Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 20 Oktober 2016 (België). RG 131/2016
- Section :
- Jurisprudence
- Source :
- Justel D-20161020-4
- Numéro de rôle :
- 131/2016
Résumé :
Der Gerichtshof erkennt für Recht: 1. - Die Artikel 479 bis 482bis des Strafprozessgesetzbuches verstoßen gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Sache nach der Beendigung der vom Kassationshof geforderten Untersuchung nicht an diesen Gerichtshof zurückzuverweisen ist, wobei der Generalprokurator beim Appellationshof dafür zuständig ist, zu entscheiden, ob die Sache an das erkennende Gericht zu verweisen ist oder nicht. - Die Artikel 479 bis 482bis des Strafprozessgesetzbuches verstoßen nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Sache nach der Beendigung der vom Kassationshof geforderten Untersuchung an diesen Gerichtshof zurückzuverweisen ist, der im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens die Regelung des Verfahrens vornehmen und dabei die Zulänglichkeit der Belastungstatsachen sowie die Regelmäßigkeit des Verfahrens beurteilen wird. 2. Die zweite Vorabentscheidungsfrage bedarf keiner Antwort, insofern sie die Artikel 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches betrifft.
Arrêt :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten J. Spreutels und E. De Groot, und den Richtern L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul und T. Giet, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten J. Spreutels,
erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfragen und Verfahren
In seinem Entscheid vom 31. März 2015 in Sachen der Staatsanwaltschaft gegen O.L. und andere, dessen Ausfertigung am 2. April 2015 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat Appellationshof Brüssel folgende Vorabentscheidungsfragen gestellt:
« 1. Verstoßen die Artikel 479 bis 482bis des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem sie den darin erwähnten Magistraten und ihren Mittätern und Komplizen das Recht versagen, die Regelmäßigkeit der ihnen gegenüber geführten Untersuchung im Laufe dieser Untersuchung von der Anklagekammer überprüfen zu lassen, sowie das Recht, vor der Anklagekammer Beschwerden gegen Entscheidungen, die vom Untersuchungsmagistrat hinsichtlich der von ihnen ihm vorgelegten Antragschriften getroffen wurden, einzulegen, während die Artikel 6 und 29 von jedem der beiden Gesetze vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der [föderalen] Minister einerseits und der Mitglieder der Gemeinschafts- oder Regionalregierungen andererseits diese Rechte den Letztgenannten, ihren Mittätern und Komplizen wohl zuerkennen?
2. Verstoßen die Artikel 479, 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem sie vorsehen, dass nach Ablauf einer Untersuchung, die den darin erwähnten Magistraten und ihren Mittätern und Komplizen gegenüber geführt wird, der Generalprokurator allein und ohne die Beteiligung der Anklagekammer über die dem Verfahren zu leistenden Folge entscheidet, wobei somit den genannten Magistraten, Mittätern und Komplizen der Vorteil jener Regel versagt wird, wonach jede Untersuchung zu einer Beurteilung der Belastungstatsachen durch ein Untersuchungsgericht führt (Regelung des Verfahrens), während für die [föderalen] Minister und für die Mitglieder der Gemeinschafts- oder Regionalregierungen, ihre Mittäter und Komplizen die Gesetze vom 25. Juni 1998 zur Regelung ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit in deren Artikeln 9, 16, und 29 wohl eine solche Regelung des Verfahrens organisieren? ».
(...)
III. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1.1. In einer ersten Vorabentscheidungsfrage wird der Gerichtshof gebeten, sich zur Vereinbarkeit der Artikel 479 bis 482bis des Strafprozessgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung zu äußern, insofern sie den darin erwähnten Magistraten und ihren Mittätern und Komplizen das Recht versagen würden, die Regelmäßigkeit der ihnen gegenüber geführten Untersuchung im Laufe dieser Untersuchung von der Anklagekammer überprüfen zu lassen, sowie das Recht, vor der Anklagekammer Beschwerden gegen Entscheidungen, die vom Untersuchungsmagistrat hinsichtlich der von ihnen ihm vorgelegten Antragschriften getroffen worden seien, einzulegen, während die Artikel 6 und 29 des ordentlichen Gesetzes und des Sondergesetzes vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der föderalen Minister beziehungsweise der Mitglieder der Gemeinschafts- oder Regionalregierungen diese Rechte den vorerwähnten Ministern und ihren Mittätern und Komplizen wohl zuerkennen würden.
