Grondwettelijk Hof (Arbitragehof): Arrest aus 27 Mai 2010 (België). RG 62/2010

Date :
27-05-2010
Langue :
Allemand Français Néerlandais
Taille :
8 pages
Section :
Jurisprudence
Source :
Justel D-20100527-6
Numéro de rôle :
62/2010

Résumé :

Der Hof erkennt für Recht: Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets der Flämischen Region vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik, eingefügt durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI « Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmaßnahmen », verstößt weder gegen die Regeln der Zuständigkeitsverteilung noch gegen die Artikel 12 und 14 der Verfassung, an sich oder in Verbindung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, mit Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 15 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, noch gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Arrêt :

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Der Verfassungsgerichtshof,

zusammengesetzt aus den Vorsitzenden M. Bossuyt und M. Melchior, und den Richtern R. Henneuse, E. De Groot, L. Lavrysen, A. Alen, J.-P. Snappe, J.-P. Moerman, E. Derycke, J. Spreutels, T. Merckx-Van Goey und P. Nihoul, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden M. Bossuyt,

verkündet nach Beratung folgendes Urteil:

I. Gegenstand der präjudiziellen Fragen und Verfahren

In seinem Urteil vom 2. Oktober 2009 in Sachen der Staatsanwaltschaft gegen Vojtech Olah und Viera Balazova, dessen Ausfertigung am 13. Oktober 2009 in der Kanzlei des Hofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende präjudizielle Fragen gestellt:

- « Verstösst Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik (Belgisches Staatsblatt vom 3. Juni 1995), eingefügt durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI ' Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmassnahmen ' (Belgisches Staatsblatt vom 29. Februar 2008), gegen die Artikel 12 und 14 der Verfassung, an sich oder in Verbindung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung und mit Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie mit Artikel 15 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, indem die Umschreibung ' geringfügige Formen der öffentlichen Störung ' keinen ausreichenden normativen Inhalt hat, um diese Verhaltensweisen zu definieren, die in Abweichung von den in Artikel 16.6.3 § 1 des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik (Belgisches Staatsblatt vom 3. Juni 1995), eingefügt durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI ' Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmassnahmen ', erwähnten Strafen entweder mit kommunalen Sanktionen gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes oder mit einer Polizeistrafe von höchstens 45,45 Euro bestraft werden? »;

- « Verstösst Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik (Belgisches Staatsblatt vom 3. Juni 1995), eingefügt durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI ' Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmassnahmen ' (Belgisches Staatsblatt vom 29. Februar 2008), gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, indem diese Bestimmung zu einer unterschiedlichen Behandlung der Rechtsunterworfenen führt, die nicht objektiv und vernünftig gerechtfertigt ist, da ein Rechtsunterworfener, der geringfügige Formen der öffentlichen Störung nach der im Umweltdurchsetzungsdekret bestimmten Definition in einer Gemeinde begeht, die sie gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes mit kommunalen Sanktionen belegt, nur mit einer kommunalen Verwaltungssanktionen bestraft werden kann, während ein Rechtsunterworfener, der die gleiche geringfügige Form der öffentlichen Störung in einer Gemeinde begeht, die sie nicht mit solchen kommunalen Verwaltungssanktionen belegt, wohl mit einer Strafe strafrechtlicher Art, die im Strafregister des Rechtsunterworfenen verzeichnet wird, bestraft werden kann? »;

- « Verstösst Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik (Belgisches Staatsblatt vom 3. Juni 1995), eingefügt durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI ' Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmassnahmen ' (Belgisches Staatsblatt vom 29. Februar 2008), gegen die durch die Verfassung oder kraft derselben zur Bestimmung der jeweiligen Zuständigkeiten von Staat, Gemeinschaften und Regionen festgelegten Vorschriften, indem in Abweichung von Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes den Gemeinden die Zuständigkeit erteilt wird, kommunale Verwaltungssanktionen für Verstösse gegen Verordnungen und Verfügungen, für die ein Dekret bereits Strafen vorgesehen hat, zu bestimmen? ».

