Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 1 März 2012 (België). RG 25/2012
- Section :
- Jurisprudence
- Source :
- Justel D-20120301-1
- Numéro de rôle :
- 25/2012
Résumé :
Der Gerichtshof erkennt für Recht: Artikel 289bis § 2 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 verstößt gegen die Artikel 10, 11 und 172 der Verfassung, insofern Gesellschaften, die die Merkmale eines KMB aufweisen, aber von der Anwendung von Artikel 215 Absatz 2 desselben Gesetzbuches ausgeschlossen sind, weil die ausgeschütteten Dividenden 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals übersteigen, von der Anwendung der Steuergutschrift ausgeschlossen werden.
Arrêt :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten R. Henneuse und M. Bossuyt, und den Richtern E. De Groot, A. Alen, J.-P. Snappe, T. Merckx-Van Goey und F. Daoût, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten R. Henneuse,
verkündet nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren
In seinem Entscheid vom 11. März 2011 in Sachen der « Balimmco » PGmbH gegen den belgischen Staat, dessen Ausfertigung am 15. März 2011 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Lüttich folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:
« Verstösst Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992, eingefügt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 20. Dezember 1995 zur Festlegung steuerrechtlicher, finanzieller und sonstiger Bestimmungen und abgeändert durch Artikel 28 des Gesetzes vom 4. Mai 1999 zur Festlegung verschiedener steuerrechtlicher Bestimmungen, gegen den in den Artikeln 10, 11 und 172 der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz, indem Gesellschaften, die die Merkmale eines KMB aufweisen, deren ausgeschüttete Dividenden aber 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals übersteigen, nicht in den Genuss der Anwendung der Steuergutschrift kommen können, während Gesellschaften, die die Merkmale eines KMB aufweisen, deren ausgeschüttete Dividenden aber nicht 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals übersteigen, wohl die in Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992 vorgesehene Steuergutschrift geniessen können? ».
(...)
III. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1. Befragt wird der Gerichtshof zur Vereinbarkeit von Artikel 289bis § 2 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 (nachstehend: EStGB 1992), eingefügt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 20. Dezember 1995 zur Festlegung steuerrechtlicher, finanzieller und sonstiger Bestimmungen und abgeändert durch Artikel 28 des Gesetzes vom 4. Mai 1999 zur Festlegung verschiedener steuerrechtlicher Bestimmungen, mit den Artikeln 10, 11 und 172 der Verfassung.
B.2.1. So wie er zum Zeitpunkt des Sachverhalts, mit dem der vorlegende Richter befasst wurde, anwendbar war, bestimmte Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992:
« Auf die gemäss Artikel 215 Absatz 2 berechnete Gesellschaftssteuer wird eine Steuergutschrift von 7,5 Prozent angerechnet - mit einem Höchstbetrag von 19.850 EUR - der Plusdifferenz zwischen:
- dem am Ende des Besteuerungszeitraums in bar eingezahlten Kapital
- und dem Höchstbetrag des am Ende irgendeines Besteuerungszeitraums in bar eingezahlten Kapitals, das früher berücksichtigt wurde, um die Bewilligung der Steuergutschrift zu bestimmen, oder in Ermangelung dem Höchstbetrag des in bar eingezahlten Kapitals am Ende eines der drei vorherigen Besteuerungszeiträume.
Im Falle einer Abtretung beziehungsweise Ubertragung durch Aktionäre, Verwalter, Geschäftsführer oder Gesellschafter der Gesellschaft, zu deren Gunsten die Abtretung beziehungsweise Ubertragung erfolgt, entweder von Gütern, die vorher zur Ausübung ihrer Berufstätigkeit genutzt wurden, oder von Aktien oder Anteilen, die Teil ihres Vermögens sind, oder von Gütern, die einer Gesellschaft gehörten, deren Aktionäre, Verwalter, Geschäftsführer oder Gesellschafter sie sind oder waren, wird nur der Betrag des in bar eingezahlten Kapitals, der den Preis der Abtretung beziehungsweise Ubertragung übersteigt, für die Anwendung von Absatz 1 berücksichtigt.
