Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 17 Juli 2014 (België). RG 108/2014

Date :
17-07-2014
Language :
German French Dutch
Size :
2 pages
Section :
Case law
Source :
Justel D-20140717-3
Role number :
108/2014

Summary :

Der Gerichtshof erkennt für Recht: Artikel 418 Absatz 1 des Strafprozessgesetzbuches verstößt gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahingehend ausgelegt, dass die Dritteinspruch erhebende Partei dazu verpflichtet ist, ihre Kassationsbeschwerde zur Vermeidung der Unzulässigkeit allen Parteien, gegen die sie sich richtet, zustellen zu lassen, während diese Verpflichtung weder für den Beschuldigten noch für die Zivilpartei gilt.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Präsidenten A. Alen und J. Spreutels, und den Richtern E. De Groot, L. Lavrysen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût, T. Giet und R. Leysen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten A. Alen,

erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:

I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfrage und Verfahren

In seinem Entscheid vom 11. Juni 2013 in Sachen der VoG « United Western of the World » gegen den regionalen Städtebauinspektor und andere, dessen Ausfertigung am 25. Juni 2013 in der Kanzlei des Gerichthofes eingegangen ist, hat der Kassationshof folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:

« Verstößt Artikel 418 Absatz 1 des Strafprozessgesetzbuches in Verbindung mit Artikel 420bis des Strafprozessgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahingehend ausgelegt, dass er der Dritteinspruch erhebenden Partei die Verpflichtung auferlegt, die Kassationsbeschwerde innerhalb der in Artikel 420bis erwähnten Frist der Partei, gegen die sie sich richtet, zuzustellen und die Schriftstücke, aus denen die Zustellung hervorgeht, zu hinterlegen, und zwar bei sonstiger Unzulässigkeit der Kassationsbeschwerde, während es weder für den Beschuldigten noch für die Zivilpartei bei der Einlegung einer Kassationsbeschwerde eine ähnliche Verpflichtung gibt? ».

(...)

III. Rechtliche Würdigung

(...)

B.1. Artikel 418 Absatz 1 des Strafprozessgesetzbuches, vor der Abänderung dieses Gesetzbuches durch das Gesetz vom 14. Februar 2014 über das Verfahren vor dem Kassationshof in Strafsachen, bestimmt:

« Wenn die Kassationsbeschwerde gegen ein Urteil, das in letzter Instanz in Kriminal-, Korrektional- oder Polizeisachen gefällt wurde, eingereicht wird, sei es durch die Zivilpartei, wenn es eine gibt, oder sei es durch die Staatsanwaltschaft, wird diese Beschwerde nicht nur gemäß dem vorstehenden Artikel eingetragen, sondern außerdem innerhalb einer Frist von drei Tagen der Partei, gegen die sie gerichtet ist, zugestellt ».

B.2. Befragt wird der Gerichtshof zur Vereinbarkeit von Artikel 418 Absatz 1 des Strafprozessgesetzbuches - in Verbindung mit Artikel 420bis desselben Gesetzbuches - mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, dahingehend ausgelegt, dass er der Dritteinspruch erhebenden Partei die Verpflichtung auferlegt, die Kassationsbeschwerde innerhalb der in Artikel 420bis erwähnten Frist der Partei, gegen die sie sich richtet, zuzustellen und die Schriftstücke, aus denen die Zustellung hervorgeht, zu hinterlegen, und zwar bei sonstiger Unzulässigkeit der Kassationsbeschwerde, während es weder für den Beschuldigten noch für die Zivilpartei bei der Einlegung einer Kassationsbeschwerde eine ähnliche Verpflichtung gibt.

B.3. Die Kassationsbeschwerde ist ein außergewöhnliches Rechtsmittel, durch das eine Partei die Möglichkeit erhält, wegen Verstoßes gegen das Gesetz oder wegen Unterlassung von wesentlichen oder bei Strafe der Nichtigkeit vorgeschriebenen Formen die Nichtigerklärung einer in letzter Instanz getroffenen Entscheidung zu beantragen.

