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Auszug aus dem Urteil Nr. 26/2005 vom 2. Februar 2005
Geschäftsverzeichnisnrn. 3113 und 3114
In Sachen : Präjudizielle Frage in bezug auf Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992, gestellt vom Gericht erster Instanz Hasselt.
Der Schiedshof,
zusammengesetzt aus den Vorsitzenden A. Arts und M. Melchior, und den Richtern L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Moerman, E. Derycke und J. Spreutels, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden A. Arts,
verkündet nach Beratung folgendes Urteil:
I. Gegenstand der präjudiziellen Frage und Verfahren
In zwei Urteilen vom 27. Oktober 2004 in Sachen der Jopo België KGaA bzw. der Hedra Holding AG gegen den Belgischen Staat und die Verwaltung der direkten Steuern, deren Ausfertigungen am 2. November 2004 in der Kanzlei des Schiedshofes eingegangen sind, hat das Gericht erster Instanz Hasselt folgende präjudizielle Frage gestellt:
« Verstösst Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 in der auf die Veranlagungsjahre [1997, 1998, 1999 und 2000] anwendbaren Fassung gegen Artikel 170 § 1 der Verfassung, der bestimmt, dass eine Steuer zugunsten des Staates nur durch ein Gesetz eingeführt werden darf, indem er der ausführenden Gewalt den Auftrag erteilt, oder wenigstens ermöglicht, entweder über eine selbst festzulegende Norm oder über eine auszufüllende Blankonorm, auf besteuerbare Umstände zu schliessen, und zwar ohne jegliche Simulation vonseiten des Steuerpflichtigen, alles unabhängig von einem abzuwickelnden Verfahren, und alles schliesslich unabhängig vom Bestehen bestimmter dem Steuerpflichtigen im Rahmen eines Verfahrens gesetzlich gewährter Rechte oder Möglichkeiten der Verteidigung oder des Gegenbeweises? »
Diese unter den Nummern 3113 und 3114 ins Geschäftsverzeichnis des Hofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.
Am 23. November 2004 haben die referierenden Richter L. Lavrysen und J. Spreutels in Anwendung von Artikel 72 Absatz 1 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Schiedshof den Hof davon in Kenntnis gesetzt, dass sie dazu veranlasst werden könnten, vorzuschlagen, ein Urteil in unverzüglicher Beantwortung zu verkünden.
(...)
III. In rechtlicher Beziehung
(...)
B.1. Das verweisende Rechtsprechungsorgan bittet den Hof zu prüfen, ob Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 (nachstehend: EStGB 1992) gegen Artikel 170 § 1 der Verfassung verstösst.
Artikel 344 § 1 des EStGB 1992, eingefügt durch Artikel 16 Nr. 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1993 zur Festlegung steuerrechtlicher und finanzieller Bestimmungen, besagt:
« Gegenüber der Verwaltung der direkten Steuern kann nicht die rechtliche Einstufung geltend gemacht werden, die die Parteien einer Handlung sowie getrennten Handlungen, die die gleiche Verrichtung zustande bringen, verleihen, wenn die Verwaltung durch Vermutung oder durch andere, in Artikel 340 angeführte Beweismittel feststellt, dass diese Einstufung dazu dient, die Steuer zu umgehen, es sei denn, der Steuerpflichtige beweist, dass diese Einstufung rechtmässigen finanziellen oder wirtschaftlichen Erfordernissen entspricht. »
B.2. Die fragliche Bestimmung bezweckt « die Einführung einer allgemeinen ' Massnahme gegen Rechtsmissbrauch ', wenn die Verwaltung feststellt, dass der Vorgang eindeutig durch Rechtshandlungen zustande gekommen ist, die es dem Steuerpflichtigen ermöglichen sollen, die Steuer zu umgehen » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 2). Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber die Anwendung der im Brepols-Urteil (Kass., 6. Juni 1961, Pas., 1961, I, 1082) festgehaltenen Rechtsprechung des Kassationshofes einschränken, wonach « die Grenze eines Steuerkonstruktes einzig in der Bedingung besteht, sich auf tatsächliche Situationen zu berufen » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 2).