(...)

II. In rechtlicher Beziehung

(...)

B.1.1. Das Dekret der Flämischen Region vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik (nachstehend: das Dekret vom 5. April 1995) in der durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI « Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmassnahmen » abgeänderten Fassung harmonisiert die Bestimmungen über die Aufsicht, die Sanktionen und die Sicherheitsmassnahmen für verschiedene Umweltgesetze und -dekrete, führt zu einer koordinierten Umweltdurchsetzungspolitik durch einen einzusetzenden Flämischen Hohen Rat für die Umweltdurchsetzung und bezweckt, die administrative Rechtsdurchsetzung zu verstärken durch Auferlegung von Verwaltungsmassnahmen und administrativen Geldbussen.

B.1.2. Artikel 16.6.3 des Dekrets vom 5. April 1995 bestimmt:

« § 1. Wer absichtlich, im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften oder im Widerspruch zu einer Genehmigung Abfälle zurücklässt, bewirtschaftet oder transportiert, wird mit einer Gefängnisstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren und mit einer Geldbusse von 100 Euro bis 500 000 Euro oder mit nur einer dieser Strafen bestraft.

Wer durch einen Mangel an Vorsorge oder Vorsicht, im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften oder im Widerspruch zu einer Genehmigung Abfälle zurücklässt, bewirtschaftet oder transportiert, wird mit einer Gefängnisstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren und mit einer Geldbusse von 100 Euro bis 350 000 Euro oder mit nur einer dieser Strafen bestraft.

§ 2. In Abweichung von den in Paragraph 1 erwähnten Strafen können Gemeinden für geringfügige Formen der öffentlichen Störung kommunale Sanktionen gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes festlegen.

Wenn die Gemeinde keine kommunalen Sanktionen gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes festgelegt hat, werden in dieser Gemeinde solche geringfügigen Formen der öffentlichen Störung mit einer Geldbusse von höchstens 45,45 Euro bestraft ».

B.1.3. Artikel 119bis § 1 des neuen Gemeindegesetzes bestimmt:

« Der Gemeinderat kann für Verstösse gegen seine Verordnungen oder Verfügungen Strafen oder Verwaltungssanktionen festlegen, es sei denn, dass für die gleichen Verstösse durch oder aufgrund eines Gesetzes, eines Dekrets oder einer Ordonnanz Strafen oder Verwaltungssanktionen festgelegt werden ».

B.2.1. Vor der Annahme des vorerwähnten Artikels 16.6.3 beruhte die Strafverfolgung auf den Artikeln 56 ff. des Abfalldekrets vom 2. Juli 1981, das auf kommunaler Ebene jedoch weder eine strafrechtliche Behandlung, noch eine verwaltungsrechtliche Behandlung vorsah.

Gemäss Artikel 119bis § 1 des neuen Gemeindegesetzes war es den Gemeinden jedoch bereits möglich, bestimmte Störungen der Sauberkeit, Gesundheit, Sicherheit und der öffentlichen Ruhe und öffentliche Störungen auf ihrem Gebiet schneller und effizienter zu bekämpfen. Das Rundschreiben OOP 30bis « über die Ausführung des Gesetzes vom 13. Mai 1999 zur Einführung kommunaler Verwaltungssanktionen, des Gesetzes vom 7. Mai 2004 zur Abänderung des Gesetzes vom 8. April 1965 über den Jugendschutz und des neuen Gemeindegesetzes und des Gesetzes vom 17. Juni 2004 zur Abänderung des neuen Gemeindegesetzes » bestimmt, dass mit der öffentlichen Störung das materielle, hauptsächlich individuelle Verhalten gemeint ist, das den harmonischen Verlauf menschlicher Aktivitäten beeinträchtigen und die Lebensqualität der Einwohner einer Gemeinde, eines Stadtteils, einer Strasse einschränken kann auf eine Art und Weise, die die normalen Zwänge des gesellschaftlichen Lebens überschreitet.