Vorhergehendes ist ebenfalls auf Abtretungen beziehungsweise Ubertragungen anwendbar, die von natürlichen oder juristischen Personen vorgenommen werden, die in eigenem Namen, aber für Rechnung einer vorhergehend erwähnten Person handeln ».
B.2.2. Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992 wurde seitdem durch Artikel 15 des Gesetzes vom 22. Juni 2005 zur Einführung eines Steuerabzugs für Risikokapital aufgehoben. Diese Aufhebung ist jedoch erst ab dem Steuerjahr 2007 in Kraft getreten. Sie wirkt sich also nicht auf den dem vorlegenden Richter unterbreiteten Streitfall aus, der sich auf das Steuerjahr 2005 bezieht.
B.3. Durch Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992 hat der Gesetzgeber ein neues System der Steuergutschrift eingeführt mit dem Ziel, « die Eigenfinanzierung kleiner und mittlerer Betriebe zu begünstigen » (Parl. Dok., Kammer, 1995-1996, Nr. 208/1, S. 2) und somit eine Antwort zu geben auf « eine Empfehlung der Europäischen Kommission, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Erhöhung der Eigenmittel der KMBs zu fördern » (Parl. Dok., Senat, 1995-1996, Nr. 1-187/4, S. 8).
Während der Vorarbeiten wurde erklärt:
« Gewinnrücklagen haben bereits zur Anwendung progressiv herabgesetzter Sätze der Gesellschaftssteuer geführt. Nur die Einbringung von neuem Kapital sollte noch gefördert werden. Dies ist der Zweck der Massnahme » (ebenda).
Die Regierung war der Auffassung, « dass die kleinen und mittleren Betriebe eine entscheidende Rolle im Rahmen der Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit und der Beschäftigung spielen können » (Parl. Dok., Kammer, 1995-1996, Nr. 208/1, S. 2).
Während der Vorarbeiten wurde ferner erklärt:
« Aus diesem Grund ist die Regierung der Auffassung, dass es angebracht ist, die Eigenfinanzierung dieser Unternehmen zu fördern sowohl bei Einzelunternehmen (Handels-, Industrie- oder Landwirtschaftsbetriebe, freie Berufe, als auch bei gewissen Gesellschaften (Gesellschaften, die Anspruch auf die Anwendung des ermässigten Satzes der Gesellschaftssteuer haben) » (ebenda).
B.4.1. Die fragliche Bestimmung gilt ausschliesslich für die Gesellschaften, deren Gesellschaftssteuer tatsächlich gemäss Artikel 215 Absatz 2 des EStGB 1992 berechnet wird, das heisst nach dem ermässigten Satz der Gesellschaftssteuer.
In der Fassung, die auf die vor dem vorlegenden Richter anhängige Streitsache anwendbar ist, bestimmte Artikel 215 des EStGB 1992:
« Der Gesellschaftssteuersatz wird auf 33 Prozent festgelegt.
Beträgt das steuerpflichtige Einkommen nicht mehr als 322.500 EUR, wird die Steuer jedoch wie folgt festgelegt:
1. auf den Teilbetrag von 0 bis 25.000 EUR: 24,25 Prozent,
2. auf den Teilbetrag von 25.000 EUR bis 90.000 EUR: 31 Prozent,
3. auf den Teilbetrag von 90.000 EUR bis 322.500 EUR: 34,5 Prozent.
Absatz 2 ist nicht anwendbar:
[...]
3. auf Gesellschaften, deren ausgeschüttete Dividenden 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals übersteigen,
[...] ».