B.3.1. Da « der Steuerpflichtige das Recht behält, bei der Verwirklichung von wirtschaftlich gerechtfertigten Vorgängen die am geringsten besteuerte Möglichkeit zu wählen » (ebenda), unterliegt die Anwendung der fraglichen Bestimmung verschiedenen strengen Bedingungen.
B.3.2. Zunächst ist erforderlich, dass das rechtliche Konstrukt, für das die Parteien sich entschieden haben, auf die Umgehung der Steuer ausgerichtet ist.
So wurde bei den Vorarbeiten erklärt, « dass der Text des Entwurfes lediglich die ständige Zunahme der Umgehungsmechanismen bekämpfen soll, die in juristischen Einstufungen mit dem einzigen Zweck der Umgehung der Steuer zum Ausdruck kommen » (ebenda; im gleichen Sinne Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, SS. 3 und 36), dass « in erster Linie die Verwaltung meist durch faktische Vermutungen, jedoch gegebenenfalls durch andere in Steuersachen zugelassene Beweismittel nachweisen muss, dass die den Handlungen durch die Parteien verliehene Einstufung lediglich die Umgehung der Steuer bezweckt » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3) und dass « die Wahl der juristischen Einstufung durch den Steuerpflichtigen ein ausschliesslich steuerliches Ziel haben muss, ungeachtet des erzielten Ergebnisses » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 38).
Dass dies die ausschliessliche Zielsetzung sein muss, wurde nicht während der gesamten Dauer der Vorarbeiten aufrechterhalten:
« Der Minister erklärt, dass es gleichzeitig rechtmässige finanzielle oder wirtschaftliche Bedürfnisse [...] sowie einen steuerlichen Zweck geben kann. Dieser Artikel verbietet es dem Steuerpflichtigen nicht, die am geringsten besteuerte Möglichkeit zu wählen, und es können verschiedene Gründe angeführt werden.
Deshalb wäre es unvorsichtig festzulegen, dass die Einstufung der Handlung lediglich zum Zweck hat, die Steuer zu umgehen, da man in diesem Fall von der Verwaltung einen unmöglichen Nachweis verlangen würde, weil sie nicht alle Gründe des Steuerpflichtigen kennt. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 53)
B.3.3. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Verwaltung selbst die Gründe der Steuerumgehung mit allen rechtlichen Mitteln nachweist (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3; Nr. 762-2, S. 38; Kammer, 1992-1993, Nr. 1072/8, S. 39). Sie muss nachweisen, dass der Zustand, in den der Steuerpflichtige sich zwecks Umgehung der Steuer durch sein rechtliches Konstrukt gebracht hat, dem nach Ansicht der Verwaltung vom Steuergesetz ins Auge gefassten Zustand derart nahekommt, dass der Zweck und die Tragweite dieses Gesetzes missachtet würden, wenn dieser Zustand in steuerlicher Hinsicht nicht auf diese Weise behandelt würden.
Zur Verdeutlichung wurde folgendes angeführt:
« Es reicht also nicht aus, dass die Verwaltung den Eindruck hat, dass der Steuerpflichtige sich für eine rechtliche Einstufung entschieden hat, um die Steuer zu umgehen. Es geht in diesem Fall also nicht um eine einseitige Feststellung. Aus diesem Grund wird im Text des Entwurfes das Wort ' Vermutung ' verwendet, da dies wahrscheinlich das am meisten angewandte Beweismittel sein wird. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 38)
B.3.4. Der Anwendungsbereich der fraglichen Bestimmung bleibt beschränkt auf « [Handlungen], die von einem Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner Tätigkeiten vorgenommen werden » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3), das heisst « Tätigkeiten, die einen Gewinn oder Vorteil verschaffen und grundsätzlich besteuerbar sind » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 38). Es handelt sich nicht um die im Rahmen der Verwaltung von Privatvermögen vorgenommenen Handlungen, die in keiner Weise eine Auswirkung auf ein besteuerbares Element haben (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3, und Nr. 762-2, S. 38).