B.2.2. Mit dem Abänderungsantrag Nr. 33 (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/003, S. 19), der Artikel 16.6.3 § 2 eingeführt hat, beabsichtigte der Dekretgeber, den Gemeinden die Möglichkeit zu bieten, bestimmte geringfügige Formen der öffentlichen Störung auf angemessene Weise zu behandeln.

« Durch [diesen Abänderungsantrag] werden [...] die Strafbestimmungen des Abfalldekrets abgeändert; hierdurch können Gemeinden unverzüglich kommunale Sanktionen für die Verschmutzung öffentlicher Strassen und Plätze, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, auferlegen. Es handelt sich beispielsweise um das Zurücklassen von allerlei kleinen Abfällen (Zigarettenkippen, Kaugummi, Getränkedosen, und so weiter), wildes Plakatieren, das Unterlassen der Beseitigung von Ausscheidungen von Reittieren, illegales Abladen von Müll, und so weiter. Bei der Festlegung der kommunalen Sanktionen können die Gemeinden sich entweder für Polizeistrafen oder für eine administrative Geldbusse mit einer Obergrenze von 250 Euro entscheiden. In den Fällen, in denen die Gemeinden nicht selbst gegen solche Formen der öffentlichen Störung vorgehen, möchte die Ministerin öffentliche Störungen mit einer Geldbusse von 45,45 Euro unter Strafe stellen. [...]

Mit diesen Vorschlägen, die die Ministerin dem Dekretentwurf hinzufügen möchte, hofft sie, den Gemeinden eine geeignete Rechtsgrundlage in ihrem Kampf gegen Störungen und um eine bessere Lebensqualität sowie ein besseres Lebensumfeld zu bieten » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/005, SS. 33-34).

In Bezug auf die dritte präjudizielle Frage (Verstoss gegen die Regeln der Zuständigkeitsverteilung)

B.3.1. Die Prüfung der Ubereinstimmung einer fraglichen Bestimmung mit den Regeln der Zuständigkeitsverteilung muss vor derjenigen ihrer Vereinbarkeit mit den Bestimmungen von Titel II der Verfassung erfolgen.

B.3.2. Die dritte präjudizielle Frage ist darauf ausgerichtet, vom Hof zu vernehmen, ob Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 vereinbar ist mit Artikel 6 § 1 VIII Absatz 1 Nr. 1 vierter Gedankenstrich des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, indem in Abweichung von Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes den Gemeinden die Befugnis erteilt werde, kommunale Verwaltungssanktionen aufzuerlegen für Verstösse gegen Verordnungen und Verfügungen, für die ein Dekret bereits Strafen vorsehe, so dass der regionale Dekretgeber auf die Befugnisse, die dem föderalen Gesetzgeber vorbehalten seien, übergreife.

B.4.1. Kraft Artikel 6 § 1 II Nr. 2 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, ersetzt durch das Sondergesetz vom 16. Juli 1993, sind die Regionen für « die Abfallpolitik » zuständig, vorbehaltlich der in Absatz 2 vorgesehenen Ausnahmen.

Die Regionen sind ebenfalls zuständig für den Umweltschutz sowie für den Naturschutz und die Erhaltung der Natur (Artikel 6 § 1 II Nr. 1 und III Nr. 2).

Artikel 11 desselben Sondergesetzes, ersetzt durch das Sondergesetz vom 16. Juli 1993, bestimmt:

« Innerhalb der Grenzen der Befugnisse der Gemeinschaften und Regionen können Dekrete Verstösse gegen ihre Bestimmungen unter Strafe stellen und Strafen zur Ahndung dieser Verstösse festlegen; die Bestimmungen von Buch I des Strafgesetzbuches sind darauf anwendbar, vorbehaltlich der Ausnahmen, die für besondere Verstösse durch ein Dekret vorgesehen werden können.

