Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 25 April 2013 (België). RG 60/2013
- Section :
- Jurisprudence
- Source :
- Justel D-20130425-4
- Numéro de rôle :
- 60/2013
Résumé :
Der Gerichtshof erkennt für Recht: Artikel 43 des Einkommensteuergesetzbuches 1964 in der durch Artikel 11 des Gesetzes vom 8. August 1980 über die Haushaltsvorschläge 1979-1980 abgeänderten und auf den betreffenden Streitfall anwendbaren Fassung verstößt gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Arrêt :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten R. Henneuse und M. Bossuyt, und den Richtern A. Alen, J.-P. Snappe, E. Derycke, J. Spreutels und P. Nihoul, unter Assistenz des Kanzlers F. Meersschaut, unter dem Vorsitz des Präsidenten R. Henneuse,
verkündet nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren
In seinem Urteil vom 16. März 2012 in Sachen Daniel Ralet gegen den belgischen Staat, dessen Ausfertigung am 7. Juni 2012 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Gericht erster Instanz Brüssel folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:
« Verstösst Artikel 43 des Einkommensteuergesetzbuches 1964 (in der durch das Gesetz vom 8. August 1980 über die Haushaltsvorschläge [1979-1980] abgeänderten Fassung) gegen die Artikel 10 und 11 der koordinierten Verfassung, indem er die Möglichkeit, die ab dem Geschäftsjahr mit Anfangsdatum nach dem 31. Dezember 1976 erlittenen Verluste als vorherige berufliche Verluste abzuziehen, auf fünf Besteuerungszeiträume beschränkt, insofern sie die in steuerlicher Hinsicht zugelassenen Wertminderungen nicht überschreiten oder insofern sie während der vorerwähnten Frist hätten abgezogen werden können, wenn Wertminderungen nicht zugelassen gewesen wären, während diese Bestimmung die ab dem Geschäftsjahr mit Anfangsdatum nach dem 31. Dezember 1976 erlittenen beruflichen Verluste von dieser Beschränkung auf fünf Besteuerungszeiträume ausschliesst, entweder insofern sie die in steuerlicher Hinsicht zugelassenen Abschreibungen nicht überschreiten, oder insofern sie während der vorerwähnten Frist hätten abgezogen werden können, wenn Abschreibungen nicht zugelassen gewesen wären? ».
(...)
III. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1. Artikel 43 des Einkommensteuergesetzbuches 1964 (nachstehend: EStGB 1964) bestimmte in der durch das Gesetz vom 8. August 1980 über die Haushaltsvorschläge 1979-1980 abgeänderten und « zum Zeitpunkt der Fakten » geltenden Fassung:
« Der Nettobetrag der Berufseinkünfte wird wie folgt bestimmt:
1. Der Bruttobetrag der Einkünfte aus jeder Berufstätigkeit wird um die Werbungsausgaben oder -aufwendungen, die diese Einkünfte belasten, verringert.
2. Während des Besteuerungszeitraums aufgrund irgendeiner Berufstätigkeit erlittene berufliche Verluste werden mit den Einkünften aus anderen Berufstätigkeiten verrechnet.
3. Von den gemäss den Nrn. 1 und 2 bestimmten Berufseinkünften werden die während der fünf vorangegangenen Besteuerungszeiträume erlittenen beruflichen Verluste abgezogen; dieser Abzug erfolgt nacheinander von den Berufseinkünften eines jeden darauf folgenden Besteuerungszeitraums.
4. Von dem Gesamtbetrag der gemäss den Nrn. 1 bis 3 des vorliegenden Artikels bestimmten Berufseinkünfte werden die Ausgaben oder Abzüge gemäss den Artikeln 54 bis 66 abgezogen.