B.3.5. Der gegebenenfalls vom Steuerpflichtigen erbrachte Gegenbeweis muss sich auf die juristische Einstufung beziehen, so dass « der Steuerpflichtige den Beweis erbringen kann, dass tatsächlich rechtmässige finanzielle oder wirtschaftliche Bedürfnisse vorhanden sind, die der Einstufung zugrunde liegen » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3).
Der Steuerpflichtige muss somit rechtfertigen, warum er sich für die von der Verwaltung abgelehnte und nicht für die von der Verwaltung verteidigte juristische Einstufung entschieden hat:
« Der Minister bestätigt, dass die Wörter ' rechtmässigen finanziellen oder wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechen ' bedeuten, dass die angefochtene Einstufung jeder gültigen wirtschaftlichen Rechtfertigung in bezug auf den tatsächlich durchgeführten Vorgang entbehren muss. Mit anderen Worten, der Steuerpflichtige erbringt den Gegenbeweis, wenn er nachweist, dass ein ausreichender Zusammenhang zwischen der juristischen Einstufung und der wirtschaftlichen Tragweite des Vorgangs besteht. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, SS. 55-56)
B.4. Die Sanktion der Steuerumgehung besteht darin, dass die Verwaltung die juristische(n) Handlung(en) neu einstuft. Diese Massnahme wird wie folgt beschrieben:
« Bei der Kontrolle der Rechtmässigkeit wird heute in bezug auf die Methode von der juristischen Beschreibung von oben nach unten ausgegangen, d.h. von der Handlung zu den Folgen, die sich für die Parteien in Anwendung des Gemeinrechts daraus ergeben.
Mit der neuen Gesetzesbestimmung, die die juristische Beschreibung ausser acht lässt, wird die Kontrolle umgekehrt. Der Kontrolleur kann in Zukunft von den Fakten ausgehen mit einer Frage, d.h. um die Handlung einzustufen, muss er wissen, welche Folgen der von ihm - ausgehend von den Fakten - festgestellte Vorgang hat und welcher Zweck angestrebt wurde.
Die ratio legis der neuen Bestimmung besteht darin, es der Verwaltung zu ermöglichen, sich zu vergewissern, dass die Steuer auf der normalen juristischen Einstufung des Vorgangs zwischen den Parteien beruht. [...]
Dies führt uns dazu, zwei Hypothesen zu formulieren:
- Entweder kommt der Vorgang durch eine einzige Handlung zustande. Wenn der Handlung mehr als eine juristische Einstufung zugeordnet werden kann, was in der Praxis jedoch eher die Ausnahme zu sein scheint, kann die Verwaltung sich für die Einstufung entscheiden, die die Besteuerungsgrundlage wiederherstellt, falls die von den Parteien gewählte Einstufung allein dazu dient, die Steuer zu umgehen.
- Oder der Vorgang kommt durch zwei oder mehr getrennte oder aufeinanderfolgende Handlungen zustande. Die Verwaltung kann Steuern erheben, indem sie den Vorgängen eine juristische Einstufung ohne Berücksichtigung der den einzelnen Vorgängen verliehenen Einstufung verleiht, wenn die Verwaltung feststellt, dass diese Handlungen aus wirtschaftlicher Sicht den gleichen Vorgang betreffen. Es handelt sich um die englische Doktrin des ' step by step ', wonach ein Vorgang steuerlich global behandelt werden kann, indem die künstlichen Aufteilungen aufgehoben werden, so dass nur der Vorgang berücksichtigt wird, den die Parteien tatsächlich beabsichtigen. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, SS. 37-38)
B.5. Der Hof muss prüfen, ob die fragliche Bestimmung mit Artikel 170 § 1 der Verfassung vereinbar ist, der besagt:
« Eine Steuer zugunsten des Staates darf nur durch ein Gesetz eingeführt werden. »
B.6. Gemäss dem in Artikel 170 § 1 der Verfassung enthaltenen Legalitätsprinzip in Steuersachen darf eine Person nur einer Steuer unterliegen, wenn diese durch eine demokratisch gewählte beratende Versammlung beschlossen wurde, die alleine befugt ist, diese Steuer einzuführen.