B.1.2. In einer zweiten Vorabentscheidungsfrage wird der Gerichtshof gebeten, sich zur Vereinbarkeit der Artikel 479, 483 und 503bis desselben Gesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung zu äußern, insofern sie vorsähen, dass nach Ablauf einer Untersuchung, die den Magistraten und ihren Mittätern und Komplizen gegenüber geführt werde, der Generalprokurator allein über die dem Verfahren zu leistenden Folge entscheide, ohne dass die Untersuchung Anlass zu einer Beurteilung der Belastungstatsachen durch die Anklagekammer bei der Regelung des Verfahrens gebe, während für die föderalen Minister und die Gemeinschafts- oder Regionalminister und ihre Mittäter und Komplizen die Artikel 9, 16 und 29 des ordentlichen Gesetzes und des Sondergesetzes vom 25. Juni 1998 eine Regelung des Verfahrens durch die Anklagekammer vorsähen.
B.2.1. Die fraglichen Artikel 479 bis 482bis, 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches, die Bestandteil von Kapitel III (« Von Richtern außerhalb ihres Amtes und in der Ausübung ihres Amtes begangene Verbrechen ») von Titel IV (« Einige Sonderverfahren ») von Buch II dieses Gesetzbuches sind, bestimmen:
« Art. 479. Wenn ein Friedensrichter, ein Richter am Polizeigericht, ein Richter am Gericht Erster Instanz, am Arbeitsgericht oder am Handelsgericht, ein Gerichtsrat am Appellationshof oder am Arbeitsgerichtshof, ein Gerichtsrat am Kassationshof, ein Magistrat der Staatsanwaltschaft bei einem Gericht oder Gerichtshof, ein Referent am Kassationshof, ein Mitglied des Rechnungshofs, ein Mitglied des Staatsrates, des Auditorats oder des Koordinationsbüros beim Staatsrat, ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs, ein Referent an diesem Gerichtshof, die Mitglieder des Rats für Ausländerstreitsachen, ein Provinzgouverneur beschuldigt werden, außerhalb ihres Amtes eine Straftat begangen zu haben, die eine Korrektionalstrafe mit sich bringt, lässt der Generalprokurator beim Appellationshof sie vor diesen Gerichtshof laden, der entscheidet, ohne dass Berufung eingelegt werden kann.
Art. 480. Wenn es um eine Straftat geht, auf die eine Kriminalstrafe steht, bestellt der Generalprokurator beim Appellationshof den Magistrat, der das Amt des Gerichtspolizeioffiziers ausüben wird, und der Erste Präsident dieses Gerichtshofes den Magistrat, der das Amt des Untersuchungsrichters ausüben wird.
Art. 481. Wenn ein Mitglied eines Appellationshofes oder ein Amtsträger der Staatsanwaltschaft bei diesem Gerichtshof beschuldigt wird, außerhalb seines Amts ein Vergehen oder ein Verbrechen begangen zu haben, ist der Amtsträger, der die Anzeigen oder Klagen entgegengenommen hat, verpflichtet, unverzüglich Abschriften davon an den Minister der Justiz zu senden, ohne die Untersuchung zu verzögern, die, wie in den vorhergehenden Bestimmungen geregelt, fortgesetzt wird, und muss er ebenfalls dem Minister der Justiz eine Abschrift der Aktenstücke zusenden.
Art. 482. Der Minister der Justiz übermittelt die Aktenstücke an den Kassationshof, der die Sache, wenn dazu Grund besteht, entweder an ein Korrektionalgericht oder an einen Untersuchungsrichter verweist, wobei sowohl das Gericht als auch der Richter außerhalb des Bereichs des Gerichtshofes, dem das beschuldigte Mitglied angehört, zu bestimmen sind.
Wenn eine Versetzung in den Anklagezustand ausgesprochen werden muss, erfolgt die Verweisung an einen anderen Appellationshof.
Art. 482bis. Die Mittäter und Komplizen der Straftat, wegen deren ein Amtsträger mit der in Artikel 479 angegebenen Eigenschaft verfolgt wird, und die Urheber der damit zusammenhängenden Straftaten werden gleichzeitig mit dem Beamten verfolgt und es wird gleichzeitig über sie gerichtet.
Absatz 1 ist jedoch nicht auf Urheber von Verbrechen, politischen Delikten und Pressedelikten anwendbar, die mit der Straftat, wegen deren der Beamte verfolgt wird, zusammenhängen ».