B.4.2. Es wird die Frage gestellt, ob Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992 gegen die Artikel 10, 11 und 172 der Verfassung verstosse, insofern Gesellschaften, die die Merkmale kleiner und mittlerer Betriebe (nachstehend: KMBs) aufwiesen, aber von der Anwendung des in Artikel 215 Absatz 2 des EStGB 1992 vorgesehenen ermässigten Satzes der Gesellschaftssteuer ausgeschlossen seien, weil die ausgeschütteten Dividenden 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals überstiegen, nicht in den Genuss der Anwendung der Steuergutschrift kommen könnten, während Gesellschaften, die die Merkmale eines KMB aufwiesen, aber deren ausgeschüttete Dividenden nicht 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals überstiegen, wohl in den Genuss der in der fraglichen Bestimmung vorgesehenen Steuergutschrift kommen könnten.
B.5.1. Im Rahmen der in B.3 dargelegten Zielsetzung hat der Gesetzgeber
« mit Wirkung vom Steuerjahr 1997 den Gesellschaften, die Anspruch auf die in Artikel 215 Absatz 2 des EStGB 1992 angeführten ermässigten Sätze haben, einen neuen Steuervorteil gewährt, der mit der Erhöhung ihrer Eigenmittel verbunden ist und die Form einer Steuergutschrift von 7,5 %, mit einer Obergrenze von 800.000 Franken, aufweist. Mit der Erhöhung der Eigenmittel ist die Erhöhung des in bar eingezahlten Gesellschaftskapitals am Ende des Besteuerungszeitraums im Verhältnis zum höchsten Betrag, den das in bar eingezahlte Kapital am Ende eines der drei vorangegangenen Steuerzeiträume erreicht hat, gemeint » (Parl. Dok., Kammer, 1995-1996, Nr. 208/1, S. 2-3).
Diese Steuergutschrift wird mit der Gesellschaftssteuer verrechnet. Ein etwaiger Uberschuss wird nicht zurückgezahlt, kann aber übertragen und mit der Gesellschaftssteuer der drei folgenden Steuerjahre verrechnet werden (Artikel 292bis des EStGB 1992 in der auf die Streitsache vor dem vorlegenden Richter anwendbaren Fassung).
B.5.2. Die Begrenzung der Steuergutschrift auf die Gesellschaften, die in den Genuss des ermässigten Satzes der Gesellschaftssteuer gelangen, wurde durch Haushaltserwägungen gerechtfertigt:
« Der Minister deutet an, dass die geplante Massnahme ursprünglich auch für mittlere Betriebe einen viel grösseren Anreiz zur Verstärkung der Eigenmittel bot. Die Auswirkung auf den Haushalt musste durch die Abschaffung der ermässigten Sätze der Gesellschaftssteuer ausgeglichen werden.
Da man sich dafür entschieden hatte, diese ermässigten Sätze beizubehalten, wurde aus offensichtlichen Haushaltsgründen der Anwendungsbereich der Massnahme begrenzt und die finanzielle Auswirkung ausgeglichen [...] » (Parl. Dok., Kammer, 1995-1996, Nr. 208/8, S. 27; siehe gleichartige Erklärung des Ministers im Senat, Parl. Dok., Senat, 1995-1996, Nr. 1-187/4, S. 14).
B.6. Es ist zwar gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber für die KMBs ein abweichendes System aufgrund seiner Zielsetzung vorsieht, doch der Gerichtshof muss prüfen, ob das Kriterium, das er hierzu gewählt hat, nicht einen ungerechtfertigten Behandlungsunterschied zur Folge hat. Um mit den Artikeln 10, 11 und 172 der Verfassung vereinbar zu sein, muss das Kriterium, auf dem der fragliche Behandlungsunterschied beruht, sachdienlich sein hinsichtlich des Gegenstands der betreffenden Massnahme und des damit angestrebten Ziels.