B.7. Der Gesetzgeber hat selbst die in B.3.2 bis B.3.5 angegebenen strikten Bedingungen festgelegt, unter denen die in Artikel 344 § 1 des EStGB 1992 angeführte Massnahme zur Verwirklichung eines gesetzmässigen Ziels angewandt werden kann, nämlich die Bekämpfung der Steuerumgehung, ohne jedoch den Grundsatz, dass man die am wenigsten besteuerte Möglichkeit wählen kann, zu beeinträchtigen (B.3.1). Die Massnahme kann nicht als eine allgemeine Ermächtigungsbestimmung angesehen werden, die es der Verwaltung erlauben würde, durch eine allgemeine Massnahme selbst den Steuergegenstand festzulegen, sondern als ein Beweismittel, um in konkreten Fällen, gegebenenfalls unter Kontrolle des Richters, besondere Situationen individuell zu beurteilen.
Das verfassungsmässige Legalitätsprinzip in Steuersachen erfordert es in diesem Fall nicht, dass der Gesetzgeber die inhaltlichen Bedingungen für die Anwendung der Massnahme noch ausführlicher bestimmt, da dies aufgrund der eigentlichen Beschaffenheit des damit bekämpften Phänomens unmöglich ist.
B.8. Die präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Hof
erkennt für Recht:
Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 verstösst nicht gegen Artikel 170 § 1 der Verfassung.
Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Schiedshof, in der öffentlichen Sitzung vom 2. Februar 2005.
Der Kanzler,
(gez.) P.-Y. Dutilleux.
Der Vorsitzende,
(gez.) A. Arts.
Geschäftsverzeichnisnrn. 3113 und 3114
In Sachen : Präjudizielle Frage in bezug auf Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992, gestellt vom Gericht erster Instanz Hasselt.
Der Schiedshof,
zusammengesetzt aus den Vorsitzenden A. Arts und M. Melchior, und den Richtern L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Moerman, E. Derycke und J. Spreutels, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden A. Arts,
verkündet nach Beratung folgendes Urteil:
I. Gegenstand der präjudiziellen Frage und Verfahren
In zwei Urteilen vom 27. Oktober 2004 in Sachen der Jopo België KGaA bzw. der Hedra Holding AG gegen den Belgischen Staat und die Verwaltung der direkten Steuern, deren Ausfertigungen am 2. November 2004 in der Kanzlei des Schiedshofes eingegangen sind, hat das Gericht erster Instanz Hasselt folgende präjudizielle Frage gestellt:
« Verstösst Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 in der auf die Veranlagungsjahre [1997, 1998, 1999 und 2000] anwendbaren Fassung gegen Artikel 170 § 1 der Verfassung, der bestimmt, dass eine Steuer zugunsten des Staates nur durch ein Gesetz eingeführt werden darf, indem er der ausführenden Gewalt den Auftrag erteilt, oder wenigstens ermöglicht, entweder über eine selbst festzulegende Norm oder über eine auszufüllende Blankonorm, auf besteuerbare Umstände zu schliessen, und zwar ohne jegliche Simulation vonseiten des Steuerpflichtigen, alles unabhängig von einem abzuwickelnden Verfahren, und alles schliesslich unabhängig vom Bestehen bestimmter dem Steuerpflichtigen im Rahmen eines Verfahrens gesetzlich gewährter Rechte oder Möglichkeiten der Verteidigung oder des Gegenbeweises? »
Diese unter den Nummern 3113 und 3114 ins Geschäftsverzeichnis des Hofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.