« Art. 483. Wenn ein Friedensrichter, ein Richter am Polizeigericht, ein Richter am Gericht Erster Instanz, am Arbeitsgericht oder am Handelsgericht, ein Gerichtsrat am Appellationshof oder am Arbeitsgerichtshof, ein Gerichtsrat am Kassationshof, ein Magistrat der Staatsanwaltschaft bei einem Gericht oder Gerichtshof, ein Referent am Kassationshof, ein Mitglied des Rechnungshofs, ein Mitglied des Staatsrates, des Auditorats oder des Koordinationsbüros beim Staatsrat, ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs, ein Referent an diesem Gerichtshof, die Mitglieder des Rats für Ausländerstreitsachen, ein Provinzgouverneur beschuldigt werden, in der Ausübung ihres Amtes eine Straftat begangen zu haben, die eine Korrektionalstrafe mit sich bringt, wird diese Straftat verfolgt und wird darüber entschieden, wie in Artikel 479 bestimmt ».
« Art. 503bis. Die Mittäter und Komplizen der im vorliegenden Abschnitt erwähnten Straftat, wegen deren ein Beamter mit der in Artikel 483 angegebenen Eigenschaft oder ein in Artikel 485 erwähntes Gericht verfolgt wird, und die Urheber der damit zusammenhängenden Straftaten werden gleichzeitig mit dem Beamten oder dem Gericht verfolgt und es wird gleichzeitig über sie gerichtet.
Absatz 1 ist jedoch nicht auf Urheber von Verbrechen, politischen Delikten und Pressedelikten anwendbar, die mit der Straftat, wegen deren der Beamte oder das Gericht verfolgt wird, zusammenhängen ».
B.2.2. Die in den Vorabentscheidungsfragen ebenfalls erwähnten Artikel 6, 9, 16 und 29 des Gesetzes vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Minister bestimmen:
« Art. 6. Die Regeln in Sachen Strafverfahren, die den durch vorliegendes Gesetz vorgeschriebenen Verfahrensformen nicht zuwiderlaufen, werden ebenfalls eingehalten ».
« Art. 9. Wenn der Generalprokurator keine weiteren gerichtlichen Untersuchungshandlungen verlangt, beantragt er die Regelung des Verfahrens vor der Anklagekammer des zuständigen Appellationshofes, sofern die Abgeordnetenkammer dazu die Genehmigung erteilt hat ».
« Art. 16. Wenn die Anklagekammer der Ansicht ist, dass die Tat weder ein Verbrechen noch ein Vergehen noch eine Übertretung ist oder dass keinerlei Belastungstatsache gegen den Beschuldigten besteht, erklärt sie, dass es keinen Grund zur Verfolgung gibt.
Sie kann, wenn nötig, zusätzliche gerichtliche Untersuchungshandlungen anordnen.
Wenn die Anklagekammer der Ansicht ist, dass ausreichende Belastungstatsachen gegen den Beschuldigten bestehen, verweist sie ihn an den zuständigen Appellationshof ».
« Art. 29. Die Mittäter und Komplizen der Straftat, wegen deren der Minister verfolgt wird, und die Urheber der damit zusammenhängenden Straftaten werden gleichzeitig mit dem Minister verfolgt und es wird gleichzeitig über sie gerichtet.
Der vorhergehende Absatz ist jedoch nicht auf Urheber von Verbrechen, politischen Delikten und Pressedelikten anwendbar, die mit der Straftat, wegen deren der Minister verfolgt wird, zusammenhängen ».
In den Artikeln 6, 9, 16 und 29 des Sondergesetzes vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Mitglieder der Gemeinschafts- oder Regionalregierungen sind identische Regeln vorgesehen, wobei kein Einschreiten der Abgeordnetenkammer, sondern vielmehr des Parlaments, vor dem das betreffende Mitglied verantwortlich ist oder war, vorgesehen ist, um die Genehmigung zur Verfolgung zu erteilen.
In Bezug auf die Einreden
B.3.1. Der Ministerrat führt an, dass die zweite Vorabentscheidungsfrage keine Antwort erfordere, da sie Bestimmungen betreffe, die offensichtlich nicht auf die vor dem vorlegenden Richter anhängigen Streitsache anwendbar seien. Er führt ebenfalls an, dass die Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen offensichtlich nicht sachdienlich zur Lösung der Streitsache sei, insofern sie sich auf andere Magistrate als diejenigen des Appellationshofes bezögen.