Für jede Beratung in der Gemeinschafts- oder Regionalregierung über einen Vorentwurf eines Dekrets, in dem eine Strafe oder eine Unterstrafestellung enthalten ist, die in Buch I des Strafgesetzbuches nicht vorgesehen ist, ist eine gleichlautende Stellungnahme des Ministerrates erforderlich.

In dem in Absatz 1 abgesteckten Rahmen können Dekrete:

1. den vereidigten Bediensteten der Gemeinschafts- oder Regionalregierung oder der Einrichtungen, die der Amtsgewalt oder der Kontrolle der Gemeinschafts- oder Regionalregierung unterliegen, die Eigenschaft eines Gerichtspolizeibediensteten oder Gerichtspolizeioffiziers zuerkennen,

2. die Beweiskraft von Protokollen regeln,

3. die Fälle festlegen, in denen eine Haussuchung stattfinden kann ».

B.4.2. Insoweit sie nicht anders darüber verfügt haben, haben der Verfassungsgeber und der Sondergesetzgeber den Gemeinschaften und den Regionen die vollständige Befugnis erteilt, Regeln aufzustellen, die den ihnen zugewiesenen Angelegenheiten eigen sind. Vorbehaltlich anders lautender Bestimmungen hat der Sondergesetzgeber die Gesamtheit der Politik bezüglich der durch ihn zugewiesenen Angelegenheiten den Gemeinschaften und Regionen übertragen.

B.5.1. Die Zuständigkeit des regionalen Gesetzgebers für Abfälle beinhaltet die Befugnis, sich dafür zu entscheiden, die durch ihn angenommenen Bestimmungen mit strafrechtlichen Sanktionen auf der Grundlage des vorerwähnten Artikels 11 einhergehen zu lassen, davon abzusehen, andere Massnahmen zu wählen oder die lokalen Behörden zu ermächtigen, Verwaltungssanktionen aufzuerlegen.

B.5.2. Der Umstand, dass die fragliche Bestimmung es den Gemeinden ermöglicht, Verwaltungssanktionen aufzuerlegen, um Verhaltensweisen zu bestrafen, die strafrechtlich geahndet werden, während Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes dies in einem solchen Fall nicht ermöglicht, bedeutet nicht, dass gegen die Zuständigkeiten des föderalen Gesetzgebers verstossen würde.

Dieser ist aufgrund von Artikel 6 § 1 VIII Absatz 1 Nr. 1 vierter Gedankenstrich des vorerwähnten Sondergesetzes dafür zuständig, die Organisation der Polizei und die Politik mit Bezug auf die Polizei, einschliesslich des Artikels 135 § 2 des neuen Gemeindegesetzes, zu regeln. Diese Zuständigkeit bedeutet nicht, dass die Regionen die Gemeinden nur unter den durch Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes festgelegten Bedingungen, nämlich um Verhaltensweisen zu bestrafen, die nicht strafrechtlich geahndet werden, dazu ermächtigen könnten, Verwaltungssanktionen aufzuerlegen.

B.5.3. Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die durch den regionalen Gesetzgeber berücksichtigte Lösung, die - ebenso wie diejenige, die der föderale Gesetzgeber berücksichtigt hat - auf dem Bemühen beruht, die Einhaltung des Grundsatzes non bis in idem zu gewährleisten (Parl. Dok., Kammer, 2002-2003, DOC 50-2366/001, SS. 5-6; Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/1, S. 17), ebenfalls dem vorerwähnten Artikel 6 § 1 VIII Absatz 1 Nr. 1 Absatz 3 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 entspricht, der nach dem Beispiel von Artikel 162 Absatz 2 Nr. 2 der Verfassung insbesondere bestimmt, dass die Gemeinderäte alles regeln, was von kommunalem Interesse ist; der durch die fragliche Bestimmung eingeführte Mechanismus ermöglicht es somit, gleichzeitig die Wirksamkeit der Massnahme zu gewährleisten und den Gemeindebehörden die Möglichkeit zu geben, ihre Zuständigkeiten für insbesondere die öffentliche Ordnung und Gesundheit auszuüben. Ein solcher Mechanismus, der nur von dem Mechanismus abweicht, der durch den föderalen Gesetzgeber berücksichtigt worden ist, insofern immer eine Sanktion möglich sein wird, während nur bestimmte Verhaltensweisen auf der Grundlage der föderalen Gesetze bestraft werden, ist nicht so beschaffen, dass er den föderalen Gesetzgeber daran hindern würde, seine Befugnisse auszuüben, und ebenfalls nicht so, dass er deren Ausübung besonders erschweren würde.