Am 23. November 2004 haben die referierenden Richter L. Lavrysen und J. Spreutels in Anwendung von Artikel 72 Absatz 1 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Schiedshof den Hof davon in Kenntnis gesetzt, dass sie dazu veranlasst werden könnten, vorzuschlagen, ein Urteil in unverzüglicher Beantwortung zu verkünden.
(...)
III. In rechtlicher Beziehung
(...)
B.1. Das verweisende Rechtsprechungsorgan bittet den Hof zu prüfen, ob Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 (nachstehend: EStGB 1992) gegen Artikel 170 § 1 der Verfassung verstösst.
Artikel 344 § 1 des EStGB 1992, eingefügt durch Artikel 16 Nr. 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1993 zur Festlegung steuerrechtlicher und finanzieller Bestimmungen, besagt:
« Gegenüber der Verwaltung der direkten Steuern kann nicht die rechtliche Einstufung geltend gemacht werden, die die Parteien einer Handlung sowie getrennten Handlungen, die die gleiche Verrichtung zustande bringen, verleihen, wenn die Verwaltung durch Vermutung oder durch andere, in Artikel 340 angeführte Beweismittel feststellt, dass diese Einstufung dazu dient, die Steuer zu umgehen, es sei denn, der Steuerpflichtige beweist, dass diese Einstufung rechtmässigen finanziellen oder wirtschaftlichen Erfordernissen entspricht. »
B.2. Die fragliche Bestimmung bezweckt « die Einführung einer allgemeinen ' Massnahme gegen Rechtsmissbrauch ', wenn die Verwaltung feststellt, dass der Vorgang eindeutig durch Rechtshandlungen zustande gekommen ist, die es dem Steuerpflichtigen ermöglichen sollen, die Steuer zu umgehen » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 2). Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber die Anwendung der im Brepols-Urteil (Kass., 6. Juni 1961, Pas., 1961, I, 1082) festgehaltenen Rechtsprechung des Kassationshofes einschränken, wonach « die Grenze eines Steuerkonstruktes einzig in der Bedingung besteht, sich auf tatsächliche Situationen zu berufen » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 2).
B.3.1. Da « der Steuerpflichtige das Recht behält, bei der Verwirklichung von wirtschaftlich gerechtfertigten Vorgängen die am geringsten besteuerte Möglichkeit zu wählen » (ebenda), unterliegt die Anwendung der fraglichen Bestimmung verschiedenen strengen Bedingungen.
B.3.2. Zunächst ist erforderlich, dass das rechtliche Konstrukt, für das die Parteien sich entschieden haben, auf die Umgehung der Steuer ausgerichtet ist.
So wurde bei den Vorarbeiten erklärt, « dass der Text des Entwurfes lediglich die ständige Zunahme der Umgehungsmechanismen bekämpfen soll, die in juristischen Einstufungen mit dem einzigen Zweck der Umgehung der Steuer zum Ausdruck kommen » (ebenda; im gleichen Sinne Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, SS. 3 und 36), dass « in erster Linie die Verwaltung meist durch faktische Vermutungen, jedoch gegebenenfalls durch andere in Steuersachen zugelassene Beweismittel nachweisen muss, dass die den Handlungen durch die Parteien verliehene Einstufung lediglich die Umgehung der Steuer bezweckt » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3) und dass « die Wahl der juristischen Einstufung durch den Steuerpflichtigen ein ausschliesslich steuerliches Ziel haben muss, ungeachtet des erzielten Ergebnisses » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 38).
Dass dies die ausschliessliche Zielsetzung sein muss, wurde nicht während der gesamten Dauer der Vorarbeiten aufrechterhalten:
« Der Minister erklärt, dass es gleichzeitig rechtmässige finanzielle oder wirtschaftliche Bedürfnisse [...] sowie einen steuerlichen Zweck geben kann. Dieser Artikel verbietet es dem Steuerpflichtigen nicht, die am geringsten besteuerte Möglichkeit zu wählen, und es können verschiedene Gründe angeführt werden.
