Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 25 September 2014 (België). RG 133/2014
Summary :
Der Gerichtshof erkennt für Recht: Vorbehaltlich der in B.8 und B.9 erwähnten Auslegung verstoßen Artikel 265 § 2 und Artikel 409 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Arrêt :
Der Verfassungsgerichtshof,
zusammengesetzt aus den Präsidenten J. Spreutels und A. Alen, und den Richtern E. De Groot, T. Merckx-Van Goey, P. Nihoul, F. Daoût und T. Giet, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Präsidenten J. Spreutels,
erlässt nach Beratung folgenden Entscheid:
I. Gegenstand der Vorabentscheidungsfragen und Verfahren
a. In seinem Urteil vom 25. September 2013 in Sachen des Landesamtes für soziale Sicherheit gegen D.L. und andere, dessen Ausfertigung am 3. Oktober 2013 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Handelsgericht Charleroi folgende Vorabentscheidungsfrage gestellt:
« Verstößt Artikel 409 § 2 Absatz 1 des Gesellschaftsgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem er einen objektiven Haftungsgrund für die in § 1 erwähnten Verwalter, ehemaligen Verwalter und Personen, die sich im Laufe eines Zeitraums von fünf Jahren vor Verkündung des Konkurses in der in Artikel 38 § 3octies Nr. 8 des Gesetzes vom 29. Juni 1981 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der sozialen Sicherheit für Lohnempfänger beschriebenen Situation befunden haben, einführt, und zwar im Vergleich zu den anderen in § 1 erwähnten Verwaltern, ehemaligen Verwaltern und Personen, bei denen das Vorliegen eines Fehlers nachgewiesen werden muss, während im Falle mehrerer Konkurse und/oder Liquidationsverfahren die chronologische Reihenfolge der Verkündung der Urteile, in die der Unternehmensleiter verwickelt ist, und somit das Bestehen der in der besagten Gesetzesbestimmung erwähnten Situation mal vom Willen der genannten Verwalter oder ehemaligen Verwalter, mal vom Willen des Landesamtes für soziale Sicherheit und/oder auch von völlig externen Faktoren abhängen kann? ».
b. In seinem Urteil vom 8. Januar 2014 in Sachen des Landesamtes für soziale Sicherheit gegen J.H., dessen Ausfertigung am 14. Januar 2014 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Handelsgericht Charleroi folgende Vorabentscheidungsfragen gestellt:
1. « Verstößt Artikel 265 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches, abgeändert durch das Gesetz vom 20. Juli 2006, das am 1. September 2006 in Kraft getreten ist, gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, ggf. in Verbindung mit den Artikeln 6 und 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, nebst Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls, in dem das Recht auf Achtung des Eigentums verankert ist, indem hinsichtlich der Geschäftsführer, ehemaligen Geschäftsführer und aller anderen Personen, die effektiv befugt gewesen sind, die Gesellschaft zu verwalten, die unwiderlegbare Vermutung eines schwerwiegenden Fehlers Anwendung findet, wenn die genannten Geschäftsführer, ehemaligen Geschäftsführer und Verantwortlichen vorher in wenigstens zwei Konkurse, Liquidationen oder ähnliche Verfahren verwickelt waren, die zu einer Verschuldung beim LASS geführt haben, wobei sie keine einzige Möglichkeit haben, diese Vermutung umzukehren, während die Geschäftsführer, Verwalter, Unternehmensleiter oder jede andere Person, die effektiv befugt gewesen ist, eine zivilrechtliche Gesellschaft in der Rechtsform einer Handelsgesellschaft, eine Stiftung oder eine VoG zu verwalten, bei der es ausstehende Beiträge dem LASS gegenüber geben würde, nicht für einen deutlich schwerwiegenden Fehler, der zum Konkurs beigetragen hat, haftbar gemacht werden können, insofern diese juristischen Personen nicht die Eigenschaft eines Kaufmanns haben und über sie damit zusammenhängend auch niemals der Konkurs eröffnet werden kann, wobei ein solcher Behandlungsunterschied nicht objektiv und vernünftig gerechtfertigt wäre, auf eine Weise, die im Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber angestrebten Ziel oder zu dem von ihm verfolgten Zweck steht? »;
