Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 4 Februar 2010 (België). RG 8/2010

Date :
04-02-2010
Langue :
Allemand Français Néerlandais
Taille :
3 pages
Section :
Jurisprudence
Source :
Justel D-20100204-4
Numéro de rôle :
8/2010

Résumé :

Der Hof erkennt für Recht : Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Vorsitzenden M. Bossuyt und P. Martens, und den Richtern M. Melchior, R. Henneuse, E. De Groot, L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, J. Spreutels und T. Merckx-Van Goey, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden M. Bossuyt,

verkündet nach Beratung folgendes Urteil:

I. Gegenstand der präjudiziellen Fragen und Verfahren

In seinem Urteil vom 28. Mai 2009 in Sachen des Prokurators des Königs gegen G.L., dessen Ausfertigung am 10. Juni 2009 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat das Gericht erster Instanz Antwerpen folgende präjudizielle Fragen gestellt:

« 1. Verstösst Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem die Disziplinarklage gegen Gerichtsvollzieher, wie den Beklagten, keiner Verjährungsfrist unterliegt, während die Disziplinarklage gegen andere Mitwirkende der Justiz, wie Rechtsanwälte, gemäss Artikel 474 des Gerichtsgesetzbuches und die Disziplinarklage gegen Magistrate des gerichtlichen Standes und Greffiers gemäss Artikel 418 des Gerichtsgesetzbuches wohl einer Verjährungsfrist unterliegen?

2. Verstösst Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem diese Gesetzesbestimmung, aufgrund deren der Beklagte disziplinarrechtlich verfolgt wird, nicht bestimmt, wegen welcher Disziplinarverstösse ein Gerichtsvollzieher seines Amtes enthoben werden kann, während Artikel 533 des Gerichtsgesetzbuches bestimmt, dass nur Gerichtsvollzieher, die sich wiederholt unmittelbar oder mittelbar Güter, mit deren Verkauf sie beauftragt sind, zuteilen, ihres Amtes enthoben werden müssen? ».

(...)

III. In rechtlicher Beziehung

(...)

B.1. Die präjudiziellen Fragen beziehen sich auf Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches, der wie folgt lautet:

« Suspendierung, Absetzung und Verurteilung zu Geldbussen werden gegen Gerichtsvollzieher durch das Gericht erster Instanz ihres Amtssitzes auf Betreiben des Prokurators des Königs ausgesprochen.

Die Dauer der Strafe der Suspendierung darf nicht mehr als ein Jahr betragen.

Gegen diese Urteile kann Berufung eingelegt werden ».

In Bezug auf die erste präjudizielle Frage

B.2. Mit der ersten präjudiziellen Frage möchte das vorlegende Rechtsprechungsorgan erfahren, ob die vorerwähnte Bestimmung gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung verstosse, « indem die Disziplinarklage gegen Gerichtsvollzieher [...] keiner Verjährungsfrist unterliegt, während die Disziplinarklage gegen andere Mitwirkende der Justiz, wie Rechtsanwälte, gemäss Artikel 474 des Gerichtsgesetzbuches und die Disziplinarklage gegen Magistrate des gerichtlichen Standes und Greffiers gemäss Artikel 418 des Gerichtsgesetzbuches wohl einer Verjährungsfrist unterliegen ».

Artikel 418 des Gerichtsgesetzbuches, der sich auf das Disziplinarverfahren für Magistrate, Referendare beim Kassationshof und Gerichtspersonal bezieht, lautet:

« Das Disziplinarverfahren wird binnen sechs Monaten nach Kenntnisnahme der Vorkommnisse durch die für die Einleitung dieses Verfahrens zuständige Disziplinarbehörde eingeleitet ».

Artikel 474 des Gerichtsgesetzbuches, der sich auf das Disziplinarverfahren für Rechtsanwälte bezieht, lautet:

« Das Disziplinarverfahren wird zur Vermeidung der Verjährung binnen zwölf Monaten nach Kenntnisnahme der Vorkommnisse durch die für die Einleitung dieses Verfahrens zuständige Disziplinarbehörde eingeleitet ».

