Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 5 März 2015 (België). RG 26/2015

Date :
05-03-2015
Langue :
Allemand Français Néerlandais
Taille :
3 pages
Section :
Jurisprudence
Source :
Justel D-20150305-3
Numéro de rôle :
26/2015

Résumé :

Der Gerichtshof erkennt für Recht: Artikel 16 § 2 Nr. 1 des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit in der Fassung vor seiner Aufhebung durch Artikel 13 des Gesetzes vom 4. Dezember 2012 zur Abänderung des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit im Hinblick auf eine migrationsneutrale Ausrichtung des Erwerbs der belgischen Staatsangehörigkeit verstößt nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass der Zeitraum des gesetzlichen Zusammenwohnens nicht zum Erreichen der darin erwähnten dreijährigen Frist berücksichtigt wird.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten A. Alen und J. Spreutels, und den Richtern E. De Groot, L. Lavrysen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût, T. Giet und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten A. Alen,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren

In seinem Entscheid vom 27. Februar 2014 in Sachen der Staatsanwaltschaft gegen M.C., dessen Ausfertigung am 11. März 2014 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:

« Verstößt Artikel 16 § 2 Nr. 1 des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, insofern - wenn die beabsichtigte Eheschließung zwischen dem belgischen Partner und dem Ausländer wegen von ihrem Willen unabhängiger Umstände aufgeschoben wird, d.h. wegen der nachher durch eine endgültig gewordene gerichtliche Entscheidung für unbegründet erklärten Entscheidung des Standesbeamten zur Weigerung, die Trauung vorzunehmen, woraufhin sie beide geheiratet haben - das voreheliche gesetzliche Zusammenwohnen außer Betracht gelassen werden muss hinsichtlich des Erreichens der in diesem Artikel festgelegten Frist von drei Jahren des Zusammenlebens des belgischen Ehepartners und des Ausländers, der die belgische Staatsangehörigkeit erwerben möchte, um den Stand eines Belgiers zu erhalten, im Vergleich zu den Ausländern, die in Belgien heiraten möchten und bei denen der Standesbeamte der Eheschließung zustimmt? ».

(...)

III. Rechtliche Würdigung

(...)

B.1. Artikel 16 des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit in der auf die vor dem vorlegenden Rechtsprechungsorgan anhängige Rechtssache anwendbaren Fassung bestimmt:

« § 1. Die Heirat hat von Rechts wegen keine Wirkung auf die Staatsangehörigkeit.

§ 2. 1. Der Ausländer, der einen Belgier heiratet oder dessen Ehepartner während der Ehe die belgische Staatsangehörigkeit erwirbt, kann, sofern die Ehepartner mindestens drei Jahre lang gemeinsam in Belgien gewohnt haben und solange sie in Belgien zusammenleben, die belgische Staatsangehörigkeit durch eine gemäß Artikel 15 abgegebene und bewilligte Erklärung erwerben.

2. Der Ausländer, der einen Belgier heiratet oder dessen Ehepartner während der Ehe die belgische Staatsangehörigkeit erwirbt, kann, sofern die Ehepartner mindestens sechs Monate lang gemeinsam in Belgien gewohnt haben und solange sie in Belgien zusammenleben, die belgische Staatsangehörigkeit durch eine gemäß Artikel 15 abgegebene und bewilligte Erklärung erwerben, vorausgesetzt, ihm ist zum Zeitpunkt der Erklärung seit mindestens drei Jahren erlaubt oder gestattet, sich länger als drei Monate im Königreich aufzuhalten oder sich dort niederzulassen.

3. (...)

4. Das Zusammenleben im Ausland kann dem Zusammenleben in Belgien gleichgesetzt werden, wenn der Betreffende beweist, dass zwischen ihm und Belgien wahre Bande entstanden sind ».

B.2. Der Gerichtshof wird gefragt, ob Artikel 16 § 2 Nr. 1 des vorerwähnten Gesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung vereinbar sei, insofern in dem Fall, dass eine beabsichtigte Eheschließung zwischen einem Belgier und einem Ausländer wegen von ihrem Willen unabhängiger Umstände aufgeschoben werde, insbesondere wegen der nachher durch eine gerichtliche Entscheidung für unbegründet erklärten Entscheidung des Standesbeamten zur Weigerung der Eheschließung, das voreheliche gesetzliche Zusammenwohnen außer Betracht gelassen werde für das Erreichen der in dieser Bestimmung vorgesehenen Dauer des dreijährigen Zusammenlebens. Der Gerichtshof wird dabei gebeten, einen Ausländer, der sich in der vorerwähnten Situation befinde, mit einem Ausländer zu vergleichen, der nicht mit einer Entscheidung des Standesbeamten zur Weigerung der Eheschließung konfrontiert werde.