2. « Verstößt Artikel 409 § 2 Absatz 1 des Gesellschaftsgesetzbuches gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem er einen objektiven Haftungsgrund für die in § 1 erwähnten Verwalter, ehemaligen Verwalter und Personen, die sich im Laufe eines Zeitraums von fünf Jahren vor Verkündung des Konkurses in der in Artikel 38 § 3octies Nr. 8 des Gesetzes vom 29. Juni 1981 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der sozialen Sicherheit für Lohnempfänger beschriebenen Situation befunden haben, einführt, und zwar im Vergleich zu den anderen in § 1 erwähnten Verwaltern, ehemaligen Verwaltern und Personen, bei denen das Vorliegen eines Fehlers nachgewiesen werden muss, während im Falle mehrerer Konkurse und/oder Liquidationsverfahren die chronologische Reihenfolge der Verkündung der Urteile, in die der Unternehmensleiter verwickelt ist, und somit das Bestehen der in der besagten Gesetzesbestimmung erwähnten Situation mal vom Willen der genannten Verwalter oder ehemaligen Verwalter, mal vom Willen des Landesamtes für soziale Sicherheit und/oder auch von völlig externen Faktoren abhängen kann? ».
Diese unter den Nummern 5722 und 5806 ins Geschäftsverzeichnis des Gerichtshofes eingetragenen Rechtssachen wurden verbunden.
(...)
III. Rechtliche Würdigung
(...)
B.1.1. Artikel 265 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches bestimmt:
« Unbeschadet von § 1 können Geschäftsführer, ehemalige Geschäftsführer und alle anderen Personen, die effektiv befugt gewesen sind, die Gesellschaft zu verwalten, vom Landesamt für soziale Sicherheit und vom Konkursverwalter persönlich und gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden für die Gesamtheit oder einen Teil der zum Zeitpunkt der Verkündung des Konkurses geschuldeten Sozialbeiträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und der Pauschalentschädigung erwähnt in Artikel 54ter des Königlichen Erlasses vom 28. November 1969 zur Ausführung des Gesetzes vom 27. Juni 1969 zur Revision des Erlassgesetzes vom 28. Dezember 1944 über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer, wenn erwiesen ist, dass ein von ihnen begangener als schwerwiegend anzusehender Fehler dem Konkurs zugrunde lag, oder wenn sich die Geschäftsführer, ehemaligen Geschäftsführer und Verantwortlichen im Laufe eines Zeitraums von fünf Jahren vor Verkündung des Konkurses in der in Artikel 38 § 3octies Nr. 8 des Gesetzes vom 29. Juni 1981 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der sozialen Sicherheit für Lohnempfänger beschriebenen Situation befunden haben.
Das Landesamt für soziale Sicherheit oder der Konkursverwalter erheben vor dem Handelsgericht, das über den Konkurs der Gesellschaft erkennt, Klage in Sachen persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der in Absatz 1 erwähnten Leiter.
Paragraph 1 Absatz 2 ist in Bezug auf vorerwähnte Schulden nicht auf das vorerwähnte Landesamt und den vorerwähnten Konkursverwalter anwendbar.
Als schwerwiegend anzusehender Fehler gilt jede organisierte oder nicht organisierte schwere Steuerhinterziehung im Sinne von Artikel 5 § 3 des Gesetzes vom 11. Januar 1993 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und die Tatsache, dass die Gesellschaft von einem Geschäftsführer oder Verantwortlichen geleitet wird, der in mindestens zwei Konkursen, Liquidationen oder gleichartigen Verrichtungen verwickelt war, die zu Schulden bei einer Einrichtung zur Einziehung von Sozialbeiträgen geführt haben. Der König kann nach Stellungnahme des geschäftsführenden Ausschusses des Landesamts für soziale Sicherheit Sachverhalte, Angaben oder Umstände bestimmen, die im Hinblick auf die Anwendung des vorliegenden Paragraphen ebenfalls als schwerwiegend anzusehender Fehler betrachtet werden können ».