Deshalb wäre es unvorsichtig festzulegen, dass die Einstufung der Handlung lediglich zum Zweck hat, die Steuer zu umgehen, da man in diesem Fall von der Verwaltung einen unmöglichen Nachweis verlangen würde, weil sie nicht alle Gründe des Steuerpflichtigen kennt. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 53)
B.3.3. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Verwaltung selbst die Gründe der Steuerumgehung mit allen rechtlichen Mitteln nachweist (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3; Nr. 762-2, S. 38; Kammer, 1992-1993, Nr. 1072/8, S. 39). Sie muss nachweisen, dass der Zustand, in den der Steuerpflichtige sich zwecks Umgehung der Steuer durch sein rechtliches Konstrukt gebracht hat, dem nach Ansicht der Verwaltung vom Steuergesetz ins Auge gefassten Zustand derart nahekommt, dass der Zweck und die Tragweite dieses Gesetzes missachtet würden, wenn dieser Zustand in steuerlicher Hinsicht nicht auf diese Weise behandelt würden.
Zur Verdeutlichung wurde folgendes angeführt:
« Es reicht also nicht aus, dass die Verwaltung den Eindruck hat, dass der Steuerpflichtige sich für eine rechtliche Einstufung entschieden hat, um die Steuer zu umgehen. Es geht in diesem Fall also nicht um eine einseitige Feststellung. Aus diesem Grund wird im Text des Entwurfes das Wort ' Vermutung ' verwendet, da dies wahrscheinlich das am meisten angewandte Beweismittel sein wird. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 38)
B.3.4. Der Anwendungsbereich der fraglichen Bestimmung bleibt beschränkt auf « [Handlungen], die von einem Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner Tätigkeiten vorgenommen werden » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3), das heisst « Tätigkeiten, die einen Gewinn oder Vorteil verschaffen und grundsätzlich besteuerbar sind » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, S. 38). Es handelt sich nicht um die im Rahmen der Verwaltung von Privatvermögen vorgenommenen Handlungen, die in keiner Weise eine Auswirkung auf ein besteuerbares Element haben (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3, und Nr. 762-2, S. 38).
B.3.5. Der gegebenenfalls vom Steuerpflichtigen erbrachte Gegenbeweis muss sich auf die juristische Einstufung beziehen, so dass « der Steuerpflichtige den Beweis erbringen kann, dass tatsächlich rechtmässige finanzielle oder wirtschaftliche Bedürfnisse vorhanden sind, die der Einstufung zugrunde liegen » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-1, S. 3).
Der Steuerpflichtige muss somit rechtfertigen, warum er sich für die von der Verwaltung abgelehnte und nicht für die von der Verwaltung verteidigte juristische Einstufung entschieden hat:
« Der Minister bestätigt, dass die Wörter ' rechtmässigen finanziellen oder wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechen ' bedeuten, dass die angefochtene Einstufung jeder gültigen wirtschaftlichen Rechtfertigung in bezug auf den tatsächlich durchgeführten Vorgang entbehren muss. Mit anderen Worten, der Steuerpflichtige erbringt den Gegenbeweis, wenn er nachweist, dass ein ausreichender Zusammenhang zwischen der juristischen Einstufung und der wirtschaftlichen Tragweite des Vorgangs besteht. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, SS. 55-56)
B.4. Die Sanktion der Steuerumgehung besteht darin, dass die Verwaltung die juristische(n) Handlung(en) neu einstuft. Diese Massnahme wird wie folgt beschrieben:
« Bei der Kontrolle der Rechtmässigkeit wird heute in bezug auf die Methode von der juristischen Beschreibung von oben nach unten ausgegangen, d.h. von der Handlung zu den Folgen, die sich für die Parteien in Anwendung des Gemeinrechts daraus ergeben.