B.3. Aufgrund der fraglichen Bestimmung kann ein Ausländer, der mit einem Belgier die Ehe schließt, die belgische Staatsangehörigkeit erwerben durch eine gemäß Artikel 15 des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit abgegebene Erklärung unter der Bedingung, dass die Ehepartner sich mindestens drei Jahre lang gemeinsam in Belgien gewohnt haben, und solange sie in Belgien zusammenleben. In der Auslegung, die das vorlegende Rechtsprechungsorgan in seiner Vorabentscheidungsfrage dieser Bestimmung verleiht, muss der betreffende Ausländer mindestens drei Jahre in Belgien verheiratet mit dem belgischen Partner zusammengelebt haben, so dass Zeiträume des gesetzlichen Zusammenwohnens nicht zur Erfüllung dieser Bedingung berücksichtigt werden. Der Gerichtshof beantwortet die Vorabentscheidungsfrage in dieser Auslegung.

B.4. Gemäß Artikel 8 der Verfassung obliegt es dem Gesetzgeber, die Bedingungen festzulegen, unter denen die belgische Staatsangehörigkeit erworben werden kann. Er verfügt diesbezüglich über eine breite Ermessensbefugnis. Wenn die Entscheidungen des Gesetzgebers zu einem Behandlungsunterschied führen, muss der Gerichtshof jedoch prüfen, ob dieser Unterschied auf einer vernünftigen Rechtfertigung beruht.

B.5.1. Aus den Vorarbeiten zu dem Gesetzbuch über die belgische Staatsangehörigkeit geht hervor, dass der Gesetzgeber einerseits davon ausgegangen ist, dass die Eheschließung mit einem Belgier grundsätzlich als ein Hinweis auf den Willen des Betreffenden betrachtet werden kann, sich dauerhaft in die belgische Gesellschaft zu integrieren, und andererseits vermeiden wollte, dass Ehen lediglich geschlossen würden, um die belgische Staatsangehörigkeit erwerben zu können. Um die beiden Ausgangspunkte miteinander in Einklang zu bringen, hat er den Standpunkt vertreten, dass die Eheschließung eines Ausländers mit einem Belgier erst als ausreichender Hinweis auf den Willen des Ausländers, sich dauerhaft in die belgische Gesellschaft zu integrieren, betrachtet werden kann, wenn die Ehepartner während eines bestimmten Zeitraums in Belgien zusammengelebt haben, oder, unter der Bedingung, dass nachgewiesen werden kann, dass zwischen dem Ausländer und Belgien eine tatsächliche Verbindung entstanden ist, im Ausland (Parl. Dok., Kammer, 1983-1984, Nr. 756/1, S. 15; Parl. Dok., Kammer, 1983-1984, Nr. 756/21, SS. 118-119; Parl. Dok., Kammer, 1991-1992, Nr. 560/4, SS. 5-6; Parl. Dok., Senat, 1992-1993, Nr. 626-2, S. 7).

B.5.2. Der ursprünglich im Gesetzbuch über die belgische Staatsangehörigkeit vorgesehene Zeitraum von sechs Monaten wurde durch das Gesetz vom 6. August 1993 « zur Abänderung des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit und der Gesetze über die Einbürgerung » durch einen Zeitraum von drei Jahren ersetzt. Durch diese Abänderung wollte der Gesetzgeber unter anderem die Regeln über den Erwerb der belgischen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage der Eheschließung hinsichtlich der darin vorgesehenen Fristen einerseits mit den Regeln über den Erwerb der belgischen Staatsangehörigkeit aus anderen Gründen in Einklang bringen, und dies, um Ungleichheiten zu vermeiden, und andererseits mit den Regeln, die in anderen europäischen Staaten bezüglich des Erwerbs der Staatsangehörigkeit auf der Grundlage der Eheschließung galten (Parl. Dok., Kammer, 1991-1992, Nr. 560/4, SS. 7-10).

B.6. Die Rechtslage der Ehepartner einerseits und der gesetzlich Zusammenwohnenden andererseits unterscheidet sich sowohl hinsichtlich ihrer gegenseitigen persönlichen Verpflichtungen als auch hinsichtlich ihres vermögensrechtlichen Zustandes. Diese unterschiedlichen Situationen können bestimmte Behandlungsunterschiede rechtfertigen, wenn sie im Zusammenhang mit der Zielsetzung der fraglichen Maßnahme stehen.