B.3.2. Es obliegt dem vorlegenden Richter, die Bestimmungen zu ermitteln, die auf die Streitsache anwendbar sind, mit der er befasst wurde; die Parteien sind nicht ermächtigt, diese Entscheidung vor dem Gerichtshof anzufechten. Der Gerichtshof könnte im Übrigen nur auf die Beantwortung der ihm gestellten Frage verzichten, wenn die Antwort auf diese Frage offensichtlich nicht zur Lösung dieser Streitsache sachdienlich ist.
B.3.3. Aus der Vorlageentscheidung geht deutlich hervor, dass die Straftaten, die dem stellvertretenden Magistrat zur Last gelegt werden, Handlungen betreffen, die außerhalb der Ausübung seines Amtes begangen wurden. Da die Artikel 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches sich auf das Verfahren beziehen, das für Magistrate gilt, die beschuldigt werden, in Ausübung ihres Amtes eine Straftat begangen zu haben, sowie für ihre Mittäter und Komplizen, weisen diese Bestimmungen keine Verbindung zu dem Sachverhalt auf, der dem vorlegenden Richter unterbreitet wurde.
Folglich sind die in der zweiten Vorabentscheidungsfrage in Rede stehenden Artikel 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches nicht anwendbar auf die vor dem vorlegenden Richter anhängige Streitsache, sodass die Beantwortung dieser Frage, insofern sie diese Bestimmungen betrifft, offensichtlich nicht sachdienlich zur Lösung dieser Streitsache ist.
B.3.4. Die zweite Vorabentscheidungsfrage erfordert keine Antwort, insofern sie die Artikel 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches betrifft.
B.3.5. Wie der Ministerrat im Übrigen bemerkt, betrifft die vor dem vorlegenden Richter anhängige Streitsache einen stellvertretenden Gerichtsrat an einem Appellationshof. Für die Mitglieder der Appellationshöfe gelten jedoch spezifische Regeln. Der Gerichtshof begrenzt daher die Prüfung der fraglichen Bestimmungen auf diese Magistrate.
B.4.1. Der betreffende stellvertretende Gerichtsrat am Appellationshof, der siebte Angeklagte vor dem vorlegenden Richter, bemerkt in seinem Schriftsatz, dass die stellvertretenden Magistrate nicht in der erschöpfenden Auflistung von Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches angeführt seien, sodass das darin vorgesehene « Gerichtsbarkeitsvorrecht » nicht auf diese Kategorie von Magistraten anwendbar sei und folglich die beiden Vorabentscheidungsfragen für gegenstandslos zu erklären seien.
B.4.2. In Artikel 479 des Strafprozessgesetzbuches sind die Magistrate bestimmt, die dem besonderen Verfahren des « Gerichtsbarkeitsvorrechts » unterliegen, so wie es durch die Artikel 479 ff. dieses Gesetzbuches geregelt wird.
Obwohl die stellvertretenden Gerichtsräte am Appellationshof nicht ausdrücklich in dieser Bestimmung erwähnt sind, wird angenommen, dass das « Gerichtsbarkeitsvorrecht » auf die stellvertretenden Magistrate unter den gleichen Bedingungen anwendbar ist wie für die effektiven Magistrate im Sinne von Artikel 479 (Kass., 7. April 1975, Pas., 1975, I, S. 722; Kass., 29. November 2011, Pas., 2011, Nr. 650; Kass., 12. März 2013, Pas., 2013, Nr. 174).
B.4.3. Die Einrede wird abgewiesen.
Zur Hauptsache
B.5.1. Die Artikel 479 bis 503bis des Strafprozessgesetzbuches sehen ein vom allgemeinen Strafprozessrecht abweichendes Verfahren für von Magistraten und bestimmten anderen Inhabern öffentlicher Ämter begangene Straftaten vor. Dieses besondere Verfahren, das das so genannte « Gerichtsbarkeitsvorrecht » beinhaltet, wurde im Hinblick auf die Gewährleistung einer unparteiischen und sachlichen Rechtspflege bezüglich dieser Personen eingeführt. Die besonderen Regeln hinsichtlich der Untersuchung, Verfolgung und Aburteilung sollen verhindern, dass einerseits leichtfertige, ungerechtfertigte oder schikanöse Verfolgungen gegen die betreffenden Personen eingeleitet werden, und andererseits, dass dieselben Personen entweder zu streng oder zu nachsichtig behandelt werden.