Ausserhalb der in Nr. 3 des vorangegangenen Absatzes vorgesehenen Frist können abgezogen werden:
1. die beruflichen Verluste infolge von Ereignissen höherer Gewalt oder zufälliger Art, die nach dem 1. Januar 1960 eingetreten sind;
2. die beruflichen Verluste, die ab dem Geschäftsjahr entstanden sind, das nach dem 31. Dezember 1976 begonnen hat, entweder in dem Masse, dass sie die in steuerlicher Hinsicht zugelassenen Abschreibungen nicht überschreiten, oder in dem Masse, dass sie binnen der erwähnten Frist hätten abgezogen werden können, wenn Abschreibungen nicht zugelassen gewesen wären;
3. die beruflichen Verluste bezüglich eines Geschäftsjahres vor demjenigen, das nach dem 31. Dezember 1976 beginnt, in dem Masse, wie dies binnen der erwähnten Frist hätte geschehen können, wenn Abschreibungen in steuerlicher Hinsicht ab dem Geschäftsjahr, das nach dem 31. Dezember 1976 beginnt, nicht zugelassen gewesen wären.
Der König legt die Modalitäten fest, nach denen die in diesem Artikel vorgesehenen Abzüge vorgenommen werden ».
B.2. Der Gerichtshof wird zur Vereinbarkeit der vorerwähnten Bestimmung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung befragt, insofern sie es nicht ermögliche, von den besteuerbaren Einkünften vorherige Verluste abzuziehen, die ausserhalb der fünf Jahre vor dem Besteuerungszeitraum erlitten worden seien, während sie einen solchen Abzug ohne zeitliche Begrenzung erlaube für Abschreibungen, die während desselben Zeitraums begonnen hätten.
B.3.1. Die Abänderung des fraglichen Artikels 43 des EStGB 1964 durch das vorerwähnte Gesetz vom 8. August 1980 ergab sich aus dem Willen der Regierung, « zu vermeiden, dass die Verpflichtung zur Buchung von Abschreibungen, Wertminderungen und zur Bildung von Rückstellungen unabhängig vom Ergebnis zur Folge hätte, faktisch die Dauer des Ausgleichs der steuerlichen Verluste zu verringern » (Bericht an den König vor dem königlichen Erlass vom 8. Oktober 1976 über den Jahresabschluss der Unternehmen, Belgisches Staatsblatt, 19. Oktober 1976, S. 13463).
In der Verlängerung der Absichtserklärung zur Neutralisierung der steuerlich ungünstigen Auswirkungen des neuen Buchhaltungsrechtes wurde durch Artikel 43 Absatz 2 des EStGB 1964 die zeitlich unbegrenzte Abzugsfähigkeit der im Laufe dieses Geschäftsjahres vorgenommenen Abschreibungen erlaubt.
B.3.2. Das Kriterium, auf dessen Grundlage der Behandlungsunterschied bezüglich der Abzugsfähigkeit der beruflichen Verluste erfolgt, betrifft nur die Verluste, die nicht über die steuerlich zulässigen Abschreibungen hinausgehen, unter Ausschluss der Verluste infolge von Wertminderungen.
B.3.3. Laut Artikel 12 des vorerwähnten königlichen Erlasses vom 8. Oktober 1976 (jetziger Artikel 45 Absatz 1 des königlichen Erlasses vom 30. Januar 2001 « zur Ausführung des Gesellschaftsgesetzbuches ») sind unter Abschreibungen « Beträge zu verstehen, die sich auf Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens und immaterielle Anlagewerte und Sachanlagen mit zeitlich begrenzter Nutzung beziehen und die zu Lasten der Ergebnisrechnung gebucht werden, entweder um den Betrag dieser Aufwendungen und die gegebenenfalls neu bewerteten Kosten für den Erwerb dieser Gegenstände des Anlagevermögens auf ihre voraussichtliche Nützlichkeits- oder Nutzungsdauer zu verteilen oder um diese Aufwendungen und Kosten zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu übernehmen ». Auf steuerlicher Ebene gelten diese Abschreibungen « als Werbungskosten in dem Masse, wie sie auf dem Anschaffungs- oder Investitionswert beruhen, wie sie notwendig sind und wie sie einer tatsächlich während des Besteuerungszeitraums erfolgten Wertminderung entsprechen » (Artikel 45 Nr. 4 des EStGB 1964, jetziger Artikel 61 des EStGB 1992).