B.7.1. Aufgrund von Artikel 227 des Zivilgesetzbuches wird die Ehe durch den Tod eines der Ehegatten oder durch die Ehescheidung aufgelöst. Die Auflösung der Ehe durch eine Ehescheidung setzt ein Verfahren vor einer Gerichtsinstanz und eine Entscheidung durch eine solche Instanz voraus (Artikel 1254 ff. des Gerichtsgesetzbuches).

Das gesetzliche Zusammenwohnen endet, wenn eine der Parteien heiratet oder stirbt. Es kann ebenfalls durch die Zusammenwohnenden in gegenseitigem Einvernehmen oder einseitig beendet werden anhand einer schriftlichen Erklärung bei dem Standesbeamten, der dies im Bevölkerungsregister vermerkt (Artikel 1476 § 2 des Zivilgesetzbuches).

B.7.2. Angesichts der einfachen Weise, auf die das gesetzliche Zusammenwohnen beendet werden kann, entbehrt es unter anderem unter Berücksichtigung der breiten Ermessensbefugnis, über die der Gesetzgeber bei der Festlegung der Bedingungen für den Erwerb der belgischen Staatsangehörigkeit verfügt, nicht einer vernünftigen Rechtfertigung, dass das gesetzliche Zusammenwohnen eines Ausländers mit einem Belgier nicht in dem gleichen Maße wie die Ehe berücksichtigt wird im Rahmen des Erwerbs der belgischen Staatsangehörigkeit. Der Gesetzgeber konnte auf der Grundlage der Weise, auf die das gesetzliche Zusammenwohnen beendet werden kann, vernünftigerweise den Standpunkt vertreten, dass dieses Zusammenwohnen nicht im gleichen Maße wie die Eheschließung als ein ausreichender Hinweis auf den Willen des Ausländers, sich dauerhaft in die belgische Gesellschaft zu integrieren, betrachtet werden kann.

B.8. Daraus ergibt sich ebenfalls, dass es nicht einer vernünftigen Rechtfertigung entbehrt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die betreffende Bedingung bezüglich der Dauer des Zusammenlebens erfüllt ist, nur das eheliche Zusammenleben und somit nicht das der Ehe voraufgehende Zusammenleben berücksichtigt werden kann.

B.9. Der Umstand, dass eine beabsichtigte Eheschließung eines Ausländers mit einem Belgier wegen von ihrem Willen unabhängigen Umständen aufgeschoben werden kann, beeinträchtigt nicht das Vorstehende, da der Gesetzgeber davon ausgehen konnte, dass der Hinweis auf den Willen des Ausländers, sich dauerhaft in die belgische Gesellschaft zu integrieren, erst nach einem Zeitraum von drei Jahren des ehelichen Zusammenlebens feststeht. Der Umstand, dass die Eheschließung aufgeschoben wird durch eine Entscheidung des Standesbeamten zur Weigerung der Eheschließung, die später durch eine richterliche Entscheidung aufgehoben werden kann, führt nicht zu einer anderen Schlussfolgerung. Der in der fraglichen Bestimmung vorgesehene Mindestzeitraum des ehelichen Zusammenlebens ist im Übrigen nicht derart lang, dass er den Erwerb der belgischen Staatsangehörigkeit übermäßig erschweren würde für Ausländer, deren beabsichtigte Eheschließung aufgeschoben wird.

B.10. Die Vorabentscheidungsfrage ist verneinend zu beantworten.

Aus diesen Gründen:

Der Gerichtshof

erkennt für Recht:

Artikel 16 § 2 Nr. 1 des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit in der Fassung vor seiner Aufhebung durch Artikel 13 des Gesetzes vom 4. Dezember 2012 zur Abänderung des Gesetzbuches über die belgische Staatsangehörigkeit im Hinblick auf eine migrationsneutrale Ausrichtung des Erwerbs der belgischen Staatsangehörigkeit verstößt nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahin ausgelegt, dass der Zeitraum des gesetzlichen Zusammenwohnens nicht zum Erreichen der darin erwähnten dreijährigen Frist berücksichtigt wird.

Erlassen in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 5. März 2015.

Der Kanzler,

(gez.) P.-Y. Dutilleux

Der Präsident,

(gez.) A. Alen