B.5.2. Aufgrund des fraglichen Artikels 479 des Strafprozessgesetzbuches ist nur der Generalprokurator beim Appellationshof befugt, die Strafverfolgung zu Lasten der in dieser Bestimmung erwähnten Magistrate, die verdächtigt werden, ein Vergehen oder ein Verbrechen begangen zu haben, einzuleiten.
Wenn der Generalprokurator beim Appellationshof der Auffassung ist, dass eine gerichtliche Untersuchung wünschenswert ist, bittet er den Ersten Präsidenten des Appellationshofes, den Magistrat zu bestellen, der das Amt des Untersuchungsrichters ausüben wird (Artikel 480 des Strafprozessgesetzbuches und Kass., 31. Juli 1882, Pas., 1882, I, 332). Obwohl Artikel 480 nur die Verbrechen betrifft, wird angenommen, dass eine gerichtliche Untersuchung unter den gleichen Bedingungen für ein Vergehen möglich ist (Kass., 31. Juli 1882, Pas., 1882, I, 332). Am Ende der Ermittlung oder der gerichtlichen Untersuchung entscheidet nur der Generalprokurator, ohne Eingreifen eines Untersuchungsgerichts, über den weiteren Verlauf des Verfahrens. Er kann dabei beschließen, nicht weiter zu verfolgen, oder, wenn er der Auffassung ist, dass ausreichende Belastungstatsachen vorliegen, durch direkte Ladung den Appellationshof befassen, der in erster und letzter Instanz urteilt. Nur wenn der Generalprokurator der Auffassung ist, dass die Sache an den Assisenhof verwiesen werden muss, muss er gemäß dem allgemeinen Recht die Regelung des Verfahrens durch die Anklagekammer beantragen (Artikel 217 ff. des Strafprozessgesetzbuches).
B.5.3. Zusätzliche Garantien sind in Bezug auf die Magistrate der Appellationshöfe vorgesehen.
So ist im fraglichen Artikel 481 des Strafprozessgesetzbuches vorgesehen, dass die Anzeigen oder Klagen, die in Bezug auf ein Vergehen oder Verbrechen eingegangen sind, das durch einen Magistrat des Appellationshofes außerhalb der Ausübung seines Amtes begangen wurde, an den Minister der Justiz weitergeleitet werden. Abschriften der bereits durchgeführten gerichtlichen Untersuchungshandlungen müssen ebenfalls dem Minister übermittelt werden.
Dieser übermittelt die Schriftstücke anschließend an den Kassationshof, der in der Ratskammer urteilend über den weiteren Verfahrensverlauf entscheidet (Artikel 482 des Strafprozessgesetzbuches). Dieser kann also beschließen, dass die Sache nicht zu verweisen ist, weil keine Straftat oder keine ausreichenden Belastungstatsachen vorliegen (Kass., 5. Februar 2002, Pas., 2002, SS. 365-366). Er kann ebenfalls beschließen, dass eine zusätzliche Untersuchung erforderlich ist, und die Sache an den Ersten Präsidenten eines anderen Appellationshofes als derjenige des Bereichs des betreffenden Magistrats verweisen, damit er einen Magistrat bestellt, der das Amt des Untersuchungsrichters ausüben wird (Kass., 21. Juni 1995, Pas., 1995, I, S. 672). Schließlich kann der Kassationshof die Sache auch direkt an den Appellationshof eines anderen Bereichs als derjenige, dem der betreffende Magistrat angehört, oder gegebenenfalls an die Anklagekammer eines anderen Appellationshofes verweisen, wenn die Sache an den Assisenhof verwiesen wird.
B.5.4. Aufgrund des fraglichen Artikels 482bis des Strafprozessgesetzbuches werden die Mittäter und Komplizen der Straftat, wegen deren ein Magistrat im Sinne von Artikel 479 dieses Gesetzbuches verfolgt wird, gleichzeitig mit diesem Magistrat verfolgt und es wird gleichzeitig über sie gerichtet. Sie unterliegen also ebenfalls dem Sonderverfahren, so wie es im Rahmen des Systems des « Gerichtsbarkeitsvorrechts » in den fraglichen Artikeln 479 bis 482 des Strafprozessgesetzbuches geregelt ist.