Artikel 409 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches bestimmt:
« Unbeschadet von § 1 können die in § 1 erwähnten Verwalter, ehemaligen Verwalter und anderen Personen vom Landesamt für soziale Sicherheit und vom Konkursverwalter persönlich und gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden für die Gesamtheit oder einen Teil der zum Zeitpunkt der Verkündung des Konkurses geschuldeten Sozialbeiträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und der Pauschalentschädigung erwähnt in Artikel 54ter des Königlichen Erlasses vom 28. November 1969 zur Ausführung des Gesetzes vom 27. Juni 1969 zur Revision des Erlassgesetzes vom 28. Dezember 1944 über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer, wenn erwiesen ist, dass ein von ihnen begangener als schwerwiegend anzusehender Fehler dem Konkurs zugrunde lag, oder wenn sich diese Verwalter, ehemaligen Verwalter und anderen Personen im Laufe eines Zeitraums von fünf Jahren vor Verkündung des Konkurses in der in Artikel 38 § 3octies Nr. 8 des Gesetzes vom 29. Juni 1981 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der sozialen Sicherheit für Lohnempfänger beschriebenen Situation befunden haben.
Das Landesamt für soziale Sicherheit oder der Konkursverwalter erheben vor dem Handelsgericht, das über den Konkurs der Gesellschaft erkennt, Klage in Sachen persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der in Absatz 1 erwähnten Verwalter.
Paragraph 1 Absatz 2 ist in Bezug auf vorerwähnte Schulden nicht auf das vorerwähnte Landesamt und den vorerwähnten Konkursverwalter anwendbar.
Als schwerwiegend anzusehender Fehler gilt jede organisierte oder nicht organisierte schwere Steuerhinterziehung im Sinne von Artikel 5 § 3 des Gesetzes vom 11. Januar 1993 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und die Tatsache, dass die Gesellschaft von einem Geschäftsführer oder Verantwortlichen geleitet wird, der in mindestens zwei Konkursen, Liquidationen oder gleichartigen Verrichtungen verwickelt war, die zu Schulden bei einer Einrichtung zur Einziehung von Sozialbeiträgen geführt haben. Der König kann nach Stellungnahme des geschäftsführenden Ausschusses des Landesamts für soziale Sicherheit Sachverhalte, Angaben oder Umstände bestimmen, die im Hinblick auf die Anwendung des vorliegenden Paragraphen ebenfalls als schwerwiegend anzusehender Fehler betrachtet werden können ».
B.1.2. Artikel 38 § 3octies des Gesetzes vom 29. Juni 1981 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der sozialen Sicherheit für Lohnempfänger, auf den im fraglichen Artikel Bezug genommen wird, bestimmt:
« Um Anspruch auf den Vorteil der vollständigen oder teilweisen Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen, die in den Paragraphen 3 und 3bis erwähnt sind, der vollständigen oder teilweisen Befreiung der Zahlung der einbehaltenen Beiträge, einer Ermäßigung von Sozialversicherungsbeiträgen, die in den Paragraphen 2, 3 und 3bis erwähnt sind, und einer durch oder aufgrund des vorliegenden Gesetzes vorgesehenen Pauschalbeitragsregelung erheben zu können, darf der Arbeitgeber sich nicht in einer der nachfolgenden Situationen befinden:
[...]
8. Wenn es sich um eine juristische Person handelt: Unter den Verwaltern, Geschäftsführern oder Personen, die befugt sind, die Gesellschaft zu verpflichten, gibt es Personen, die in mindestens zwei Konkursen, Liquidationen oder gleichartigen Verrichtungen verwickelt waren, die zu Schulden bei einer Einrichtung zur Beitreibung von Sozialversicherungsbeiträgen geführt haben.
[...] ».