Laut Artikel 12 desselben königlichen Erlasses sind unter Wertminderungen « Berichtigungen des Anschaffungswertes anderer als in vorhergehendem Absatz erwähnter Vermögensteile zu verstehen, die der Berücksichtigung endgültiger oder nicht endgültiger Wertminderungen am Bilanzstichtag dienen » (jetziger Artikel 45 Absatz 2 des vorerwähnten königlichen Erlasses vom 30. Januar 2001). Den Wertminderungen können also Grundstücke und andere Sachanlagen mit zeitlich unbegrenzter Nutzung, Finanzanlagen, Vorräte, unfertige Erzeugnisse, Forderungen, Geldanlagen und verfügbare Mittel unterliegen.
Folglich sind sowohl die Abschreibungen als auch die Wertminderungen Wertanpassungen eines Bestandteils, der zuvor in die Bilanz aufgenommen wurde. Es handelt sich um Vermögensänderungen, die an den ursprünglich in der Bilanz eingetragenen Bewertungen vorgenommen werden können. Ungeachtet dessen, ob es sich um Abschreibungen oder um Wertminderungen handelt, beinhalten diese Änderungen in der Bilanz keine Auszahlung. In steuerlicher Hinsicht bedeuten sowohl die Abschreibungen als auch die Wertminderungen also eine Verringerung des Anschaffungswertes eines Bestandteils der Aktiva.
B.3.4. In den Vorarbeiten zu dem Gesetz vom 8. August 1980 wird der Ursprung der unterschiedlichen Behandlung von Verlusten infolge von Abschreibungen und von Verlusten infolge von Wertminderungen nicht erläutert. In der Begründung heisst es, dass die Annahme der besonderen Regel für Verluste infolge von Abschreibungen dazu dient, « die Verpflichtung der vorangegangenen Regierung, darauf zu achten, dass die in Ausführung des Gesetzes vom 17. Juli 1975 über die Buchhaltung und den Jahresabschluss der Unternehmen erlassenen Verordnungsbestimmungen keine indirekten steuerlichen Auswirkungen haben, » zu verwirklichen (Parl. Dok., Kammer, 1979-1980, Nr. 323/1, S. 6). Im Bericht namens des Finanzausschusses hat der Minister der Finanzen die Änderung wie folgt kommentiert:
« Das Gesetz vom 17. Juli 1975 über die Buchhaltung und den Jahresabschluss der Unternehmen verpflichtet diese, ihre Abschreibungen zu buchen, selbst wenn die Betriebsergebnisse nicht ausreichen, um sie auszugleichen.
Es musste vermieden werden, dass diese Verpflichtung sich steuerlich nachteilig auf die Unternehmen auswirkt. Daher wird durch diesen Artikel der Abzug der beruflichen Verluste aufgrund von Abschreibungen über die Frist von fünf Jahren hinaus erlaubt » (Parl. Dok., Senat, 1979-1980, Nr. 483-9, S. 24, siehe auch S. 8).
In seinem Schriftsatz stellt der Ministerrat fest, « dass er keinerlei Element erkennt, das geeignet wäre, diese unterschiedliche Behandlung der zeitlichen Ubertragung von Verlusten, je nachdem, ob sie sich aus der Berücksichtigung von Abschreibungen oder aus der Berücksichtigung von Wertminderungen ergeben, zu rechtfertigen ».
Der Gerichtshof bemerkt schliesslich, dass diese unterschiedliche Behandlung durch die Artikel 263 und 309 Nr. 8 des Gesetzes vom 22. Dezember 1989 zur Festlegung steuerrechtlicher Bestimmungen, mit denen alle zeitlichen Beschränkungen der beruflichen Verluste ab dem Steuerjahr 1991 aufgehoben wurden, abgeschafft worden ist.
B.4. Die Vorabentscheidungsfrage ist bejahend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Gerichtshof
erkennt für Recht:
Artikel 43 des Einkommensteuergesetzbuches 1964 in der durch Artikel 11 des Gesetzes vom 8. August 1980 über die Haushaltsvorschläge 1979-1980 abgeänderten und auf den betreffenden Streitfall anwendbaren Fassung verstösst gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Verkündet in französischer und niederländischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 25. April 2013.
Der Kanzler,
(gez.) F. Meersschaut
Der Präsident,
(gez.) R. Henneuse