B.6.1. Im Gesetz vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Minister und im Sondergesetz vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Mitglieder der Gemeinschafts- oder Regionalregierungen (nachstehend: das ordentliche Gesetz und das Sondergesetz vom 25. Juni 1998) ist ein Sonderverfahren für die Straftaten vorgesehen, die durch Minister in der Ausübung ihres Amtes oder außerhalb der Ausübung ihres Amtes begangen wurden, über die jedoch im Laufe der Ausübung ihres Amtes geurteilt wird.
Bei der Annahme der Regeln über das « Gerichtsbarkeitsvorrecht » der Minister wollte der Gesetzgeber das bestehende System des « Gerichtsbarkeitsvorrechts » der Magistrate übernehmen:
« Nach der Abwägung der verschiedenen Alternativen ist man zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es nicht opportun ist, eine neue Regelung nur für die Beurteilung von Ministern vorzusehen. Aus diesem Grund hat man sich für die Regelung des Gerichtsbarkeitsvorrechts entschieden, so wie sie derzeit für die Richter und die anderen in den Artikeln 479 ff. des Strafprozessgesetzbuches aufgelisteten Personen besteht, da die Philosophie, die diesem Gerichtsbarkeitsvorrecht zugrunde liegt, sich als einwandfrei auf die Minister anwendbar erweist » (Parl. Dok, Kammer, 1997-1998, Nr. 1258/1, S. 5).
« Das System des Gerichtsbarkeitsvorrechts wird auf die Minister anwendbar gemäß der für Magistrate geltenden Regelung (Artikel 479 ff. des Strafprozessgesetzbuches), was bedeutet, dass über die Betreffenden direkt durch den Appellationshof geurteilt wird » (Parl. Dok, Kammer, 1997-1998, Nr. 1258/5, S. 6).
B.6.2. Obwohl der Gesetzgeber also die Regelungen des « Gerichtsbarkeitsvorrechts », die für die Magistrate und Minister gelten, einander annähern wollte, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Systemen hinsichtlich der Regelung über die strafrechtliche Untersuchung.
Zwar ist für die Minister der Generalprokurator beim Appellationshof alleine befugt, die Strafverfolgung einzuleiten, wird die gerichtliche Untersuchung durch einen Magistrat geführt, der durch den Ersten Präsidenten des zuständigen Appellationshofes bestimmt wird, und ist alleine der Appellationshof befugt, in erster und letzter Instanz über die Minister zu urteilen (Artikel 103 Absatz 4 und 125 Absatz 4 der Verfassung und die Artikel 3 und 4 des ordentlichen Gesetzes und des Sondergesetzes vom 25. Juni 1998). Im Unterschied zu den Magistraten ist jedoch für die Minister nach dem Abschluss der gerichtlichen Untersuchung eine Regelung des Verfahrens durch die Anklagekammer des zuständigen Appellationshofes vorgesehen, die entscheiden kann, dass kein Anlass zur weiteren Verfolgung besteht, zusätzliche gerichtliche Untersuchungshandlungen anordnen kann oder die Sache an den zuständigen Appellationshof verweisen kann (Artikel 9 und 16 des ordentlichen Gesetzes und des Sondergesetzes vom 25. Juni 1998). Außerdem muss der Generalprokurator beim Appellationshof, sowohl für den Antrag auf Regelung des Verfahrens als auch für die direkte Ladung, vorher die Genehmigung des Parlaments erhalten, vor dem der Minister verantwortlich ist oder war (Artikel 10, 11 und 13 des ordentlichen Gesetzes und des Sondergesetzes vom 25. Juni 1998).
B.7. Die beiden Vorabentscheidungsfragen betreffen gewisse dieser Behandlungsunterschiede zwischen Magistraten und Ministern. Insbesondere wird der Gerichtshof in Bezug auf die Vereinbarkeit der fraglichen Bestimmungen mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung befragt, insofern darin für die Magistrate sowie ihre Mittäter und Komplizen nicht das Eingreifen eines Untersuchungsgerichts vorgesehen sei, weder im Laufe der strafrechtlichen Untersuchung, die in Bezug auf sie durchgeführt werde, um die Regelmäßigkeit des Verfahrens zu kontrollieren, und als Beschwerdeinstanz über die Entscheidungen des als Untersuchungsrichter bestimmten Magistrats zu befinden, noch beim Abschluss der gerichtlichen Untersuchung, um das Verfahren zu regeln, während im ordentlichen Gesetz und im Sondergesetz vom 25. Juni 1998 für die Minister sowie ihre Mittäter und Komplizen ein solches Eingreifen eines Untersuchungsgerichts vorgesehen sei.