Mit der neuen Gesetzesbestimmung, die die juristische Beschreibung ausser acht lässt, wird die Kontrolle umgekehrt. Der Kontrolleur kann in Zukunft von den Fakten ausgehen mit einer Frage, d.h. um die Handlung einzustufen, muss er wissen, welche Folgen der von ihm - ausgehend von den Fakten - festgestellte Vorgang hat und welcher Zweck angestrebt wurde.
Die ratio legis der neuen Bestimmung besteht darin, es der Verwaltung zu ermöglichen, sich zu vergewissern, dass die Steuer auf der normalen juristischen Einstufung des Vorgangs zwischen den Parteien beruht. [...]
Dies führt uns dazu, zwei Hypothesen zu formulieren:
- Entweder kommt der Vorgang durch eine einzige Handlung zustande. Wenn der Handlung mehr als eine juristische Einstufung zugeordnet werden kann, was in der Praxis jedoch eher die Ausnahme zu sein scheint, kann die Verwaltung sich für die Einstufung entscheiden, die die Besteuerungsgrundlage wiederherstellt, falls die von den Parteien gewählte Einstufung allein dazu dient, die Steuer zu umgehen.
- Oder der Vorgang kommt durch zwei oder mehr getrennte oder aufeinanderfolgende Handlungen zustande. Die Verwaltung kann Steuern erheben, indem sie den Vorgängen eine juristische Einstufung ohne Berücksichtigung der den einzelnen Vorgängen verliehenen Einstufung verleiht, wenn die Verwaltung feststellt, dass diese Handlungen aus wirtschaftlicher Sicht den gleichen Vorgang betreffen. Es handelt sich um die englische Doktrin des ' step by step ', wonach ein Vorgang steuerlich global behandelt werden kann, indem die künstlichen Aufteilungen aufgehoben werden, so dass nur der Vorgang berücksichtigt wird, den die Parteien tatsächlich beabsichtigen. » (Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 762-2, SS. 37-38)
B.5. Der Hof muss prüfen, ob die fragliche Bestimmung mit Artikel 170 § 1 der Verfassung vereinbar ist, der besagt:
« Eine Steuer zugunsten des Staates darf nur durch ein Gesetz eingeführt werden. »
B.6. Gemäss dem in Artikel 170 § 1 der Verfassung enthaltenen Legalitätsprinzip in Steuersachen darf eine Person nur einer Steuer unterliegen, wenn diese durch eine demokratisch gewählte beratende Versammlung beschlossen wurde, die alleine befugt ist, diese Steuer einzuführen.
B.7. Der Gesetzgeber hat selbst die in B.3.2 bis B.3.5 angegebenen strikten Bedingungen festgelegt, unter denen die in Artikel 344 § 1 des EStGB 1992 angeführte Massnahme zur Verwirklichung eines gesetzmässigen Ziels angewandt werden kann, nämlich die Bekämpfung der Steuerumgehung, ohne jedoch den Grundsatz, dass man die am wenigsten besteuerte Möglichkeit wählen kann, zu beeinträchtigen (B.3.1). Die Massnahme kann nicht als eine allgemeine Ermächtigungsbestimmung angesehen werden, die es der Verwaltung erlauben würde, durch eine allgemeine Massnahme selbst den Steuergegenstand festzulegen, sondern als ein Beweismittel, um in konkreten Fällen, gegebenenfalls unter Kontrolle des Richters, besondere Situationen individuell zu beurteilen.
Das verfassungsmässige Legalitätsprinzip in Steuersachen erfordert es in diesem Fall nicht, dass der Gesetzgeber die inhaltlichen Bedingungen für die Anwendung der Massnahme noch ausführlicher bestimmt, da dies aufgrund der eigentlichen Beschaffenheit des damit bekämpften Phänomens unmöglich ist.
B.8. Die präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Hof
erkennt für Recht:
Artikel 344 § 1 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 verstösst nicht gegen Artikel 170 § 1 der Verfassung.
Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Schiedshof, in der öffentlichen Sitzung vom 2. Februar 2005.
Der Kanzler,
(gez.) P.-Y. Dutilleux.
Der Vorsitzende,
(gez.) A. Arts.