B.7.1. Die Massnahme, die darauf abzielt, Gesellschaften, deren ausgeschüttete Dividenden 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals übersteigen, von dem im vorerwähnten Artikel 215 Absatz 2 des EStGB 1992 vorgesehenen ermässigten Satz der Gesellschaftssteuer auszuschliessen, wurde in den Vorarbeiten wie folgt begründet:
« Zur Unterbindung von Bestrebungen zur Steuerumgehung seitens in Gesellschaftsform betriebener Familienunternehmen, die einen Teil der normalen Entlohnung der Betreiber in Dividenden oder in Kapitalerträge umwandeln, für die der befreiende Mobiliensteuervorabzug gilt, meint die Regierung, dass es angebracht - und ausreichend - ist, diese Gesellschaften nicht mehr zu den bisherigen ermässigten Sätzen der Gesellschaftssteuer zu unterwerfen, wenn die Vergütung des zu Beginn des Besteuerungszeitraums tatsächlich eingezahlten und zurückzuzahlenden Kapitals 13 Prozent übersteigt, d.h. wenn der Betrag der Dividenden oder Kapitalerträge 13 Prozent dieses Kapitals übersteigt » (Parl. Dok., Kammer, 1983-1984, Nr. 758/1, S. 4, und Nr. 458/15, S. 49).
B.7.2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der in Artikel 215 Absatz 3 Nr. 3 des EStGB 1992 vorgesehenen Massnahme eine spezifische steuerliche Zielsetzung verfolgen wollte, ohne die Absicht gehabt zu haben, den Begriff « KMB » zu definieren.
Die Begründung des Gesetzes vom 31. Juli 2004, das mehrere Bestimmungen des EStGB 1992 geändert hat, um dem Entscheid Nr. 59/2004 - bestätigt durch den Entscheid Nr. 162/2006 - des Gerichtshofes Rechnung zu tragen, bekräftigt übrigens diese Feststellung:
« Was insbesondere Artikel 215 Absatz 3 des EStGB 1992 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass er lediglich zum Zweck hat, die Kriterien festzulegen, die Gesellschaften erfüllen müssen, um in den Genuss des ermässigten Satzes nach Artikel 215 Absatz 2 des EStGB 1992 zu gelangen, und nicht darauf abzielt, den Begriff des KMB zu definieren » (Parl. Dok., Kammer, 2003-2004, DOC 51-1197/001, S. 6).
B.8. Wie der Ministerrat in seinem Schriftsatz hervorhebt, fördert das Kriterium, das darauf abzielt, die Dividendenausschüttung im Verhältnis zum eingezahlten Kapital der Gesellschaft zu begrenzen, zwar die Bildung von Eigenmitteln und lehnt es sich demzufolge an das in B.3 beschriebene, vom Gesetzgeber bei der Anwendung einer Steuergutschrift auf die KMBs verfolgte Ziel an.
Die Anwendung des Kriteriums, das in der fraglichen Bestimmung gewählt wurde, hat jedoch zur Folge, dass gewisse KMBs nicht in den Vorteil der Steuergutschrift gelangen können, obwohl sie sich hinsichtlich der für sie durch den Gesetzgeber angestrebten spezifischen Zielsetzung in einer gleichartigen Lage befinden wie die KMBs, die wohl in den Genuss der Steuergutschrift gelangen.
B.9. Daraus ergibt sich, dass das angewandte Kriterium nicht sachdienlich ist hinsichtlich der in B.3 dargelegten Zielsetzung der Förderung der KMBs und dass Artikel 289bis § 2 des EStGB 1992 in diesem Masse mit den Artikeln 10, 11 und 172 der Verfassung unvereinbar ist.
Die Vorabentscheidungsfrage ist bejahend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Gerichtshof
erkennt für Recht:
Artikel 289bis § 2 des Einkommensteuergesetzbuches 1992 verstösst gegen die Artikel 10, 11 und 172 der Verfassung, insofern Gesellschaften, die die Merkmale eines KMB aufweisen, aber von der Anwendung von Artikel 215 Absatz 2 desselben Gesetzbuches ausgeschlossen sind, weil die ausgeschütteten Dividenden 13 Prozent des zu Beginn des Besteuerungszeitraums eingezahlten Kapitals übersteigen, von der Anwendung der Steuergutschrift ausgeschlossen werden.
Verkündet in französischer und niederländischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 1. März 2012.
Der Kanzler,
P.-Y. Dutilleux.
Der Präsident,
R. Henneuse.