B.6. Die dritte präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.

In Bezug auf die erste präjudizielle Frage (Legalitätsprinzip in Strafsachen)

B.7. Die erste präjudizielle Frage ist darauf ausgerichtet, vom Hof zu vernehmen, ob Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 vereinbar ist mit den Artikeln 12 und 14 der Verfassung, gegebenenfalls in Verbindung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, mit Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 15 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, da die Formulierung « geringfügige Formen der öffentlichen Störung » keinen ausreichend normativen Inhalt habe, um diese Verhaltensweisen zu definieren, die in Abweichung von den in Artikel 16.6.3 § 1 des Dekrets vom 5. April 1995 angeführten Strafen mit kommunalen Sanktionen gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes oder mit einer Polizeistrafe von höchstens 45,45 Euro geahndet würden.

B.8.1. Indem die Artikel 12 Absatz 2 und 14 der Verfassung dem Gesetzgeber die Befugnis verleihen, einerseits zu bestimmen, in welchen Fällen und in welcher Form eine Strafverfolgung möglich ist, und andererseits eine Gesetzesnorm anzunehmen, aufgrund deren eine Strafe eingeführt und angewandt werden kann, gewährleisten sie jedem Bürger, dass keinerlei Verhalten unter Strafe gestellt wird und keinerlei Strafe auferlegt wird, wenn dies nicht aufgrund von Regeln geschieht, die durch eine demokratisch gewählte beratende Versammlung angenommen wurden.

B.8.2. Das Legalitätsprinzip in Strafsachen geht ausserdem von der Uberlegung aus, dass das Strafgesetz so formuliert sein muss, dass jeder zu dem Zeitpunkt, wo er ein Verhalten annimmt, wissen kann, ob dieses Verhalten strafbar ist oder nicht. Er verlangt, dass der Gesetzgeber in ausreichend genauen, deutlichen und Rechtssicherheit bietenden Worten festlegt, welche Handlungen unter Strafe gestellt werden, damit einerseits derjenige, der ein Verhalten annimmt, vorher ausreichend beurteilen kann, welche strafrechtlichen Folgen dieses Verhalten haben kann, und andererseits dem Richter keine allzu grosse Ermessensbefugnis überlassen wird.

B.8.3. Das Legalitätsprinzip in Strafsachen verhindert jedoch nicht, dass das Gesetz dem Richter eine Ermessensbefugnis gewährt. Man muss nämlich der allgemein gültigen Beschaffenheit der Gesetzesbestimmungen, der Verschiedenartigkeit der Situationen, auf die sie angewandt werden, und der Entwicklung der Verhaltensweisen, die sie ahnden, Rechnung tragen.

Das Erfordernis, dass eine Straftat deutlich in der Gesetzesnorm definiert sein muss, ist erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene auf der Grundlage der Formulierung der relevanten Bestimmung und vorkommendenfalls anhand ihrer Auslegung durch die Rechtsprechungsorgane wissen kann, welche Handlungen und welche Unterlassungen seine strafrechtliche Haftung mit sich bringen können.

B.8.4. Nur bei der Prüfung einer spezifischen Strafbestimmung ist es möglich, unter Berücksichtigung der jeweiligen Merkmale der zu ahndenden Straftaten zu bestimmen, ob die vom Gesetzgeber verwendeten Formulierungen so ungenau sind, dass sie gegen das durch Artikel 12 Absatz 2 der Verfassung gewährleistete Legalitätsprinzip verstossen würden.