B.2. Bei unbezahlten Sozialversicherungsbeiträgen führen die Artikel 265 § 2 und 409 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches eine besondere Haftung der Geschäftsführer, ehemaligen Geschäftsführer und aller anderen Personen, die befugt gewesen sind, eine Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung zu verwalten, einerseits und der Verwalter, ehemaligen Verwalter und aller anderen Personen, die befugt gewesen sind, eine Genossenschaft mit beschränkter Haftung zu verwalten, andererseits ein. Diese können nämlich unter bestimmten Bedingungen persönlich und gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden für die Gesamtheit oder einen Teil aller zum Zeitpunkt der Verkündung des Konkurses geschuldeten Sozialbeiträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und der Pauschalentschädigung im Sinne von Artikel 54ter des königlichen Erlasses vom 28. November 1969 zur Ausführung des Gesetzes vom 27. Juni 1969 zur Revision des Erlassgesetzes vom 28. Dezember 1944 über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer.
Damit dies beschlossen werden kann, muss jedoch feststehen, dass sie entweder einen schwerwiegenden Fehler begangen haben, der dem Konkurs zugrunde lag (erste Hypothese), oder dass sie innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor Verkündung des Konkurses bereits in mindestens zwei Konkursen, Liquidationen oder gleichartigen Verrichtungen verwickelt waren, die zu Schulden bei einer Einrichtung zur Einziehung von Sozialbeiträgen geführt haben (zweite Hypothese). Die Vorabentscheidungsfragen betreffen nur die letztgenannte Hypothese, weshalb der Gerichtshof seine Prüfung darauf beschränkt. Der Gerichtshof äußert sich also weder zu der Haftung infolge eines schwerwiegenden Fehlers, der dem Konkurs zugrunde lag, noch zu dem, was in Absatz 4 der fraglichen Bestimmungen als schwerwiegender Fehler angesehen wird.
B.3. Die Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache Nr. 5722 und die zweite Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache Nr. 5806 betreffen die Vereinbarkeit von Artikel 409 § 2 Absatz 1 des Gesellschaftsgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, insofern er für eine bestimmte Kategorie von Verwaltern und ehemaligen Verwaltern einen objektiven Haftungsgrund einführe, während im Falle mehrerer Konkurse und/oder Liquidationsverfahren die chronologische Reihenfolge der Verkündung der Urteile, in die der Unternehmensleiter verwickelt sei, und somit das Bestehen der in der Gesetzesbestimmung erwähnten Situation mal vom Willen der genannten Verwalter oder ehemaligen Verwalter, mal vom Willen des Landesamtes für soziale Sicherheit und/oder auch von völlig externen Faktoren abhängen könne.
B.4. Die Einführung einer besonderen Haftungsregelung für Schulden der sozialen Sicherheit wurde gerechtfertigt als ein Instrument zur besseren Eintreibung der Sozialversicherungsbeiträge (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2517/003, S. 7; DOC 51-2517/011, S. 8).
Bei der Erörterung des Abänderungsantrags, der zur Änderung der fraglichen Bestimmungen durch das Gesetz vom 27. Dezember 2006 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen (I) geführt hat, wurde hervorgehoben, dass diese Bestimmungen vor allem gegen böswillige Unternehmer gerichtet seien:
« Es geht nicht an, dass gewisse böswillige Arbeitgeber Unternehmen gründen und zu dem Zeitpunkt, wo die ersten Zahlungen erfolgen müssen, den Betrieb schließen, um anschließend eine neue Gesellschaft zu gründen, usw. Es kommt darauf an, dass die geschuldeten Beiträge korrekt gezahlt werden » (Parl. Dok., Kammer, 2006-2007, DOC 51-2760/030, S. 6).
B.5. Die durch die fraglichen Bestimmungen eingeführte persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der in den Vorabentscheidungsfragen erwähnten Kategorie von Personen wird umschrieben als eine « objektive Haftung » (Gutachten der Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates, Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2517/003, Nr. 1, S. 10). Die Tatsache, dass die Verwalter und ehemaligen Verwalter im Laufe des Zeitraums von fünf Jahren vor Verkündung des Konkurses bereits in mindestens zwei Konkursen, Liquidationen oder gleichartigen Verrichtungen verwickelt waren, die zu Schulden bei einer Einrichtung zur Einziehung von Sozialbeiträgen geführt haben, kann nämlich genauso wie « ein als schwerwiegend anzusehender Fehler [, der] dem Konkurs zugrunde lag » zu ihrer persönlichen und gesamtschuldnerischen Haftung führen.