B.8. Es obliegt grundsätzlich dem Gesetzgeber zu bestimmen, für welche öffentlichen Ämter Regeln vorzusehen sind, die von den gewöhnlichen Regeln des Strafverfahrens abweichen, um die Ziele des Allgemeininteresses zu erreichen, wie sie in B.5.1 erwähnt sind.
Der Umstand, dass unterschiedliche Verfahrensregeln im Rahmen des Systems des « Gerichtsbarkeitsvorrechts » für Magistrate und Minister vorgesehen sind, kann an sich nicht als Diskriminierung betrachtet werden. Es würde nur eine Diskriminierung vorliegen, wenn der Behandlungsunterschied, der sich aus der Anwendung dieser Verfahrensregeln ergibt, zu einer übermäßigen Einschränkung der Rechte der betroffenen Personen führen würde.
B.9. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt hat, stellt der Umstand, dass die Staaten den Magistraten im Allgemeinen « Gerichtsbarkeitsvorrechte » gewähren, eine langjährige Praxis dar, die dazu dient, das ordnungsgemäße Funktionieren der Justiz zu gewährleisten. Was insbesondere die spezifischen Regeln in Belgien über die Untersuchung, die Verfolgung und die Beurteilung betrifft, die das « Gerichtsbarkeitsvorrecht » beinhaltet, hat der Europäische Gerichtshof hervorgehoben, dass durch diese Regeln vermieden werden soll, dass einerseits leichtfertige, ungerechtfertigte oder schikanöse Verfolgungen gegen Personen eingeleitet werden, auf die diese Regelung Anwendung findet, und andererseits, dass die gleichen Personen mit allzu großer Strenge oder allzu großer Milde behandelt würden. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes sind solche Ziele als legitim zu betrachten (EuGHMR, 15. Oktober 2003, Ernst und andere gegen Belgien, § 50).
Der Europäische Gerichtshof hat im Übrigen geurteilt, dass das « Gerichtsbarkeitsvorrecht », das durch die nationalen Behörden geregelt wird, nicht gegen Artikel 6 der Europäischen Konvention verstößt, sofern die gewährleisteten Rechte, die den Begünstigten entzogen werden, vernünftig durch andere Mittel ausgeglichen werden (EuGHMR, 15. Oktober 2003, Ernst und andere gegen Belgien, § 53; 30. April 2003, Cordova gegen Italien, § 65).
Folglich untersucht der Gerichtshof beide Vorabentscheidungsfragen zusammen.
B.10.1. In Abweichung vom allgemeinen Strafprozessrecht ist in den fraglichen Bestimmungen für die Magistrate der Appellationshöfe nicht das Eingreifen eines Untersuchungsgerichts vorgesehen, um im Laufe der gerichtlichen Untersuchung die Regelmäßigkeit des Verfahrens zu kontrollieren und als Beschwerdeinstanz über die Entscheidungen des als Untersuchungsrichter bestimmten Magistrats zu befinden und das Verfahren nach Abschluss der gerichtlichen Untersuchung zu regeln.
B.10.2. In der Logik des geltenden Systems, in dem keine Beschwerdemöglichkeit gegen die durch den Appellationshof getroffene Entscheidung vorgesehen ist, entbehrt es nicht einer vernünftigen Rechtfertigung, dass der Gesetzgeber ebenfalls keine Möglichkeit der Beschwerde gegen die Entscheidungen des als Untersuchungsrichter bestimmten Magistrats über die ihm unterbreiteten Anträge vorgesehen hat.
Der Gesetzgeber konnte den Standpunkt vertreten, dass in Bezug auf die Magistrate der Appellationshöfe der Umstand, dass das Amt des Untersuchungsrichters durch einen Magistrat ausgeübt wird, der zu diesem Zweck durch den Ersten Präsidenten des Appellationshofes eines anderen Bereichs als der ihrige bestellt wurde, der Umstand, dass über sie durch den höchsten Tatsachenrichter eines anderen Bereichs als der ihrige geurteilt wird, und das Eingreifen des Kassationshofes, der über den weiteren Verlauf des Verfahrens entscheiden muss, ausreichende Garantien bieten. Wie in B.5.3 angeführt wurde, kann der Kassationshof, der in der Ratskammer urteilt, bei diesem Anlass entscheiden, dass kein Grund zur Verfolgung vorliegt, oder die Sache direkt an den Appellationshof verweisen, wenn ausreichende Belastungstatsachen vorliegen, oder aber zusätzliche gerichtliche Untersuchungshandlungen fordern.