B.9.1. Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 bestimmt, dass für « geringfügige Formen der öffentlichen Störung » die Gemeinden die Möglichkeit haben, gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes und in Abweichung von Artikel 16.6.3 § 1 des Dekrets vom 5. April 1995 kommunale Sanktionen festzulegen.

B.9.2. In den Vorarbeiten zum Dekret vom 5. April 1995 werden verschiedene Hinweise dazu gegeben, was unter diesen « geringfügigen Formen der öffentlichen Störung » zu verstehen ist.

« Es besteht kein Zweifel darüber, dass Probleme von kleinen Abfällen, Hundekot, illegalen Entsorgungen, streunenden Hunden, und so weiter, [...], sich doch sehr negativ auf unsere Gesellschaft auswirken und oft zu ernsthafter Verärgerung und Unmut in dieser Gesellschaft Anlass geben. [...]

' Mit der öffentlichen Störung ist das materielle, hauptsächlich individuelle Verhalten gemeint, das den harmonischen Verlauf menschlicher Aktivitäten beeinträchtigen und die Lebensqualität der Einwohner einer Gemeinde, eines Stadtteils, einer Strasse einschränken kann auf eine Art und Weise, die die normalen Zwänge des gesellschaftlichen Lebens überschreitet. Öffentliche Störungen können als leichte Formen von Störungen der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, Gesundheit und Sauberkeit angesehen werden. ' » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/003, S. 18).

« Während der Abänderungsantrag Nr. 32 im Allgemeinen eine Lösung für verschiedene geringfügige Formen der öffentlichen Störung bieten soll, ist der vorliegende Abänderungsantrag spezifisch auf die geringfügigen Formen der öffentlichen Störung im Zusammenhang mit Abfällen, wie illegales Entsorgen oder Zurücklassen von kleinen Abfällen ausgerichtet » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/003, S. 19).

« Durch [den Vorschlag] werden an erster Stelle die Strafbestimmungen des Abfalldekrets abgeändert; hierdurch können Gemeinden unverzüglich kommunale Sanktionen für die Verschmutzung öffentlicher Strassen und Plätze, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, auferlegen. Es handelt sich beispielsweise um das Zurücklassen von allerlei kleinen Abfällen (Zigarettenkippen, Kaugummi, Getränkedosen, und so weiter), wildes Plakatieren, das Unterlassen der Beseitigung von Ausscheidungen von Reittieren, illegales Abladen von Müll, und so weiter » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/005, S. 33).

B.9.3. Der Begriff « geringfügige Formen der öffentlichen Störung » ist im vorliegenden Fall auch begrenzt auf die Formen, die das Ergebnis einer nicht strikten Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Genehmigungsbedingungen in Bezug auf Abfälle sind. Sie beschränkt sich somit auf ihren Anwendungsbereich.

B.10. Die « geringfügigen Formen der öffentlichen Störung » haben einen genau definierten Anwendungsbereich; einerseits werden in den Vorarbeiten diesbezüglich ausreichende Hinweise erteilt über das, was unter diesem Begriff zu verstehen ist; andererseits gilt dieser Begriff ausschliesslich beim Zurücklassen, bei der Bewirtschaftung oder dem Transport von Abfällen im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften oder im Widerspruch zu einer Genehmigung.

B.11.1. Nicht jedes Zurücklassen, jede Bewirtschaftung oder jeder Transport von Abfällen hat die strafrechtliche Haftung der Betroffenen zur Folge. Damit ein Umweltverstoss vorliegt, ist nämlich nicht nur ein materielles Element, sondern auch ein moralisches Element erforderlich, das im vorliegenden Fall in der Absicht oder einem Mangel an Vorsorge oder Vorsicht besteht.

B.11.2. Diejenigen, auf die die fragliche Bestimmung ausgerichtet ist, müssen die ihnen auferlegten Normen und die Genehmigungsbedingungen einhalten, so wie es sich für jeden geziemt, der sich in der gleichen Situation befindet.