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, insbesondere der Grundsatz der Waffengleichheit, beinhaltet, dass der Gesetzgeber, wenn er die Möglichkeit der Anwendung außergewöhnlicher Rechtsmittel vorsieht, bei deren Ausarbeitung im Einzelnen den Gleichheitsgrundsatz einhalten muss. Der Gleichheitsgrundsatz beinhaltet jedoch nicht, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Modalitäten die verschiedenen von einer Strafsache betroffenen Parteien unter anderem angesichts ihrer unterschiedlichen Interessen auf gleichem Fuß behandeln muss. Es ist lediglich erforderlich, dass diese Modalitäten nicht zu einer diskriminierenden Einschränkung der den Parteien durch das Gesetz gewährten Möglichkeit zum Einreichen einer Kassationsbeschwerde führen.

B.4. Die in Artikel 418 des Strafprozessgesetzbuches vorgesehene Formvorschrift der Zustellung ist vor dem Kassationshof eine Zulässigkeitsbedingung, die von Amts wegen geprüft wird und für die der Nachweis der Einhaltung innerhalb der in Artikel 420bis des Strafprozessgesetzbuches vorgesehenen Frist vorgelegt werden muss. Der Kassationshof geht von der Auslegung aus, wonach diese Formvorschrift auch auf die Dritteinspruch erhebende Partei, die eine Kassationsbeschwerde einreicht, Anwendung findet.

Die Zustellung dient dazu, die Kassationsbeschwerde der Partei, gegen die sie gerichtet ist, zur Kenntnis zu bringen, damit diese Partei ihre Verteidigung vorbereiten kann.

Zwar könnte diese Mitteilung auch auf andere Weise erfolgen, doch wenn der Gesetzgeber die Zustellung der Kassationsbeschwerde vorsieht, darf er nicht ohne objektive und vernünftige Rechtfertigung bestimmten Parteien die Garantie dieser Formvorschrift entziehen. Der Grundsatz der Waffengleichheit beinhaltet nämlich die Verpflichtung, jeder Partei die Möglichkeit zu bieten, ihre Argumente geltend zu machen unter Umständen, die sie nicht offensichtlich benachteiligen gegenüber der Gegenpartei.

B.5. In seinem Entscheid Nr. 120/2004 vom 30. Juni 2004 hat der Gerichtshof erkannt, dass es keinen Grund gab, einerseits die Zivilpartei und andererseits den Beschuldigten oder den Angeklagten angesichts ihres Rechts, über die sie betreffenden Beschwerden informiert zu werden, unterschiedlich zu behandeln. Zwischen beiden Kategorien von an einem Strafprozess beteiligten Parteien gibt es keine derart großen Unterschiede, dass ihre Rechte der Verteidigung hinsichtlich dieser Information unterschiedlich zu behandeln wären.

B.6. In seinem Entscheid Nr. 139/2005 vom 13. September 2005 hat der Gerichtshof erkannt, dass dieser Gedankengang sich bei der von der Staatsanwaltschaft ausgehenden Beschwerde nicht nachvollziehen lässt. Der Gesetzgeber konnte vernünftigerweise davon ausgehen, dass die Verteidigungsrechte des Beschuldigten oder des Angeklagten voraussetzen, dass diese am Strafprozess beteiligte Partei unbedingt über die Beschwerde gegen die Strafbestimmungen einer sie betreffenden Entscheidung informiert wird, ohne dass sie eine ähnliche Zustellungspflicht der Staatsanwaltschaft gegenüber hätte, die sich in einer grundverschiedenen Lage befindet.

B.7. Der gleiche Gedankengang wie derjenige des Gerichtshofes in dessen Entscheid Nr. 120/2004 gilt für die Dritteinspruch erhebende Partei, die eine Kassationsbeschwerde einreicht. Es gibt nämlich keinen Grund, die Dritteinspruch erhebende Partei in diesem Zusammenhang anders zu behandeln als die Zivilpartei, den Angeklagten oder den Beschuldigten.

B.8. Die Vorabentscheidungsfrage ist bejahend zu beantworten.

Aus diesen Gründen:

Der Gerichtshof

erkennt für Recht:

Artikel 418 Absatz 1 des Strafprozessgesetzbuches verstößt gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, dahingehend ausgelegt, dass die Dritteinspruch erhebende Partei dazu verpflichtet ist, ihre Kassationsbeschwerde zur Vermeidung der Unzulässigkeit allen Parteien, gegen die sie sich richtet, zustellen zu lassen, während diese Verpflichtung weder für den Beschuldigten noch für die Zivilpartei gilt.

Erlassen in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 17. Juli 2014.

Der Kanzler

(gez.) P.-Y. Dutilleux

Der Präsident

(gez.) A. Alen