B.6. Die fragliche Maßnahme, die für die Kategorie von Verwaltern und ehemaligen Verwaltern gilt, die sich in der in B.5 beschriebenen Situation befinden, beruht auf einem Kriterium, das mit dem in B.4 erwähnten Ziel zusammenhängt, da sie die Verwalter und ehemaligen Verwalter jener Gesellschaften betrifft, die wiederholt die Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt haben.
B.7. Auf Streitsachen in Bezug auf Sozialversicherungsbeiträge kann Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention der Anwendung finden auf der Grundlage einer Abwägung der öffentlich- und privatrechtlichen Aspekte der zu beurteilenden Regelung (EuGHMR, 9. Dezember 1994, Schouten und Meldrum gegen Niederlande, §§ 52-60). Wenn, wie in diesem Fall, aufgrund der fraglichen Bestimmungen nicht die beitragspflichtige Gesellschaft selbst, sondern die Verwalter und ehemaligen Verwalter dieser Gesellschaft, in Abweichung von der gewöhnlichen Haftungsregelung mit ihrem persönlichen Vermögen zur Zahlung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge und Zusatzbeträge verurteilt werden können, geht es um eine Streitsache über « zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen » im Sinne der vorerwähnten Vertragsbestimmung.
Daraus ergibt sich, dass den in den fraglichen Bestimmungen erwähnten Verwaltern und ehemaligen Verwaltern bezüglich der Klage des Landesamtes für soziale Sicherheit oder des Konkursverwalters das Recht auf Zugang zu einem Gericht mit voller Rechtsprechungsbefugnis garantiert werden muss.
B.8. Die fraglichen Bestimmungen führen eine objektive Haftung ein und verleihen dem Landesamt für soziale Sicherheit und dem Konkursverwalter eine Ermessensbefugnis, um die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge und Zusatzbeträge insgesamt oder teilweise zurückzufordern.
Die Klage in Bezug auf die persönliche und gesamtschuldnerische Haftung muss jedoch bei einem Rechtsprechungsorgan eingereicht werden, nämlich dem Handelsgericht, das über den Konkurs der Gesellschaft befindet. Dieses Gericht muss beurteilen, ob die gesetzlichen Bedingungen für die persönliche und gesamtschuldnerische Haftung erfüllt sind, und insbesondere prüfen, ob die betreffenden Verwalter und ehemaligen Verwalter im Laufe des Zeitraums von fünf Jahren vor einem neuen Konkurs in mindestens zwei weiteren Konkursen verwickelt waren, die zu Schulden bei einer Einrichtung zur Einziehung von Sozialbeiträgen geführt haben.
Da die fraglichen Bestimmungen vorsehen, dass die darin erwähnten Personen persönlich und gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden können « für die Gesamtheit oder einen Teil der [...] Sozialbeiträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und der Pauschalentschädigung », ermöglichen sie es außerdem dem Landesamt für soziale Sicherheit und dem Konkursverwalter, das Maß dieser gesamtschuldnerischen Haftung zu bestimmen, und muss das Gericht rechtlich und faktisch die Höhe der geschuldeten Sozialbeiträge, Beitragszuschläge, Verzugszinsen und der Pauschalentschädigung auf der Grundlage der bei ihm eingereichten Klage beurteilen können. In Bezug auf die Höhe der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge und Zusatzbeträge besitzt das zuständige Gericht bei der Behandlung der eingereichten Klage also die gleiche Ermessensbefugnis wie das Landesamt für soziale Sicherheit und der Konkursverwalter. In dieser Auslegung wird den betreffenden Verwaltern und ehemaligen Verwaltern der Zugang zu einem Richter mit voller Rechtsprechungsbefugnis gewährleistet.
B.9.1. In den fraglichen Bestimmungen heißt es, dass die betreffenden Personen haftbar gemacht werden « können », so dass der Richter feststellen muss, ob im konkreten Fall die persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der Verwalter und ehemaligen Verwalter vorliegt (Parl. Dok., Kammer, 2005-2006, DOC 51-2517/011, S. 14).