B.3. Der Behandlungsunterschied zwischen bestimmten Kategorien von Personen, der sich aus der Anwendung unterschiedlicher Disziplinarstatuten und der darin enthaltenen Verfahrensregeln unter unterschiedlichen Umständen ergibt, beinhaltet an sich keine Diskriminierung. Von Diskriminierung könnte nur dann die Rede sein, wenn der aus der Anwendung dieser Verfahren sich ergebende Behandlungsunterschied eine unverhältnismässige Einschränkung der Rechte der betroffenen Personen nach sich zöge.

Der Hof hat zu prüfen, ob die fragliche Bestimmung die Rechte der Gerichtsvollzieher auf unverhältnismässige Weise einschränkt.

B.4. Die fragliche Bestimmung führt zu einer unterschiedlichen Behandlung der Gerichtsvollzieher im Vergleich zu den in der ersten präjudiziellen Frage erwähnten Personenkategorien, indem für sie keine Frist vorgesehen ist, innerhalb deren die Disziplinarbehörde das Disziplinarverfahren einzuleiten hat.

Die Artikel 418 und 474 des Gerichtsgesetzbuches legen nämlich die Verpflichtung auf, das Disziplinarverfahren innerhalb einer bestimmten Frist einzuleiten.

B.5. Die Eigenschaft als Mitwirkende der Justiz, die die verglichenen Personenkategorien gemeinsam haben, beinhaltet keineswegs, dass alle Beteiligten in Disziplinarsachen den gleichen Regeln unterliegen. Es ist Sache des Gesetzgebers, innerhalb der durch die Verfassung festgelegten Grenzen aufgrund eventueller Besonderheiten zu beurteilen, ob es Anlass dazu gibt oder nicht, auf einheitliche Weise eine Frist festzulegen, innerhalb deren das Disziplinarverfahren gegen Mitwirkende der Justiz einzuleiten ist.

B.6. Ungeachtet der Unterschiede zwischen den in B.5 erwähnten Berufen wäre es jedoch nicht vernünftig gerechtfertigt, dass eine disziplinarrechtliche Verfolgung zeitlich begrenzt wäre, wenn sie gegen einen Rechtsanwalt, Magistrat oder Greffier gerichtet ist, nicht aber dann, wenn sie gegen einen Gerichtsvollzieher gerichtet ist.

Dies ist jedoch nicht die Tragweite der fraglichen Bestimmung.

B.7. Ungeachtet dessen, ob Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zugrunde gelegt wird, muss die Disziplinarbehörde in jedem Stand des Verfahrens die angemessene Frist beachten. Demzufolge hat die Disziplinarbehörde in concreto zu prüfen, ob das Disziplinarverfahren innerhalb einer angemessenen Frist eingeleitet worden ist, und zwar unter Berücksichtigung der Art und Komplexität des angeblichen disziplinarrechtlichen Verstosses. Dabei kann allen Elementen der Sache Rechnung getragen werden, etwa dem Umstand, dass, wenn die Vorkommnisse ebenfalls als Straftat qualifiziert werden können, es je nach den Besonderheiten des Falles gerechtfertigt sein kann, das Ergebnis der Strafverfolgung abzuwarten, ehe auf disziplinarrechtlicher Ebene eine Entscheidung getroffen wird.

B.8. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber gemeint hat, die angemessene Frist, innerhalb deren eine Disziplinarklage gegen einen Rechtsanwalt, Magistrat oder Greffier einzuleiten ist, selbst festlegen zu müssen, während er sie vom Richter bestimmen lässt, wenn die Disziplinarklage gegen einen Gerichtsvollzieher gerichtet ist, geht nicht hervor, dass er gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung verstossen hätte.

B.9. Dadurch, dass in Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches keine Frist festgelegt wurde, innerhalb deren das Disziplinarverfahren einzuleiten ist, kann bei der disziplinarrechtlich verfolgten Person zwar ein Gefühl der Rechtsunsicherheit entstehen, werden aber seine Rechte nicht auf unverhältnismässige Weise beschränkt, da die angemessene Beschaffenheit dieser Frist in concreto beurteilt und beachtet werden muss.

B.10. Die erste präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.