B.12.1. Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 ermöglicht es daher denjenigen, auf die diese Bestimmung Anwendung findet, die Taten und Nachlässigkeiten zu kennen, die ihre strafrechtliche Haftung zur Folge haben.

B.12.2. Die fragliche Bestimmung gewährt dem Strafrichter zwar eine Ermessensbefugnis, indem er für ein bestimmtes Zurücklassen, eine bestimmte Bewirtschaftung oder einen bestimmten Transport von Abfällen bestimmen muss, ob es sich in concreto um eine geringfügige Form der öffentlichen Störung im Sinne von Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 handelt, oder um eine Tat, die nicht dieser Einstufung entspricht, und folglich je nach Fall Gegenstand der Sanktionen im Sinne von Artikel 16.6.3 § 1 Absatz 1 oder Artikel 16.6.3 § 1 Absatz 2 des Dekrets vom 5. April 1995 sein muss. Es handelt sich also nicht um eine autonome Befugnis bezüglich der Unterstrafestellung, sondern um eine solche Ermessensbefugnis, die nicht von derjenigen abweicht, die der Strafrichter bei der Bestimmung der aufzuerlegenden Strafe besitzt, wenn er Strafbestimmungen anwendet, die einen sehr breiten Spielraum zwischen der Mindest- und der Höchststrafe vorsehen.

B.12.3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die fragliche Bestimmung nicht das Legalitätsprinzip in Strafsachen verletzt.

B.13. Die erste präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.

In Bezug auf die zweite präjudizielle Frage (Verstoss gegen den Gleichheitsgrundsatz)

B.14. Die zweite präjudizielle Frage ist darauf ausgerichtet, vom Hof zu vernehmen, ob Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung vereinbar ist, « indem diese Bestimmung zu einer unterschiedlichen Behandlung der Rechtsunterworfenen führt, die nicht objektiv und vernünftig gerechtfertigt ist, da ein Rechtsunterworfener, der geringfügige Formen der öffentlichen Störung nach der im Umweltdurchsetzungsdekret bestimmten Definition in einer Gemeinde begeht, die sie gemäss Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes mit kommunalen Sanktionen belegt, nur mit einer kommunalen Verwaltungssanktionen bestraft werden kann, während ein Rechtsunterworfener, der die gleiche geringfügige Form der öffentlichen Störung in einer Gemeinde begeht, die sie nicht mit solchen kommunalen Verwaltungssanktionen belegt, wohl mit einer Strafe strafrechtlicher Art, die im Strafregister des Rechtsunterworfenen verzeichnet wird, bestraft werden kann ».

B.15. In den Vorarbeiten zum Dekret vom 5. April 1995 heisst es:

« Diese Regelung verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz, sondern ist eine Form der Dezentralisierung, die der Subsidiarität entspricht. Jede Dezentralisierung beinhaltet, dass die dezentralen Verwaltungen Entscheidungen treffen können und dass diese von einer Verwaltung zur anderen unterschiedlich sein können innerhalb der Grenzen der zentraleren Rechtsvorschriften und innerhalb des eigenen Gebiets. So wie die EU-Mitgliedstaaten untereinander unterschiedlich sind hinsichtlich dessen, was sie unter Strafe stellen und/oder mit welchen Strafmassen, dies in Ausführung der EU-Rechtsvorschriften sowie innerhalb ihrer Grenzen, so unterscheiden sich auch die Regionen hinsichtlich dessen, was sie unter Strafe stellen und/oder mit welchen Strafmassen, dies innerhalb der Grenzen der EU-Rechtsvorschriften, der Verfassung und der Gesetzte über die Staatsreform. Ebenso ist es logischerweise nicht ausgeschlossen, dass Unterschiede bestehen von einer Gemeinde zur anderen innerhalb der Grenzen der ihnen durch die Verfassung, die Gesetze und Dekrete erteilten Zuständigkeiten. Dies ist ein eindeutiges Gegenstück zur Subsidiarität. Der Gleichheitsgrundsatz würde gefährdet, wenn die zuständige Verwaltung innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs die Rechtssubjekte auf ungleiche Weise behandeln würde [...]. Auch die Restbestimmung, die für geringfügige Formen der öffentlichen Störung ein strafrechtliches Strafmass von 45,45 Euro vorsieht für Fälle, in denen die Gemeinde die Form der Störung nicht strafbar gemacht hat in Ausführung von Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes, leistet dem keinen Abbruch; ihr Strafmass bleibt innerhalb der Spielräume, in denen die Gemeinde sich in Ausführung von Artikel 119bis frei entscheiden kann.