B.9.2. Wie in B.4 dargelegt wurde, geht aus dem Zustandekommen der fraglichen Bestimmungen hervor, dass der Gesetzgeber vor allem die bösgläubig handelnden Verwalter und ehemaligen Verwalter haftbar machen wollte, die sich des Sozialbetrugs schuldig machen, indem sie ein Unternehmen gründen und anschließend einen Konkurs herbeiführen, ohne dass sie ihre Sozialversicherungsschulden bezahlt haben, und diese Vorgehensweise mehrere Male wiederholen.
Ein Richter, der darüber urteilen muss, ob die gesetzlichen Bedingungen für die persönliche und gesamtschuldnerische Haftung erfüllt sind, kann prüfen, ob im Falle der wiederholten Beteiligung an Konkursen mit Sozialversicherungsschulden ein solches Verfahren der betrügerischen Wiederholung vorliegt und kann bei der Bestimmung der Höhe der Beträge, für die der Verwalter und der ehemalige Verwalter aufkommen müssen, daher dem Umstand Rechnung tragen, ob diese gutgläubig gehandelt haben oder nicht.
B.9.3. Vorbehaltlich dieser Auslegung ist die fragliche Maßnahme vernünftig gerechtfertigt im Lichte des angestrebten Ziels und sind die Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache Nr. 5722 und die zweite Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache Nr. 5806 verneinend zu beantworten.
B.10. Die erste Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache Nr. 5806 betrifft die Vereinbarkeit von Artikel 265 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, an sich oder in Verbindung mit den Artikeln 6 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention, insofern hinsichtlich der betreffenden Kategorie von Geschäftsführern, ehemaligen Geschäftsführern und allen anderen Personen, die effektiv befugt gewesen seien, die Gesellschaft zu verwalten, die unwiderlegbare Vermutung eines schwerwiegenden Fehlers Anwendung finde, während die Geschäftsführer, Verwalter oder jede andere Person, die effektiv befugt gewesen sei, eine zivilrechtliche Gesellschaft in der Rechtsform einer Handelsgesellschaft, eine Stiftung oder eine VoG zu verwalten, nicht für einen deutlich schwerwiegenden Fehler, der zum Konkurs beigetragen habe, haftbar gemacht werden könnten, insofern diese juristischen Personen nicht die Eigenschaft eines Kaufmanns hätten und über sie damit zusammenhängend auch niemals der Konkurs eröffnet werden könne.
B.11. Der Behandlungsunterschied zwischen Personen je nachdem, ob sie einerseits eine Handelsgesellschaft oder andererseits eine zivilrechtliche Gesellschaft in der Rechtsform einer Handelsgesellschaft, eine Stiftung oder eine VoG verwalten oder führen, beruht auf einem objektiven Kriterium, und zwar der zivilrechtlichen oder kommerziellen Art der juristischen Person. Nur über Handelsgesellschaften kann der Konkurs eröffnet werden. Da die fraglichen Bestimmungen sich auf Hypothesen des Konkurses beziehen, ist das darin gewählte Unterscheidungskriterium relevant angesichts der Zielsetzung der Maßnahme, die sich aus den in B.4 bis B.9 dargelegten Gründen sowie unter dem darin erwähnten Vorbehalt übrigens objektiv und vernünftig rechtfertigen lässt.
Dass Personen, die zivilrechtliche Gesellschaften, VoGs oder Stiftungen verwalten oder führen, gegebenenfalls Betrugshandlungen begangen hätten, ist nicht geeignet, an sich den fraglichen Bestimmungen ihre Rechtfertigung zu entziehen.
B.12. Die erste Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache Nr. 5806 ist verneinend zu beantworten.
Aus diesen Gründen:
Der Gerichtshof
erkennt für Recht:
Vorbehaltlich der in B.8 und B.9 erwähnten Auslegung verstoßen Artikel 265 § 2 und Artikel 409 § 2 des Gesellschaftsgesetzbuches nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.
Erlassen in französischer und niederländischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, am 25. September 2014.
Der Kanzler,
(gez.) P.-Y. Dutilleux
Der Präsident,
(gez.) J. Spreutels