In Bezug auf die zweite präjudizielle Frage

B.11. Die zweite präjudizielle Frage betrifft die Vereinbarkeit von Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, indem diese Gesetzesbestimmung nicht erwähne, wegen welcher Disziplinarverstösse ein Gerichtsvollzieher seines Amtes enthoben werden könne, während Artikel 533 desselben Gesetzbuches bestimme, dass nur Gerichtsvollzieher, die sich wiederholt unmittelbar oder mittelbar Güter, mit deren Verkauf sie beauftragt sind, zuteilen, ihres Amtes enthoben werden müssten.

Artikel 533 des Gerichtsgesetzbuches lautet wie folgt:

« Gerichtsvollzieher dürfen sich selbst weder unmittelbar noch mittelbar die beweglichen Güter zuteilen, mit deren Verkauf sie beauftragt sind.

Jeder Verstoss gegen diese Bestimmung wird mit der Suspendierung des Gerichtsvollziehers während drei Monaten und mit einer Geldbusse von 25 Euro für jeden von ihm gekauften Gegenstand geahndet, unbeschadet der Anwendung der Strafgesetze.

Rückfall führt immer zur Absetzung ».

B.12. Das in Artikel 12 Absatz 2 der Verfassung verankerte Legalitätsprinzip gilt nicht in Disziplinarsachen. Daraus ergibt sich, dass sich die Disziplinarklage, die darauf abzielt, zu prüfen, ob der Inhaber eines öffentlichen Amtes oder eines Berufs gegen die Standesregeln oder Disziplinarvorschriften verstossen oder die Ehre oder Würde seines Amtes oder Berufs verletzt hat, auf Verfehlungen beziehen kann, die nicht notwendigerweise den Gegenstand einer präzisen Definition bilden.

Der Umstand, dass in Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches nicht festgelegt ist, wegen welcher Disziplinarverstösse ein Gerichtsvollzieher seines Amtes enthoben werden kann, stellt an sich keine unverhältnismässige Beeinträchtigung seiner Rechte dar. Beim Verhängen einer Disziplinarstrafe muss die Disziplinarbehörde nämlich den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismässigkeit der Disziplinarstrafe zur Anwendung bringen, was beinhaltet, dass die Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum Disziplinarverstoss stehen muss.

B.13. Ubrigens hindert keine Verfassungs- oder Vertragsbestimmung den Gesetzgeber daran, im Bereich des Disziplinarstatuts der Gerichtsvollzieher zu bestimmen, dass ein klar definiertes Verhalten oder Versäumnis als ein Disziplinarverstoss anzusehen ist. Es steht ihm frei, bestimmte disziplinarrechtliche Verfehlungen zu definieren und mit einer Disziplinarstrafe zu ahnden, so wie er es im vorliegenden Fall getan hat, was die - ebenfalls als Straftat qualifizierte - Tat betrifft, die darin besteht, dass ein Gerichtsvollzieher sich selbst die beweglichen Güter zuteilt, mit deren Verkauf er beauftragt ist, wobei die Disziplinarstrafe je nachdem, ob es sich um einen einmaligen Verstoss handelt oder nicht, unterschiedlich ausfällt.

Der Hof hat nicht zu bestimmen, ob bereits ein erster Verstoss mit der Disziplinarstrafe der Absetzung geahndet werden könnte, wie der Ministerrat behauptet. Es ist nämlich Sache des vorlegenden Richters, die fragliche Bestimmung auszulegen und deren Tragweite zu bestimmen.

Ungeachtet der Auslegung, die dem Artikel 533 des Gerichtsgesetzbuches vermittelt wird, werden - in Anbetracht dessen, was in B.12 hinsichtlich der erforderlichen Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung der Disziplinarstrafe dargelegt wurde - die Rechte des aufgrund von Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches disziplinarrechtlich verfolgten Gerichtsvollziehers nicht auf unverhältnismässige Weise beschränkt.

B.14. Die zweite präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.

Aus diesen Gründen:

Der Hof

erkennt für Recht:

Artikel 532 des Gerichtsgesetzbuches verstösst nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989, in der öffentlichen Sitzung vom 4. Februar 2010.

Der Kanzler,

(gez.) P.-Y. Dutilleux.

Der Vorsitzende,

(gez.) M. Bossuyt.