Die Magistrate der Appellationshöfe haben also die Garantie, dass der Kassationshof als Untersuchungsgericht im gemeinrechtlichen Strafverfahren zur Regelung des Verfahrens übergeht und dabei prüft, ob die Belastungstatsachen ausreichen und ob das Verfahren ordnungsgemäß verläuft.
B.11.1. Aus dem Verfahren in der Rechtssache vor dem vorlegenden Rechtsprechungsorgan geht jedoch hervor, dass, falls der Kassationshof zusätzliche Untersuchungen beantragt und zu diesem Zweck die Sache an den Ersten Präsidenten eines anderen Appellationshofes als derjenige des Bereichs des betreffenden Magistrats verwiesen hat, damit dieser einen Untersuchungsmagistrat bestimmt, der Generalprokurator bei diesem Appellationshof als zuständig erachtet wird, nach Abschluss der angeforderten Untersuchung darüber zu entscheiden, ob die Sache an das erkennende Gericht zu verweisen ist oder nicht, ohne dass eine neue Entscheidung des Kassationshofes darüber erforderlich ist.
Folglich wird, insofern nach Abschluss der durch den Kassationshof beantragten Untersuchung kein Eingreifen eines gerichtlichen Organs erfolgt, das im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens die Regelung des Verfahrens vornimmt und dabei prüft, ob die Belastungstatsachen ausreichen und ob das Verfahren ordnungsgemäß verläuft, auf unverhältnismäßige Weise gegen die Rechte der betreffenden Magistrate bei den Appellationshöfen und ihrer Mittäter und Komplizen verstoßen.
B.11.2. In der in B.11.1 angeführten Auslegung sind die fraglichen Bestimmungen nicht vereinbar mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung und sind die Vorabentscheidungsfragen bejahend zu beantworten.
B.12. Die fraglichen Bestimmungen können jedoch auf andere Weise ausgelegt werden, wonach bei Beendigung der durch den Kassationshof geforderten Untersuchung die Sache an diesen Gerichtshof zurückzuverweisen ist, dessen Befugnis in diesem Verfahren vergleichbar ist mit derjenigen eines Untersuchungsgerichts und der im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens die Regelung des Verfahrens prüft und dabei beurteilt, ob die Belastungstatsachen ausreichend sind und das Verfahren regelmäßig ist.
Der verfolgte Magistrat beim Appellationshof und seine Mittäter und Komplizen verfügen also über die Möglichkeit, etwaige Einwände, Nichtigkeiten oder Unregelmäßigkeiten geltend zu machen und gegebenenfalls bei dem Kassationshof zu beantragen, zusätzliche Rechtshandlungen anzufordern.
In dieser Auslegung sind die fraglichen Bestimmungen vereinbar mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung und sind die Vorabentscheidungsfragen verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Gerichtshof
erkennt für Recht:
1. - Die Artikel 479 bis 482bis des Strafprozessgesetzbuches verstoßen gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Sache nach der Beendigung der vom Kassationshof geforderten Untersuchung nicht an diesen Gerichtshof zurückzuverweisen ist, wobei der Generalprokurator beim Appellationshof dafür zuständig ist, zu entscheiden, ob die Sache an das erkennende Gericht zu verweisen ist oder nicht.
- Die Artikel 479 bis 482bis des Strafprozessgesetzbuches verstoßen nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass die Sache nach der Beendigung der vom Kassationshof geforderten Untersuchung an diesen Gerichtshof zurückzuverweisen ist, der im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens die Regelung des Verfahrens vornehmen und dabei die Zulänglichkeit der Belastungstatsachen sowie die Regelmäßigkeit des Verfahrens beurteilen wird.
2. Die zweite Vorabentscheidungsfrage bedarf keiner Antwort, insofern sie die Artikel 483 und 503bis des Strafprozessgesetzbuches betrifft.
Erlassen in französischer und niederländischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 20. Oktober 2016.
Der Kanzler,
(gez.) F. Meersschaut
Der Präsident,
(gez.) J. Spreutels