ende zu setzen.

B.8. Die Vorabentscheidungsfrage ist bejahend zu beantworten.

Aus diesen Gründen:

Der Gerichtshof

erkennt für Recht:

Insofern er es dem Strafrichter nicht erlaubt, dem Angeklagten eine Verfahrensentschädigung in der Berufungsinstanz zu Lasten der in der Sache unterliegenden Zivilpartei zu gewähren, die in Ermangelung jeder Rechtsmitteleinlegung seitens der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten Berufung gegen ein Urteil, mit dem ihre Klage für unzulässig erklärt wurde, nachdem der Angeklagte auf die Strafverfolgung hin verurteilt worden war, eingelegt hat, verstößt Artikel 162bis Absatz 2 des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Erlassen in französischer und niederländischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 9. März 2017.

Der Kanzler,

(gez.) P.-Y. Dutilleux

Der Präsident,

(gez.) J. Spreutels