[...]

Wenn die Gemeinde über eine bestimmte Form der öffentlichen Störung keine Vorschriften in Anwendung von Artikel 119bis des neuen Gemeindegesetzes erlassen hat, bleibt diese Form der Störung strafbar mit einer Geldbusse, die dem Betrag der maximalen kommunalen Verwaltungssanktion entspricht. In diesem Vorschlag wurde dazu der Regelung über die Zuschlagzehntel auf die strafrechtlichen Geldbussen Rechnung getragen » (Parl. Dok., Flämisches Parlament, 2006-2007, Nr. 1249/003, SS. 18-19).

B.16.1. Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets vom 5. April 1995 dient dazu, die Bestrafung geringfügiger Formen der öffentlichen Störung zu gewährleisten und somit das tatkräftige, schnelle und effiziente Auftreten einer Gemeinde gegen relativ kleine und einfache Probleme, die sich sehr negativ auf die Gesellschaft auswirken, zu ermöglichen.

Gleichzeitig ist auf die fakultative Beschaffenheit der Befugnis der Gemeinden, Sanktionen aufzuerlegen, und auf die ergänzende Beschaffenheit der regionalen Unterstrafestellung, wenn die Gemeinden sich dafür entscheiden, nicht von ihrer fakultativen Befugnis Gebrauch zu machen, was die kommunale Autonomie unterstreicht, hinzuweisen.

B.16.2. Der Behandlungsunterschied beruht auf einem objektiven Kriterium, das von dem Umstand abhängig ist, ob die Gemeinden von der ihnen durch die fragliche Bestimmung erteilten Ermächtigung Gebrauch machen werden oder nicht. Die fragliche Massnahme ist relevant in Bezug auf die Zielsetzung, da der Dekretgeber gleichzeitig eine wirksame Bestrafung der von ihm ins Auge gefassten Verhaltensweisen und die kommunale Autonomie gewährleisten wollte. Ein Behandlungsunterschied in Angelegenheiten, in denen die Gemeinden über eine eigene Befugnis verfügen, ist übrigens die legitime Folge einer unterschiedlichen Politik, und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er an sich im Widerspruch zu den Artikeln 10 und 11 der Verfassung stehen würde. Schliesslich kann die fragliche Massnahme nicht als unverhältnismässig angesehen werden angesichts der Art der unter Strafe gestellten Handlungen und der Sanktionen, die auferlegt werden können.

B.17. Die zweite präjudizielle Frage ist verneinend zu beantworten.

Aus diesen Gründen:

Der Hof

erkennt für Recht:

Artikel 16.6.3 § 2 des Dekrets der Flämischen Region vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik, eingefügt durch das Dekret vom 21. Dezember 2007 zur Ergänzung des Dekrets vom 5. April 1995 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen über Umweltpolitik um einen Titel XVI « Aufsicht, Rechtsdurchsetzung und Sicherheitsmassnahmen », verstösst weder gegen die Regeln der Zuständigkeitsverteilung noch gegen die Artikel 12 und 14 der Verfassung, an sich oder in Verbindung mit den Artikeln 10 und 11 der Verfassung, mit Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit Artikel 15 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, noch gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung.

Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäss Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof, in der öffentlichen Sitzung vom 27. Mai 2010.

Der Kanzler, Der Vorsitzende,

(gez.) P.-Y. Dutilleux. (gez.) M. Bossuyt.